Nur wenig zu mäkeln

AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER

Die für Gleichstellungsfragen zuständige Brüsseler Generaldirektion muss derzeit ohne Chefin auskommen. Die für dieses Thema zuständige Kommissarin Anna Diamantopoulou hat sich in ihre Heimat Griechenland verabschiedet, um dort im Parlamentswahlkampf die Liste der sozialistischen Pasok anzuführen. Ihren kritischen Brief an die Organisatoren der Olympischen Spiele, die diesen Sommer in Athen stattfinden, hat sie aber noch von Brüssel aus abgeschickt: „Machen Sie die Länder, die weibliche Athleten diskriminieren, darauf aufmerksam“, schrieb Diamantopoulou ans Internationale Olympische Komitee IOC. Denn die Scheichtümer am Golf aber auch Botswana und die Jungfern-Inseln wollen keine Frauen in ihre Mannschaften berufen.

Weitaus weniger Probleme in Sachen Gleichstellung gibt es mit den Ländern, die am 1. Mai neu in die Europäische Union aufgenommen werden. Der allerletzte Kommissionsbericht über den Stand der Beitrittsvorbereitungen vom November 2003 findet im Bereich Gleichstellungs-Gesetzgebung nur noch wenig zu mäkeln. Die Messlatte für alle neuen Mitgliedsländer der Union in rechtlichen Fragen ist der viel zitierte „acquis communitaire“. Damit sind alle Gemeinschaftsvorschriften gemeint: von den Gründungsverträgen über die in Maastricht, Amsterdam und Nizza beschlossenen Nachbesserungen bis zu den Richtlinien und Verordnungen des Rats. Der 1997 ausgehandelte Amsterdamer Vertrag hat die Gleichstellung von Männern und Frauen in die lange Liste der Gemeinschaftsaufgaben aufgenommen, die in Artikel zwei aufgezählt werden – weit hinter der Wirtschafts- und Währungsunion, aber immerhin noch vor Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit. Artikel 3 macht die Gleichbehandlung zur Querschnittaufgabe, die bei allen gemeinschaftlichen Tätigkeiten gefördert werden muss. Grundlage der Gleichstellungsgesetzgebung ist Artikel 13 des Amsterdamer Vertrages: Demnach „… kann der Rat im Rahmen der gemeinschaftlichen Zuständigkeiten auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Parlaments einstimmig geeignete Vorkehrungen treffen, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen.“ Artikel 141 beinhaltet eine direkte Aufforderung an den Rat, die Gleichstellung im Arbeitsleben gesetzlich zu regeln. Zwar gibt es schon aus den Siebzigerjahren ein ganzes Bündel von Richtlinien, die den gleichberechtigten Zugang zu Arbeit, Ausbildung und Karriere sowie den Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ garantieren sollen. Die alten Rollenmuster erwiesen sich in vielen Mitgliedstaaten als hartnäckig.

Deshalb hat die EU-Kommission unter Federführung der Sozialkommissarin Anna Diamantopoulou die Richtlinie über Zugang zum Arbeitsleben überarbeitet. Die neue Fassung vom Oktober 2002, die bis 2005 von den Mitgliedstaaten umgesetzt sein muss, führt den Tatbestand der „sexuellen Belästigung“ als Diskriminierungsgrund neu ein. Sie verlangt außerdem, dass jedes Mitgliedsland unabhängige Gremien einrichtet, die über die Einhaltung der Gleichstellungsgesetze wachen, Defizite nach Brüssel melden und betroffene Frauen vor Arbeitsgerichten vertreten. Nach Ansicht der zuständigen Mitarbeiter in Diamantopoulous Fachabteilung erfüllen die deutschen Gleichstellungsgremien diese Anforderungen noch nicht. Die meisten Kandidatenländer dagegen haben ihre Strukturen schon jetzt auf den gesamten „acquis communitaire“ abgestimmt. Auch auf die Teile, die erst in den kommenden Jahren Geltungskraft erlangen. So gilt für das Kapitel Gleichstellung, was auch in vielen anderen Bereichen der Gesetzgebung im Beitrittsprozess zu beobachten ist: Da die Neuen erst vor kurzem eine Generalüberholung ihrer Rechtsbestimmungen vorgenommen haben, setzen sie die neuesten Richtlinien aus Brüssel exakter um als viele alte Mitgliedsländer.

Lediglich Estland muss sein Gleichstellungsgesetz noch durchs Parlament bringen, und fast alle Kandidaten haben Probleme beim Renteneintrittsalter: Es ist für Beamte und bei Betriebsrenten für Männer höher als für Frauen, was eine Diskriminierung bedeutet. Probleme bereitet auch der aus sowjetischer Tradition stammende Schutz von Frauen am Arbeitsplatz: Wenn junge Mütter drei Jahre lang keine Nachtarbeit verrichten dürfen oder ein Jahr lang nicht auf Geschäftsreisen geschickt werden können, schützt das unter planwirtschaftlichen Verhältnissen das Familienleben, unter marktwirtschaftlichen Bedingungen bedeutet es ein Karrierehindernis.

Das Beispiel zeigt, welchen Wertewandel die neuen Mitgliedsländer durchmachen müssen. Das kann im katholischen Malta bedeuten, den besonderen Schutz von Ehe und Familie einzuschränken und gleiche Rechte für gleichgeschlechtliche Paare einräumen zu müssen. Neue Gesetze bedeuten noch lange kein neues Denken. Da unterscheiden sich die neuen Mitgliedsländer nicht von den alten. In Estland zum Beispiel, wo der Gesetzgebungsprozess eher schleppend verläuft, sieht die Lohntabelle für Frauen viel günstiger aus als im auf dem Papier gut vorbereiteten Polen. Die Erklärung ist simpel: Estlands stürmische Wirtschaftsentwicklung sorgt dafür, dass der Bedarf an gut qualifizierten Arbeitskräften steigt und davon profitieren die Frauen.

In der Kommission ist man sich der Diskrepanz zwischen rechtlichen Rahmenbedingungen und Lebenswirklichkeit wohl bewusst. Fördermittel aus Brüssel fließen in Programme, die das Selbstbewusstsein und das Wissen um die neuen Rechte stärken sollen. Denn was hinter geschlossenen Türen zwischen dem Chef und seiner Sekretärin passiert, was im Einstellungsgespräch gesagt und gefragt wurde, kann nur dann mit Hilfe neuer Gesetze geahndet werden, wenn die Betroffene zu einer Klage bereit ist.

In Westeuropa begann der feministische Bewusstseinsbildungsprozess in den 70er-Jahren. Auf diese Tradition können die Frauen im Osten nicht zurückgreifen. Deshalb, so sagt die slowakische Frauenrechtlerin Dagmar Simunkova, „steht bislang alles nur auf dem Papier“. In der Slowakei verdienen Frauen im Schnitt weniger als 70 Prozent des Lohns, den ein Mann in der gleichen Position bekommt.

Simunkova schwört auf die so genannten „Zwillingsprogramme“ der EU-Kommission, die auch in Brüssel als sehr erfolgreich bewertet werden. Mit diesen Programmen werden Partnerschaften zwischen privaten Frauenlobbys, Gleichstellungsstellen in Unternehmen und Ämtern und Frauenorganisationen der Parteien gefördert. „Wir brauchen Partnerinnen, die wissen wie das funktioniert“, sagt Simunkova. Die Schwestern aus dem Westen sollen dafür sorgen, dass die Neulinge das umsetzen, was in den alten Mitgliedsländern zum Teil noch nicht einmal auf dem Papier steht.