heute in bremen
: „Mutig waren andere“

Der russische Soziologe Victor Zaslavsky erhält den Hannah-Arendt-Preis

taz: Frau Schattenberg, wofür wird Victor Zaslavsky ausgezeichnet?

Susanne Schattenberg, Leiterin der Bremer Osteuropa-Forschungsstelle: In seinem jüngsten Werk analysiert er das Massaker von Katyn: 1940 ermordete der russische Geheimdienst dort mehr als 25.000 polnische Offiziere und Intellektuelle.

Welche Bedeutung hat die Veröffentlichung zum jetzigen Zeitpunkt?

Sein Werk liefert keine neuen Forschungsergebnisse. Zaslavskys Verdienst ist in erster Linie, das Thema für ein breites Publikum aufbereitet zu haben. Bereits 1998 hat der Autor ein ähnliches Buch veröffentlicht, das damals kaum beachtet wurde. Das aktuelle Interesse ist einem Film des polnischen Regisseurs Andrzej Wajda zu verdanken.

Ist die Veröffentlichung mutig gewesen?

Zaslavsky verließ Russland bereits 1975. Er lebt heute in Rom. In Gefahr haben sich in der Vergangenheit andere gebracht. Mutig waren andere. In Gefahr hat sich seinerzeit die russische Historikerin Natalya Lebedev gebracht. Sie hatte maßgeblichen Anteil an der Aufklärung des Massakers.

Wie wurde das Buch in Russland aufgenommen, wo das Massaker lange verschwiegen wurde?

Die Situation hat sich leider deutlich verschlechtert. Das Thema ist wieder Tabu. Erst nach dem Kalten Krieg wurden die Akten veröffentlicht. Boris Jelzin stellte sich 1992 der Verantwortung und besuchte das polnische Denkmal. Das wäre unter Putin undenkbar.

Belastet die Veröffentlichung die russisch-polnischen Beziehungen?

Der Kreml sehnt sich nach der alten Größe der Sowjetunion. Er betrachtet Polen weiterhin als Vasallenstaat. Durch die provozierende Politik wird das ohnehin gespannte Verhältnis weiter belastet. INTERVIEW: STEVEN HEIMLICH

Preisverleihung: Obere Rathaushalle, 18:00 Uhr