„Sag doch einfach, du bist eine Rampensau!“

Serpil Pak und Nursel Köse behaupten sich in einer deutschen Männerdomäne. Eine ernste Sache also. Die Türkinnen machen Kabarett – als „Kebab-Girl 007“ oder „Lenny Kräwitz“. Die Geschichte zweier Frauen, die von der „Türkenmitleidsbenachteiligungsimmigrationsnummer“ die Nase voll hatten

„Diskretionsabstand in der Bank, das ist etwas sehr Deutsches“, sagt Kabarettistin Serpil Pak

VON SILKE KETTELHAKE

Die Oranienstraße, Schauplatz jährlicher Maienspektakel und silvesternächtlicher Nahkampfübungen, ist ruhig. Nur ab und zu schießt ein testosterongesteuerter Sportwagen hinter dem großen Fenster des Cafés vorbei. Am Nebentisch kichern pubertierende türkische Jungs. Serpil Pak und Nursel Köse erzählen mit ernsten Mienen von ihrer Arbeit in einer deutschen Männerdomäne: Die beiden Deutsch-Türkinnen machen Kabarett. Sie tanzen den Sirtaki auf links, agieren als professionelle Ritzenputzerinnen, streicheln ihre „feinstoffliche Aura“ und reisen von Hoyerswerda nach Ayurveda.

Vor zwölf Jahren verließen die beiden mitten im Hollandradgeklingel des westdeutschen Münster ihre sicheren, wohl dotierten Berufe Richtung Bühne und tourten mit fünf „Superputzen“ durch die deutschen Lande. Die Bodenkosmetikerinnen hängten mit ihren akademischen Karrieren auch das Berufstürkentum an den Nagel. Serpil: „Ha! Türkische Psychologinnen, die sind so rar, nach denen lecken sich alle die Finger!“ Aber von der „Türkenmitleidsbenachteiligungsimmigrationsnummer“ hatte sie irgendwann die Nase gestrichen voll. Auch Nursel, Architektin und Bauleiterin, arbeitete erfolgreich als „Vorzeigetürkin“: „Das Diplom hängt bei meinen Eltern an der Wand. Damit hatte ich dann erst mal ihren Segen – und meine Ruhe.“ Serpil: „Egal, welchen akademischen Grad wir als türkische Frauen vorweisen können: Türkinnen sind immer Putzfrauen. Da ist unser Name ‚Die Bodenkosmetikerinnen‘ nur konsequent.“

Die ehemals fünf „Super-Putzen“ haben abgespeckt im Personalbereich, seit einem Jahr touren nun die beiden als Duo: Das Kebab-Girl 007 – alias Nursel – hat auf der Bühne seinen Lenny Kräwitz – den Serpil gibt – gefunden. „Hätte ich sonst jemals die Chance gehabt, ein Bond-Girl zu spielen?“, fragt sich Nursel, die auch auf eine Karriere als anspruchsvolle Filmschauspielerin zurückblicken kann: Ihr Debut gab sie 1988 in „Yasemin“ von Hark Bohm; in ihrem letzten Kinofilm, „Anam“ von Buket Alakus, spielte sie die kopftuchtragende Mutter eines Drogenabhängigen. „Kopftuch hin oder her“, sagt die schwarzmähnige Schauspielerin, „dass die Figur dieser Mutter universell verstanden wird, das habe ich dann in Japan gemerkt, als mir die vielen kleinen Männer weinend an die Brust fielen. Selten werden Rollen gerade für Frauen meines Alters so vielschichtig angelegt.“

Das knapp über 40-jährige Kebab-Girl mit der tiefen, rauen Stimme und einem Fimmel für Chanel-Fummel alla turca liefert sich nicht nur auf der Bühne einen wortreichen Schlagabtausch mit Serpil. Nursel ist das Gegenteil von „schicksalserlegen“, wie sie es nennt, und manchmal macht Serpil den Eindruck einer vernünftigen älteren Schwester. Beide rauchen um die Wette, die Zigaretten schreiben wilde Kreise in die Luft, ständig sind die Hände in Bewegung.

An dem Tag vor etwa zwölf Jahren, als Serpil Nursel das erste Mal auf einer Bühne gesehen hat, da hat sie Blut geleckt, der Theaterstaub ließ sie nicht mehr los. Für Serpil, die aus einer klassischen Gastarbeiterfamilie kommt und mit 12 Jahren für ihre Eltern beim Sozialamt dolmetschen musste, sind die Auftritte heute immer noch eine Art Befreiungsschlag: „Im Programm haben wir uns noch nie darum geschert, wie oder wen wir vielleicht schockieren könnten. Viele fragen: Was sagen denn eure Männer dazu? Meine Familie wäre geschockt, aber sehr stolz, dass die Deutschen uns auf der Bühne applaudieren.“ Nursel bringt es trocken auf den Punkt: „Sag doch einfach, du bist eine Rampensau!“

Serpil begeistert sich für ihre neue Verkleidung als Frauenschwarm Lenny Kräwitz; umso schockierter war sie, als sie auf neueren Fotos den Imagewandel des Musikers entdeckte: „Der fönt sich jetzt die Haare glatt! Hat sich die Haut gebleicht! Das nehme ich ihm schwer übel.“ Die bestimmte Frau mit dem Kurzhaarschnitt sieht allerdings privat einem Womanizer wie Kravitz keineswegs ähnlich, doch mit dunklem Bühnen-Makeup streicht sie den negroiden Aspekt der Kunstfigur hervor: „Wir Türken sind doch so was wie die Schwarzen von Deutschland. Vor 20 Jahren durften die Schwarzen in den USA nicht mit den Weißen im Bus fahren, jetzt sind sie dick im Showgeschäft. Türken in Deutschland sind ebenfalls schwer im Kommen: im HipHop wie Kool Savas, im Film wie Fatih Akin mit ‚Gegen die Wand‘. Das wird weitergehen.“

