„Das ist manchen von uns nicht leicht gefallen“

Bei der Vorstellung des CDU/CSU-Kompromisspapiers zu den anstehenden Sozialreformen kann Edmund Stoiber strahlen: Seine CSU hat sich in fast allen wichtigen Punkten durchgesetzt. Fraktionschefin Angela Merkel dürfte wenig Lust verspüren, demnächst wieder einmal an die Isar zu reisen

MÜNCHEN taz ■ Angela Merkel war nicht amüsiert. Als während der gemeinsamen Pressekonferenz mit Edmund Stoiber am Montagmorgen jemand wissen wollte, warum sich die beiden denn auf ein Papier geeinigt hätten, „das CSU pur“ sei, beschied die CDU-Vorsitzende den – Münchner – Journalisten, dass er wohl nur zu einem regional beschränkten Blickwinkel fähig sei: „Das Konzept ist ein Kompromiss, beide Seiten haben sich aufeinander zubewegt.“

Weil aber im Saal zu spüren war, dass diese Erklärung nicht recht ausreichen würde, kramte Angela Merkel nach den entscheidenden CDU-Einflüssen, die sich im gemeinsamen Präsidiumsbeschluss der C-Parteien wiederfinden. Aber viel mehr als die gewachsene Bedeutung der Beitragsjahre bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes konnte sie nicht vorbringen. Immerhin, ältere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die mindestens 40 Jahre in die Kassen eingezahlt haben, sollen nun bis zu 24 Monate Arbeitslosengeld erhalten – Edmund Stoiber wollte die Bezugsdauer auf maximal 18 Monate beschränken.

Natürlich hatte Angela Merkel in einem Punkt Recht: Das CDU/CSU-Papier zu den Sozialreformen ist durchaus ein Kompromiss, aber zu großen Teilen einer, der innerhalb der CSU zwischen Stoiber und seinem Sozialexperten Horst Seehofer ausgehandelt wurde. Gegenüber der Schwesterpartei hingegen setzten sich die Christsozialen gerade in den lange umstrittenen Punkten wie Rentenalter, Kürzung der Sozialhilfe und Lockerung des Kündigungsschutzes weitgehend durch.

So hatte Edmund Stoiber den von der Rürup-Kommission vorgeschlagenen Renteneintritt mit 67 Jahren abgelehnt und war dafür von Teilen der CDU heftig kritisiert worden. Stattdessen folgt das Kompromisspapier nun Stoibers Vorschlag, im Fall eines vorzeitigen Renteneintritts die Altersbezüge deutlich zu kürzen. So soll erreicht werden, dass mehr Arbeitnehmer tatsächlich bis zur derzeitigen Altersgrenze von 65 Jahren im Job bleiben.

Auch bei der von Stoiber geforderten Absenkung der Sozialhilfe bleibt es. Die Unterstützung soll für arbeitsfähige Sozialhilfeempfänger um bis zu 30 Prozent gekürzt werden. Voraussetzung ist auf Drängen ostdeutscher CDU-Politiker aber, dass dem Betreffenden zuvor ein Job oder eine gemeinnützige Arbeit angeboten wurde und er dies abgelehnt hat. Um das leisten zu können, sollen insbesondere die ostdeutschen Kommunen finanzielle Zuschüsse erhalten.

Bei der Vorstellung der geplanten Neuregelungen zum Kündigungsschutz musste dann sogar Angela Merkel eingestehen, dass „das manchen in unserer Partei nicht leicht gefallen ist“. Der volle Kündigungsschutz für neu eingestellte Mitarbeiter soll nur noch in Betrieben mit mehr als zwanzig Angestellten gelten – in dieser Frage hatte die CDU eher zur Haltung der SPD tendiert, die an der geltenden Grenze von bis zu fünf Mitarbeitern festhalten will.

Es verwunderte also wenig, dass Angela Merkel geradezu beleidigt auf unangenehme Fragen reagierte, wusste sie doch, dass sie für diesen Kompromiss in der CDU nicht nur Beifall ernten würde. Vielleicht störte es sie auch, dass nach der Kanzler-Frage, die einst in Wolfratshausen entschieden wurde, schon wieder eine grundlegende Weichenstellung für die Politik der Opposition in Bayern getroffen – und im „Franz Josef Strauß“-Saal verkündet wurde. An die blaue Wand hinter dem Podium mit dem CSU-Schriftzug hatte vor der Pressekonferenz zum Glück noch jemand rasch ein kleines CDU/CSU-Schild gepappt.

Als Stoiber dann noch so kalt wie gönnerhaft lächelnd verkündete, dass es ihm ja ganz egal sei, „wer zuerst welche Vorschläge gemacht“ habe, dürfte das der CDU-Vorsitzenden den Rest gegeben haben. Als die Veranstaltung offiziell beendet war, verschwand Merkel fast unbemerkt zu ihrer Limousine – während sich die Kamerateams um den bayerischen Ministerpräsidenten scharten. Es ist selbstverständlich möglich, dass sich dieser Umstand aus der regionalen Beschränktheit vieler Journalisten erklären lässt.

JÖRG SCHALLENBERG