Staatschef suspendiert

In Südkorea wird kurz vor den Parlamentswahlen gegen den Präsidenten ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet. Opposition fühlt sich beleidigt

VON SVEN HANSEN

Mit mehr als der benötigten Zwei-Drittel-Mehrheit hat Südkoreas Parlament gestern ein Amtsenthebungsverfahren gegen Staatspräsident Roh Moo Hyun beschlossen. Damit ist der 57-Jährige suspendiert, bis das Verfassungsgericht über die Rechtmäßigkeit der Amtsenthebung entscheidet. Die Richter haben dafür maximal sechs Monate Zeit. So lange ist Ministerpräsident Go Kun kommissarisches Staatsoberhaupt.

Roh, der bei den am 15. April anstehenden Parlamentswahlen verfassungsgemäß zur Neutralität verpflichtet ist, wird vorgeworfen, in einem Interview gesagt zu haben, alles in seiner Macht Stehende tun zu wollen, um die ihm nahe stehende Uri-Partei zu unterstützen. Die Wahlkommission rügte ihn deshalb, sah aber von Sanktionen ab.

Die 47 Uri-Abgeordneten versuchten die gestrige Abstimmung zu verhindern. Sie hatten im Plenarsaal übernachtet und den Arbeitsplatz des Parlamentspräsidenten besetzt. Nachdem der am Vortag noch nachgegeben hatte, ließ er gestern die Blockierer von Sicherheitskräften räumen. Dabei kam es zu Rangeleien und chaotischen Szenen. Uri-Abgeordnete riefen die Nationalhymne oder „Stoppt den Putsch!“. Einige brachen in Tränen aus oder warfen mit Schuhen, einer mit einer Wahlurne.

Uri ist eine Abspaltung der Demokratischen Milleniumspartei (MDP). Als deren Kandidat hatte der frühere Menschenrechts- und Gewerkschaftsanwalt Roh die Präsidentenwahl im Dezember 2002 gewonnen. Später überwarf er sich jedoch mit der MDP. Von deren Abgeordneten verließen einige die Partei und gründeten Uri.

Der von der Bevölkerung direkt gewählte Roh konnte noch nie auf eine Mehrheit im Parlament bauen. Dort ist die konservative Große National-Partei (GNP) stärkste Kraft. Bei den Parlamentswahlen musste die MDP bisher damit rechnen, Mandate an Uri zu verlieren. Gestern stimmten MDP und GNP gemeinsam gegen Roh.

Die MDP hatte zuvor von Roh eine Entschuldigung verlangt, die der verweigerte. Bis vorgestern rechnete niemand ernsthaft damit, dass es erstmals in Südkoreas Geschichte ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten geben würde. Doch am Donnerstag brachte Roh mit einer Rede die MDP weiter gegen sich auf. Als er gestern versuchte, die Wogen zu glätten und die geforderte Entschuldigung abgab, war es zu spät.

Roh und die Uri-Partei sind optimistisch, dass er vom Verfassungsgericht wieder eingesetzt wird. Ihrer Meinung nach ist eine Amtsenthebung nur bei Landesverrat oder grobem Fehlverhalten möglich. In Umfragen sprachen sich mehr als 60 Prozent gegen eine Amtsenthebung aus.

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