Lebendiges Interface

Ab heute bis zum 18. Mai präsentieren sich Berliner Gestalter auf dem Festival „Designmai“.Ob sich die Veranstaltung etablieren kann, wird auch davon abhängen, ob der Berlin-Hype anhält

von THOMAS PAUL

Vor genau zwei Jahren sprach der Designer Hans „Nick“ Roericht an dieser Stelle von einer „4. Gründerzeit“. Einige Büros für Gestaltung, konstatierte der scheidende Professor für Industrial Design an der Universität der Künste zufrieden, tummelten sich inzwischen in den Bereichen Produktion und Vertrieb, die den Designern bis dato verschlossen gewesen waren. Die Analogie zum „Designmai“ liegt auf der Hand: Auch bei dem Festival, das von heute bis zum 18. Mai läuft, warteten die Repräsentanten der Berliner Designszene nicht auf einen omnipotenten, öffentlichen oder privaten Big Brother, sondern nahmen – vereint in der TRANSFORM e. V. – die Organisation selbst in die Hand (siehe Kasten links).

So zahlreich die Beteiligten sind, so vielfarbig ist auch das Programm. Werner Aisslinger etwa ging einmal mehr seiner Vorliebe für Kunststoffe nach und stellt ein Hausprojekt namens „loftcube“ vor, das lediglich einen Raum umfasst. Die „living unit“ soll dereinst – falls sie denn in Serie geht – mit einem Helikopter auf das Dach eines Gebäudes gesetzt werden und schließt sich an dessen technische Infrastruktur an. Als Satellit mit artifizieller Atmosphäre gemahnt Aisslingers Projekt formal an die 1970er-Jahre. Der Prototyp im Maßstab 1:1 auf dem Dach von Universal an der Oberbaumbrücke verspricht allein schon wegen der Aussicht eine Attraktion zu werden.

Auf den ersten Blick scheint es auch Oliver Vogt und Hermann Weizenegger regelmäßig in die Ästhetik ihrer Kindheit zu treiben. Doch ebenso stetig weisen ihre Produkte einen Mehrwert über bloßes Re-Design hinaus auf, wie hier auch der „Sinterchair“. Dieser Stuhl wird nach den Wünschen seines zukünftigen Be-Sitzers mittels einer bisher lediglich in der Auto- und Flugzeugindustrie geläufigen Technik gefertigt, und zwar dank Rechner innerhalb von 24 Stunden nach Eingabe des ausgefüllten Fragebogens. Darüber hinaus kann man im Studio der beiden Designer Produkte kaufen, die in ihrer bereits zehn Jahre währenden Zusammenarbeit entstanden sind.

Nicht mehr nur temporär betreibt Andreas Murkudis seinen Handel mit schönen Dingen (siehe Interview Seite 24). Anlässlich des Designmai räumt er seinen Laden jedoch aus und zeigt unter dem Titel „Zugvögel“ eine Kollektion, die sein Bruder Kostas für das Label HALTBAR entworfen hat. In dem zukünftigen Projektraum auf der anderen Hofseite zeigen die in Berlin und Paris ansässigen Architekten Gonzalez und Haase einige Tische und Teppiche.

Wie auch die anderen Aussteller will Murkudis den aktuellen Hype auf Berlin nutzen. In letzter Zeit, so heißt es, seien verstärkt Scouts aus Japan gesichtet worden, die aktuelle Trends dieser Stadt ausfindig machen wollen. Tatsache ist, dass es auf der anderen Seite der Welt inzwischen Läden gibt, die sich auf hiesige Produkte spezialisiert haben, und Kaufhäuser, die sich so genannte „Berlin Corner“ einrichten. Wenig erstaunlich ist deshalb, dass die Gestalter eigene Vorstellungen von einer repräsentativen Flagge entwickelt haben. Die manchmal spielerischen Entwürfe, in denen meist auf das Wappentier Bär verzichtet wird, sind angemessen offiziell im Roten Rathaus platziert.

„Berliner widmen sich häufig dem Experiment, dem Versuch, der Improvisation, dem ‚Cutting Egde‘ “, grenzt Oliver Vogt die hiesige Designszene vom Mainstream ab, „es geht hier um das Rohe, Unbehauene, Halbzeugige und fragmentarisch Angelegte, das Vorgedachte“, und er zieht das Fazit : „Diese Haltung schafft Schnittstellen zwischen den Künsten und provoziert deren Interaktion.“ Eine solche Grenzüberschreitung vollzieht das Projekt „Wir lieben unser Land“. Wolf Günter Thiel überflutet gemeinsam mit den Veteranen von Recyclingprodukten Bär & Knell einen Ausstellungsraum mit rund 4.000 Spruchschablonen à la „Wenns Arscherl brummt, ists Herz gesund“. Feinsinnig nennt er die aus alten Kunststoffen hergestellten Stücke „Alltagsplastik“.

Ein wenig akademisch, dennoch mit den notwendigen Portionen Humor und Hintersinn ausgestattet, ist das Projekt „Sublime“ von Jörg Hundertpfund. Warum sollte ein gewohntes Objekt wie der Stuhl nicht auch ungewohnte Funktionen erfüllen können? Hundertpfund dekliniert gestalterisch den Urtyp durch und stellt im Ergebnis eine Vielzahl von Hybriden in Modell und Bild vor, die mal absurd, mal verblüffend praktisch wirken.

Wenn auch in jeder der unterschiedlichen Aktivitäten der Nukleus des gesamten Designmai zu finden sei, wie Oliver Vogt meint, drängt sich gleichwohl die Frage auf, ob hier nicht ein willkürlich zusammengerührter „Kessel Buntes“ unter dem Label Berlin entstanden ist. Das Unverbundene, auch unübersichtlich Terminierte aller Einzelprojekte, so ist entschuldigend zu hören, ist der kurzen Vorbereitungszeit anzulasten. Bei einer erneuten Auflage des Festivals werden wohl verstärkt Kuratoren für die Bildung von thematischen Gruppen zuständig sein.

Eine offene Plattform bleibt hingegen das berlindesign.net. Designer, die sozusagen auf dem Sprung sind, zeigen in der Backfabrik unter dem innerhalb des Designs etwas unglücklich erscheinenden Titel „Berlin Design Presentation“ ihre noch unter überschaubaren Bedingungen entwickelten Prototypen.

Dass die Initiative zum Designmai vor allem von Vogt + Weizenegger ausging, schließt den Kreis, beide studierten und arbeiteten schließlich einst bei „Nick“ Roericht. Wünschenswert wäre das Etablieren der Veranstaltung als ein lebendiges Interface zwischen Käufern, Händlern und Designern. Durch den E- Commerce haben sich ohnehin die Chancen vergrößert, sich jenseits der schwerfällig reagierenden Industrie zu behaupten. „Der Designer steht an der Schwelle, sich vom Produktgestalter der Warenwelt zum Gestalter im eigentlichen Sinn zu emanzipieren.“ Jetzt, so schloss seinerzeit Roericht, „kann er sich selber die Produktionsmittel erobern!“