Spröde Bigband-Variante eines Provinz-Soundtracks: die amerikanische Band Lambchop in der Fabrik
: Alltagstristesse, verkatert

Der Musiker Kurt Wagner hatte sich eine so einfache wie exakte Vorgabe gesetzt: Drei Monate lang werde er jeden Tag genau einen Song schreiben. Wagner meinte es bitter ernst. Der Mittvierziger mit Trucker-Basecap, schwarzer Hornbrille, mächtigen Gläsern und schlechten Zähnen ist es gewohnt beschmunzelt zu werden.

Er ist in Nashville, Tennessee, aufgewachsen, einer Gegend wie ein Postkartenklischee: Country, Whiskey, Western, Stetson. Vor zehn Jahren hat Kurt Wagner dort die Band Lambchop ins Leben gerufen.

Zwölf feste Mitstreiter hat seine Combo, oft werden es mehr. Fünf Gitarren, Flöten, Flügel, Klarinetten, allerlei Beiwerk und Zierart schmeicheln den spröden Liedern, die Kurt Wagner schreibt. Das erste Album I Hope You‘re Sitting Down erscheint 1994, ein Jahr später How I Quit Smoking. Zuschauer und Kritiker nähern sich zögerlich dieser schwer fassbaren Musik. Zumindest im Plattenregal werden Lambchop unter Country und Western wegsortiert. Klingt ja auch einleuchtend: wohnhaft Nashville, langsame Gitarren, brummelige Texte und jede Menge Dorf und Provinz.

Spielen sie also beides – Country und Western? Tun sie. Und noch viel, viel mehr. Denn weit bunter ist die Palette, aus der sich Wagner seine Version von Lo-Fi-Songwritertum gestaltet. Die Leihgaben holt er sich aus populärer Americana, und das nicht im Schulsinne. Wilco, Calexico oder Vic Chestnut sind Geistesverwandte. Alte Motown-Weisheiten, ein wenig Funk, Blues und Soul klingen durch.

Die vielköpfige Bigband intoniert Erstaunliches dazu, er selbst knarzt ins Mikro, sabbelt schlecht Verständliches, dass man an die dandyhafte Weltsicht des Tindersticks-Gentlemans Stuart Staples denkt. Droht alles zu kopflastig zu geraten, sinniert Wagner in seinen Texten über Kloverstopfung und Fleischqualität. Zwei Alben benennt er mit Spürsinn für kleine Schmunzler Thriller (1997) und Nixon (2000). Bei Konzerten sitzt er.

Nun haben Lambchop ein neues Album, ein doppeltes mit den schönen Titeln Aw C‘Mon und No You C‘Mon – eine kleine Plänkelei à la „Ach, hör schon auf!“ – „Nein, hör du auf!“. Höchst angenehm rinnt es vor sich hin, diese eigentümlich sanfte Musik mit scheinbar willkürlichen Ausbrüchen. Eine nachlässig und verkatert gespielte Alltagstristesse, die mit warmen Bläsern versöhnt wird, aber streckenweise vor sich hin plätschert wie eine endlose, schnurgerade Landstraße.

Kurt Wagners Selbstgeißelung, jeden Tag einen Song schreiben zu müssen, fand übrigens noch entzückte Abnehmer. Das San Francisco International Film Festival gab Musik zu F.W. Murnaus Stummfilm Sonnenaufgang von 1927 in Auftrag. Was natürlich kein Problem war. Genügend Material für den Schwarz-Weiß-Klassiker hatte er ja bereits. Einer geregelten Arbeitsethik sei Dank. Volker Peschel

Sonntag, 21 Uhr, Fabrik