„Eine Mauer des Schweigens“

Ein Einzeltäter soll verantwortlich gewesen sein für die sexuellen Übergriffe im Abschiebegewahrsam. Doch die Insiderin Ghislaine Valter hat noch Fragen

Bremen taz ■ Laut Abschlussbericht der Untersuchung von sexuellen Übergriffen und Porno-Sessions im Abschiebegewahrsam hat es sich um einen Einzeltäter gehandelt (taz berichtete). Doch das Bild, das sich der externe Ermittler gemacht hat, ist unvollständig, sagt Ghislaine Valter, die für die Gruppe Grenzenlos seit Jahren ehrenamtlich Abschiebehäftlinge betreut.

taz: Einzeltäter, Einzelfall – entspricht das Ihrem Bild von den Zuständen im Abschiebegewahrsam?

Ghislaine Valter: Ob das Einzelfälle sind, könnten nur die betroffenen Frauen sagen. Erstaunlicherweise waren alle vier Frauen von den Fotos nicht auffindbar. Wie ist nach ihnen gesucht worden? Nur auf dem offiziellen Dienstweg? Es gibt eine Mauer des Schweigens. Ich weiß von Polizisten derselben Schicht, die 1998 die Gerüchte gemeldet haben. Die haben sich im Stich gelassen gefühlt. Ob es ein Einzeltäter war, das kann ich nicht sagen.

taz: Ein anderer Beamter soll eine Rüge dafür bekommen, dass er Erotik-Videos im Abschiebegewahrsam gedreht hat. Ebenfalls ein Einzelfall?

Vor anderthalb Jahren ist ein männlicher Abschiebehäftling durch die Zwischendecke gekrochen und hat die ganze Nacht in einer Frauenzelle verbracht. Die Beamten, die am Morgen die Tür geöffnet haben, haben nicht schlecht gestaunt. Meine Frage ist: Was ist da unternommen worden? Und hat man die Frau eigentlich mit Dolmetscherin befragt, ob sie das freiwillig gemacht hat, oder gegen Geld. Oder war das vielleicht ein Liebespaar?

Das wäre denkbar?

Warum nicht. Abschiebehäftlinge sind ja keine Straftäter. Obwohl sie oft so behandelt werden: Am Dienstag ist ein Libanese abgehauen, daraufhin haben alle in der vergangenen Woche keinen Hofgang mehr gehabt. Das ist ein klarer Verstoß gegen das Vollzugsgesetz. Wir haben immer gefordert: Es muss einen Sozialarbeiter geben.

Die Stelle ist ausgeschrieben.

Ja, sogar 20 Stunden die Woche. Das wäre nicht passiert, wenn es nicht diesen Skandal gegeben hätte. Früher wurde über 20 Stunden im Monat geredet. Aber da steht in der Anzeige: befristet auf ein Jahr. Warum das? Und der Sozialarbeiter soll bei der Polizei eingestellt werden, ist also weisungsgebunden. Es wäre besser, wenn man diese Aufgaben einem freien Träger übertragen hätte. Man wird nie eine kritische Stimme erwarten können von jemandem, der von der Polizei bezahlt wird und einen befristeten Vertrag hat.

Fragen: K. Wolschner