Und Lenny liebt die Frauen und die Frauen lieben Lenny: Bewusst suchte sich Serpil als weiße Frau eine schwarze Männerfigur für das Hauptthema der beiden, das Spiel mit den Identitäten. Den Hüftschwung hat sie drauf, nicht nur auf der Bühne. Serpil: „Als Türkin wird es dir nicht einfach gemacht: Da ist die kulturelle Identität und das Dasein als Frau: Türkische Lesben müssen sich immer noch im Doppelleben verstecken.“

Nursel sagt: „Den ständigen Machtkampf zwischen Männern und Frauen, nicht nur den haben wir in deutsch-türkischen Humor übertragen. In der deutschen Gesellschaft als türkische Frau alleine bestehen, das ist schwierig.“ Nursel trägt ihr Problem auf die Bretter: „Wie komme ich an die deutschen Männer ran? Und lohnt sich das überhaupt, sind die nicht viel zu lahmarschig?“

Die Bühne ist karg und schwarz, einzig ein männliches und ein weibliches Schaufensterpuppengesäß leuchten weiß. Während Nursel alias Knursel, die angeblich im Erwachsenenalter eingewanderte Putzfrau, versucht, endlich wenigstens einen Teil ihrer türkischen Seele loszuwerden – um etwa als Superdeutsche einen deutschen Mann zu ergattern, der sich aber dann doch höchstwahrscheinlich als langweiliger Pantoffel denn als schicker Schuh entpuppen wird –, wird sie doch nicht ihrem, wie sie schimpft, „nuttigen Schicksal“ entgehen. Wie ein mädchenhaftes Rumpelstilzchen stelzt Knursel in ihrer glitzernden Putzfrauenuniform und hochhackigen roten Pumps durch den ersten Teil des „Arabesk“-Programms.

Arabesk meint: Alles ist von Gott geschenkt, auch die böse Schwiegermutter. Dagegen lebten die Deutschen in einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Und hier ist Serpilosch, Frau Meister Proper persönlich, in ihrem Element. Als gebürtige Deutsche mit einem zufällig türkischen Elternhaus kann sie gegenüber Knursel prima vom Putzleder ziehen: Hat sie Gäste, werden diese erst mal einem Gästeprofiling unterzogen, ihr Leben läuft wie am Schnürchen, Aufstiegschancen warten allerorten.

Aber die beiden wissen ihre Erfahrungen mit interkulturellen Therapiemethoden und Theaterpädagogik als therapeutisches Instrumentarium zu nutzen: Serpil coacht Nursel und zurück – schon sind sie reif für den zweiten Teil des Programms, um ihre Lernerfolge im „Deutschdenken“ als Kebab-Girl 007 und Lenny Kräwitz anzuwenden.

Serpil kommentiert: „Okay, wir verüben einen Rachefeldzug an der deutschen Sprache, denn die deutsche Sprache muss immer alles so furchtbar verkomplizieren. Deutsche erstellen erst einmal ein Konzept für alle Eventualitäten, einen genauen Plan. Sie arbeiten immer aufs Ergebnis hin, die Türken gehen mitten rein, agieren aus dem Bauch; dann erst sehen wir weiter.“ Nursel: „Auf jeden Fall gibt es nicht nur im Humor Unterschiede: Schließlich war und ist in der Türkei eine freie Meinungsäußerung verboten. Türkisch ist vielleicht auch deshalb sehr viel direkter!“ Serpil ergänzt: „Wir Türken sind viel körperlicher als die Deutschen, wir lieben Körperlichkeit. Zum Beispiel der Diskretionsabstand in der Bank, das ist etwas sehr Deutsches. Wichtig ist es, die Vergleichsmöglichkeiten zweier Kulturen zu haben. Was können wir voneinander lernen? Das ist hier die Realität: Man muss sich nicht unbedingt lieben. Aber: Wenn’s drauf ankommt, hilft man sich gegenseitig, und wenn’s drauf ankommt, dann streitet man eben auch. Das ist das Leben.“

Zurück nach Münster, Vorträge halten, Fortbildungen leiten, Konzepte schreiben? Serpil: „Alle haben gesagt, Mensch, ihr seid doch verrückt, nach Berlin zu gehen, da gibt’s doch überhaupt kein Geld! Von wegen: Uns sponsert der Hauptstadtkulturfonds. Ich habe damit aufgehört, weil ich etwas anderes machen wollte, nicht, weil ich keinen Job mehr kriegen könnte. Entweder Berlin breitet die Arme aus und du bist willkommen, oder du hast es sauschwer. Uns hat Berlin mit offenen Armen empfangen.“ Aber, so lautet eins der Lebensmotti von Nursel Köse: „Egal wohin die Reise geht, du nimmst dich selbst im Koffer mit.“

Premiere im Theater „Zerbrochene Fenster“, Fidicinstraße 3: heute und Freitag, jeweils 20 Uhr. Weitere Aufführungen bis 29. März. Infos unter Tel. 6 94 24 00 oder www.diebodenkosmetik.de