Lehrplan der political correctness

Mit Köln haben die „Köln-Tatorte“ des WDR wenig zu tun. Das macht sie womöglich so beliebt. Auch der 30. aus der Reihe soll nicht nur Krimi sein, sondern ein Stück gesellschaftlicher Realität abbilden

VON Peter Hanemann

An einem stillen Morgen explodiert im Kölner Stadtwald eine Mine. Ein einsamer Jogger, Lars Fresinger, wird schwer verletzt und stirbt an einem traumatischen Schock. Freddy Schenk und Max Ballauf vermuten ein politisches Attentat, denn die Mine war professionell auf einem Pfad verlegt, der zu Fresingers Haus führt.

So beginnt der Plot für den 30. Köln-Tatort, für den die Kölner Produktionsfirma Colonia Media am 3. März mit den Dreharbeiten beginnt. Es geht um Landminen – schließlich wird der größte Teil der weltweit ausgelegten Minen in Deutschland hergestellt. Wieder einmal soll ein WDR-Tatort nicht einfach nur Krimi sein, sondern ein Stück gesellschaftlicher Realität abbilden.

Die meisten Köln-Tatorte sind Themen-Tatorte – vom Rechtsradikalismus („Bildersturm“) über Gewalt an Schulen („Bombenstimmung“) bis zur Sterbehilfe („Bittere Mandeln“) wurde alles durchgenommen, was auf dem Lehrplan der political correctness stand.

Das ergab zwar kaum gute Polizeifilme, machte aber ein gutes Gewissen. Denn als Macher beteiligt man sich, wie es Georg Feil als Tatort-Produzent und Colonia Media-Geschäftsführer formuliert, „am Zeitgespräch der Gesellschaft mit sich selbst“. Und als Zuschauer zeitkritischer Köln-Tatorte kann man sich, so Feil, „gewissermaßen selbst positionieren“. Mit Köln haben die Themen der Köln-Tatorte direkt nichts zu tun, und auch die Plots spielen wie zufällig in Köln. Wenn nicht gerade, wie in „Trittbrettfahrer“, der Chef einer Kölsch-Brauerei erschossen wird, gibt es keine Bezüge aufs reale lokale Geschehen. Dabei gäbe es Kölner Krimi-Plots en masse: vom Parteispendenskandal bis zum Kindersex im Festkomitee.

Köln taucht nur als Chiffre auf – am deutlichsten als Imbissbude mit Dom-Blick, vor der die Schauspieler Klaus J. Behrendt (Ballauf) und Dietmar Bär (Schenk) auf hochdeutsch witzeln. Für echt kölsche Krimis war Willy Millowitsch als Kommissar Klefisch zuständig.

Wahrscheinlich ist es gerade der Abstand zu Köln, der die Köln-Tatorte so ungemein erfolgreich macht – erfolgreicher als alle Tatorte, die schwäbelnd, sächselnd oder bayrisch daherkommen. Bei den Quoten beschert die Colonia Media dem WDR regelmäßig Spitzenwerte um neun Millionen Zuschauer und meist über 20 Prozent Marktanteil. Und bei Umfragen sind die Kölner Ermittler die beliebtesten bundesweit.

Dafür müssen ihre Konturen stimmen. Single Ballauf, der geläuterte Ex-Chaot mit weltgewandtem Weitblick, und Schenk, der bodenständige Provinzcowboy mit verkorkstem Familienleben – zwei Figuren, die im Zusammenspiel mehr Zuschauer binden als weiland der polarisierende „Schimanski“.

Milieutheoretisch steht Freddy Schenk für traditionsverwurzelte und konsum-materialistische Zielgruppen, während Max Ballauf eher postmaterielle bis hedonistische Signale setzt. Um ältere Krimifans der bürgerlichen Mitte nicht zu vergraulen, benehmen sich die Protagonisten bei allen ins Drehbuch geschriebenen Ausbrüchen durchaus artig. Die Preisfrage wäre nun die, ob der Köln-Tatort – milieutheoretisch – auch die Zusammensetzung des Kölner Publikums spiegelt.