Aristide flieht aus Haiti

Präsident Aristide verlässt nach wochenlangen Protesten fluchtartig das Land. Oberster Richter Alexandre wird vorläufiger Nachfolger. Aristide-Anhänger bestürzt, Bevölkerung im Norden jubelt

PORT-AU-PRINCE ap/dpa ■ Nach dreiwöchigen Unruhen hat sich der haitianische Präsident Jean-Bertrand Aristide gestern dem Druck der Rebellen und des Auslands gebeugt und sein Land verlassen. Wohin er ins Exil geht, war vorerst unklar. Das Flugzeug mit Aristide an Bord landete zu einem Tankstopp auf der Karibikinsel Antigua. Möglicherweise ersucht Aristide in Panama, Taiwan oder Marokko um Asyl.

Boniface Alexandre, der Vorsitzende Richter am Obersten Gericht Haitis, erklärte wenige Stunden nach der Abreise Aristides, er übernehme die Führung des Landes. Er rief die Bevölkerung dazu auf, von Vergeltungsmaßnahmen abzusehen. „Die Aufgabe ist nicht leicht“, sagte er bei einer Pressekonferenz. „Haiti befindet sich in einer Krise.“ Er ist laut Verfassung zwar Nachfolger des Präsidenten, allerdings müsste diesem Schritt das Parlament zustimmen.

Nach der Nachricht von der Flucht Aristides versammelten sich in der Hauptstadt Port-au-Prince hunderte bewaffnete und empörte Aristide-Anhänger vor dem Präsidentenpalast. In Cap Haïtien, einem Zentrum des Widerstands im Norden des Landes, hingegen feierten die Menschen tanzend und singend den Erfolg der Rebellion. US-Botschafter James Foley sagte, internationale Truppen, darunter auch US-Soldaten, würden in Kürze nach Haiti entsandt.

Die US-Regierung begrüßte die Ausreise Aristides, der 1990 der erste demokratisch gewählte Präsident in dem seit 200 Jahren unabhängigen Land war. Die Entscheidung sei im besten Interesse des haitianischen Volkes, sagte ein ranghoher Regierungsvertreter in Washington. Die USA hatten Aristide 1994 mit einem Militäreinsatz wieder an die Macht gebracht. Ihre Regierung legte ihm aber zuletzt den Rücktritt nahe. Auch die ehemalige Kolonialmacht Frankreich hatte sich von Aristide distanziert.

Seit Beginn des Aufstandes am 6. Februar haben die Rebellen von Norden aus mehr als die Hälfte des Landes unter ihre Kontrolle gebracht. Den Aufständischen gehören Mitglieder unterschiedlicher Oppositionsgruppen und ehemalige Soldaten der 1995 aufgelösten Armee an. Bei den Unruhen wurden mehr als 100 Menschen getötet.

Zuletzt standen die Rebellen kurz vor Port-au-Prince, wo Banden von Aristide-Anhängern plündernd umherzogen. Bei Übergriffen auf Oppositionelle wurden in Port-au-Prince seit Freitag nach Angaben aus Krankenhäusern 25 bis 30 Menschen getötet.

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