Diese luzide Erheiterung

Viel probiert: Ernst Jüngers großer Drogen-Essay wurde neu aufgelegt

Psychedelisches treibt bunte Blüten auf dem Leinencover. In edler Sonderausstattung hat der Verlag Klett-Cotta Ernst Jüngers Großessay „Annäherungen. Drogen und Rausch“ von 1970 wieder aufgelegt. Der Vater des jetzigen Verlegers, Ernst Klett, hatte sich 1950 in der Stuttgarter Verlegervilla mit Jünger auf Meskalintrip begeben – der Sohn Michael Klett will nun, zehn Jahre nach Jüngers Tod, zusammen mit seinen jungen Mitstreitern Michael Zöllner und Tom Kraushaar „eine ganz neue Leserschaft“ für ihn gewinnen. Ob er sich Ecstasy-Konsumenten vorstellt, die ihren Rausch an diesem Buch vertiefen?

Neue Leserschaften jedenfalls hat Jünger hierzulande grundsätzlich nötig, und das Drogenbuch des damals 75-Jährigen war schon 1970 geeignet, ihm alte Jünger-Jünger abtrünnig zu machen und neue zuzuführen. Er kam in Kontakt mit einigen Hippies. Deren gesellschaftliche Rebellion teilte er bekanntermaßen nicht, folglich auch nicht die Bedeutung, die den Drogen um 1968 als Bürgerschrecknis und Gruppenenthemmung zukam. Jüngers Drogenexperimente waren individuelle geistige Abenteuer – er konsumierte die Mittel entweder allein oder später mit weiteren reifen Herren in den bequemen Sesseln bürgerlicher Wohnzimmer.

Und er hat vieles probiert: Noch im Ersten Weltkrieg Äther und Chloroform; diese betäubenden Substanzen rechnet er samt Alkohol und Kokain zu den europäischen Drogen. Sie stehen auf der untersten von drei Stufen, weil sie oft bloß als Beruhigungs- oder Aufputschmittel genommen werden und damit die Normalität des getakteten Lebens erhöhen, statt mittels Rausch aus ihr hinauszuführen.

Opium und Haschisch sind die bilderzeugenden Drogen des Orients: schon besser. Am faszinierendsten findet Jünger die Drogen, die er zur Gruppe Mexiko zählt: LSD, Zauberpilze und Meskalin. Hier sind seine Erlebnisse am unabgeschlossensten, aber diese Substanzen scheinen ihm die reichsten inneren Bildertiefen zu eröffnen.

Die Intensität der Rauschschilderung korrespondiert nicht notwendig mit seiner Bewertung der Droge. So ist die Beschreibung des ersten Alkoholrauschs mit 15 viel eindringlicher als die knappen Worte zum Meskalin. Und die Erinnerung an den Ätherrausch ergibt eine der besten Passagen des Buchs: Jünger, aus einer kurzen Betäubung erwacht, tritt in „luzider Erheiterung“ auf die Straße, wo es von Militärs wimmelt. Nach einem komplizierten Zeremoniell muss er Grüße austeilen oder entgegennehmen, je nach Rang des Entgegenkommenden. Die lästige Pflicht gelingt ihm nun als Spiel, das er mit besonderer Leichtigkeit beherrscht – bis er doch einen Gruß versäumt und einen schlagfertigen Wortwechsel mit einem Major hinlegt. Hier ist gerade das leichte Neben-der-Spur-sein so gut gezeigt. Haschisch dagegen, das er doch zu den fortgeschrittenen Drogen zählt, bescherte ihm seine schlimmste Rauscherfahrung. Wohl wegen einer Überdosierung erlebte er hier blanke Angst und ausschließlich negativen Kontrollverlust. Danach rührte er dreißig Jahre lang keine Drogen an.

Solche Widersprüche sind in der Form begründet und dort gut aufgehoben. Das Erfahrene ist mit Gedachtem assoziativ verwoben zu einer eigenwilligen Form, einer Art Erfahrungsessay, die zum Besten in Jüngers Werk gehört. Funkelnde Aphorismen feuernd, schöpft er aus Mythologie, Ethnologie und Literatur. Seine klare Sprache kommt ohne jeden Drogenjargon aus.

Was ihn an Drogen nicht interessiert, ist die Sucht – dabei gingen auch viele der von ihm bedachten Literaten an ihr zugrunde. Vielleicht war er selbst ungefährdet, weil er die Drogen nicht einsetzte, um sich zum Schreiben zu stimulieren. Mit Kokain hat er es einmal versucht, aber der Schreibrausch blieb aus. Zwar fühlte er seine geistige Kraft wachsen und wachsen – aber gleichzeitig erstarren. Er erlebte sein Gehirn als übervoll, nichts konnte mehr zu Worten gerinnen.

Jünger instrumentalisiert die Drogen nicht, für ihn sind sie eigenwertige Annäherungen wie die künstlerische Versenkung oder der Tanz oder die Meditation – Annäherungen an die Grenze zu etwas Unbekanntem, eine andere Welt, eine andere Zeit. Hier ist er Abenteurer, wie er es auch als Reisender und als tollkühner Soldat war; die Gefahr, die Todesnähe gehört dazu. Denn die endgültig andere Welt samt völliger Aufhebung der Zeit ist schließlich die nach dem Tod: Dann wird die Grenze überschritten sein. Der Drogenrausch war ihm auch Einübung ins Sterben.

Das etwas lasche Vorwort von Volker Weidermann wäre zur Not verzichtbar gewesen, wünschenswert dagegen ein paar Anmerkungen: Dass es sich bei „Perpetua“ nicht um eine mexikanische Geliebte, sondern um Jüngers erste Frau Gretha handelt, hätte man gern gleich gewusst. MAJA RETTIG

Ernst Jünger: „Annäherungen. Drogen und Rausch“. Klett-Cotta, Stuttgart 2008, 456 Seiten, 24,90 Euro