Subkontinent der Engelmacherinnen

In Uruguay hat der Streit über ein fortschrittliches Abtreibungsrecht zum Zerwürfnis zwischen Präsident Tabaré Vázquez und seiner eigenen sozialistischen Partei geführt. In den meisten Ländern Lateinamerikas sind Abtreibungen noch immer verboten

AUS BUENOS AIRES JÜRGEN VOGT

Uruguays Staatspräsident Tabaré Vázquez ist aus der Sozialistischen Partei ausgetreten. Er zog damit die Konsequenz aus der harschen Kritik an seinem Präsidentenveto gegen eine Neureglung des Abtreibungsrechts. Seine Genossen hatten ihm in dieser Frage die Gefolgschaft verweigert und angekündigt, eine nach Vázquez kommende Regierung bei der Lockerung des Abtreibungsrechts zu unterstützen.

Vázquez hatte im November das neue Abtreibungsgesetz gestoppt, nachdem es bereits alle parlamentarischen Hürden genommen hatte. Mit der Neuregelung wäre Uruguay Vorreiter in Lateinamerika gewesen.

Nach dem neuen Gesetz könnte eine Frau in den ersten zwölf Wochen darüber entscheiden, die Schwangerschaft abzubrechen – unter bestimmten, recht weitgefassten ökonomischen, sozialen oder familiären Bedingungen. Nach der 12. Woche bleibt Abtreibung strafbar, mit zwei Ausnahmen: wenn eine Gefahr für das Leben der Mutter oder des Fötus besteht.

Das neue Gesetz sollte die bestehende Regelung aus dem Jahr 1938 ablösen. Danach ist ein legaler Schwangerschaftsabbruch nur bei akuter Gefahr für das Leben der Mutter und nach einer Vergewaltigung möglich. Frauenorganisationen schätzen jedoch, dass jährlich rund 35.000 illegale Abtreibungen vorgenommen werden. Die oft nicht fachgerechten Eingriffe unter unhygienischen Bedingungen können große Komplikationen zur Folge haben.

So oder so ähnlich ist es in den meisten Ländern Lateinamerikas. Fast überall ist ein Schwangerschaftsabbruch nur legal, wenn Leben oder Gesundheit der Mutter gefährdet sind – in El Salvador und Nicaragua nicht einmal dann. Die Gesetzeslage in Costa Rica, Guatemala, Haiti, Paraguay, Peru und Venezuela sieht keine weiteren Ausnahmen vor, auch nicht bei Vergewaltigung. In Peru, Venezuela, Honduras und Chile ist zumindest die „Pille danach“ legalisiert. Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt die Zahl unerlaubter Schwangerschaftsabbrüche in Lateinamerika auf jährlich 3,7 Millionen. Für 4.000 bis 6.000 Frauen endet der klandestine Eingriff tödlich.

In Argentinien etwa wird Abtreibung seit 1921 strafrechtlich verfolgt, es droht eine Haftstrafe von bis zu vier Jahren. Ausnahmen sieht das Gesetz vor, wenn eine gesundheitliche Gefahr für die Schwangere besteht oder eine geistig verwirrte Frau vergewaltigt wurde. Nach Schätzungen werden jährlich bis zu 500.000 illegale Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen. Vor drei Jahren startete eine Kampagne für das Recht auf legale, medizinisch vorgenommene und kostenfreie Abtreibung. Im Mai 2007 wurde dem Kongress ein entsprechender Gesetzesentwurf vorgelegt. Passiert ist seither wenig.

Auch in Brasilien ist die Möglichkeit der legalen Abtreibung nur gegeben, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist oder wenn die Schwangerschaft Folge einer Vergewaltigung war. Ansonsten gilt die Abtreibung als Vergehen, das mit bis zu vier Jahren Gefängnis bestraft werden kann. Nach allgemeinen Schätzungen kommt es jährlich zu 1,5 Millionen illegalen Schwangerschaftsabbrüchen. Ein Gesetzesentwurf zur Legalisierung wurde im Juli 2008 abgeschmettert. Laut Umfragen sind auch rund zwei Drittel der Bevölkerung dagegen.

Die Debatte in Uruguay wird in ganz Lateinamerika aufmerksam verfolgt. Zwar kam die notwendige Dreifünftelmehrheit im Kongress nicht zustande, mit der das Präsidentenveto hätte überstimmt werden können, aber das Thema wird im Kampf um die Präsidentschaftswahl im Oktober 2009 eine wichtige Rolle spielen.