Der Hohepriester gegen das Böse

aus Berlin ERIC CHAUVISTRÉ

Eine Trennung von Moral und Recht existiert nicht, es gibt ein moralisches Raster von „gut und böse“, die Verhältnisse innerhalb des Staates wie auch die Außenbeziehungen sind stark moralisch geprägt, „gerechte Kriege“ werden geführt. Wir schreiben das Jahr 2003, in den USA. Oder das Jahr 1648, in Europa. Der Dreißigjährige Krieg hat gerade zu unvorstellbarem Chaos und zu völliger Rechtlosigkeit geführt – und einem Drittel der damaligen Bevölkerung das Leben gekostet.

„Wir müssen uns klar sein, was die gegenwärtige US-Strategie bedeutet“, mahnte Gret Haller, ehemalige OSZE-Menschenrechtsbeauftragte in Bosnien und ehemalige Schweizer Parlamentspräsidentin, bei einem Kongress der deutschen Sektion der „Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges“ (IPPNW) am Wochenende in Berlin. „Hier wird das Recht durch die Moral ersetzt.“

Den Grund sieht Haller in der Entstehungsgeschichte der USA. Dort habe nie eine Säkularisierung stattgefunden. „Das Fundament der nationalen Gefühle“, so Haller, „lag deshalb nicht im staatspolitischen Bereich, sondern im religiösen.“ Die US-amerikanische Nation verkörpere in ihrem Selbstverständnis deshalb stets das „Gute“. „Wenn es das Gute gibt, muss es aber auch das Böse geben.“ Dieses „Böse“ werde immer wieder mit Personen und Staaten identifiziert, und dies schon lange bevor die Achse des Bösen erfunden wurde.

Durch die Dominanz des Religiösen in der US-amerikanischen Identität, so Haller, muss jeder US-Präsident, nicht nur der derzeitige, immer auch die Rolle eines Hohepriesters wahrnehmen. Damit wäre es nicht mehr verwunderlich, wenn ein Präsident, wie es George Bush, getan hat, öffentlich erklärt, mit dem Irakkrieg einen göttlichen Willen vollstreckt zu haben.

Diese religiöse Besessenheit bezeichnete der Psychoanalytiker und Gründer der deutschen IPPNW-Sektion, Horst-Eberhard Richter, als eine „gefährliche Einbildung“, die nur „Unfriedlichkeit stiften“ könne: „Denn Selbstidealisierung benötigt aus innerem Zwang stets das Böse draußen als Verfolger.“ Im aktuellen Fall bedeute dies, „immer wieder siegen zu müssen als vermeintlich Verfolgter“. Das im eigenen Innern abgespaltene Negative und Bedrohliche benötige diese „permanente Projektion“ nach außen.

Also weitere Kriege im Namen der Demokratisierung? Die erwartet der Erfurter Nahostexperte Kai Hafez. Die Pax Americana hält er aber schon deshalb zum Scheitern verurteilt. „weil sie die Grundwidersprüche von Zwang und Freiheit zu vereinen sucht“. Die US-Politik werde „dabei irgendwann in einem Realismus landen, für den sie kein politisches Konzept hat“.

Dabei wäre Demokratisierung aus Sicht des Frankfurter Konfliktforscher Ernst-Otto Czempiel tatsächlich die beste Friedensstrategie. Die Beispiele Kosovo und Afghanistan seien aber eher Belege dafür, dass diese militärischen Mittel nicht erfolgreich seien. Und gegenüber dem Irak hätten die USA seit 1991 das genaue Gegenteil dessen praktiziert, was eine Demokratisierungsstrategie beinhalten sollte: Etwas Besseres, als den Irak über Jahre zu bedrohen und zu isolieren, habe man für Saddam Hussein gar nicht tun können. Denn der potenzielle Spielraum für Veränderungen in einem Land, so Czempiel, sei immer „umgekehrt proportional zum Außendruck“.

Kein optimistischer Ausblick. Gret Haller bietet zumindest Trost an. Der liege darin, dass Europa das Problem, das nun mit der Verachtung des Rechts durch die USA auftaucht, schon einmal bewältigt habe. Damals, im Jahre 1648, ging es um das Verhältnis innerhalb Europas. „Jetzt muss es Europa noch schaffen, dies auch auf die Beziehungen nach außen anzuwenden.“

Ob die europäischen Verbündeten dazu auch den Willen haben, ist eine andere Frage. Denn die europäischen Staaten haben, nach Einschätzung Czempiels, zu der nun entstandenen Situation entscheidend beigetragen. „Im Strategischen Konzept der Nato von 1991 steht alles zu lesen, was die Bush-Administration jetzt praktiziert hat“, sagte Czempiel mit Blick auf die darin vorgesehene Möglichkeit zu militärischen Interventionen ohne UN-Mandat. Auch das im November 2002 von den Nato-Mitgliedern beschlossene Aufrüstungsprogramm, die Bildung einer Eingreiftruppe und die geografische Ausweitung des Gebietes für Nato-Einsätze sei ganz im Sinne der Bush-Doktrin.