sicherheit im verkehr
: Das Recht des Schwächeren

Für Radfahrer geht es um Leben oder Tod. Jeden Tag von Neuem. Tagtäglich überleben abertausende Kölner, die den Drahtesel dem PKW oder dem Öffentlichen Nahverkehr vorziehen, nur knapp die Attentate der Herrscher der Straße. Ob Ecke Neusser/Innere Kanalstraße oder Aachener/Universitätsstraße – jeder, der sich dem motorisierten Terror aussetzt, wird an den Kreuzungen dieser Stadt förmlich genötigt, mögliches Fehlverhalten der Autofahrer zu antizipieren, um nicht umgenietet zu werden. Muss sich gleichsam in die Köpfe derjenigen hinein versetzen, die, wie man unterstellen darf, doch in der Fahrstunde gelernt haben sollten, dass beim Rechtsabbiegen Rücksicht auf mögliche andere Verkehrsteilnehmer kein Luxus ist.

Kommentar von Henk Raijer

Ein Blick in das Innere eines parallel fahrenden Autos, dessen Fahrer den rechten Blinker angeworfen hat, genügt, um zu erahnen: Wenn ich mich jetzt als Radfahrer auf meine grüne Ampel verlasse, bin ich hin! Es regiert die schiere Ignoranz. Und der ist mit verbesserten LKW-Spiegeln, Warnschildern oder zusätzlichen Ampeln nicht beizukommen. Die Aussage „Ampeln bieten Schutz“, wie sie von Seiten der Stadtverwaltung gemacht wird, ist gemessen an der mörderischen Praxis im Kölner Straßenverkehr der blanke Hohn.

Alles, was Radfahrer und Fußgänger vor den Anschlägen motorisierter Ignoranten bewahren könnte, tut Not. Verkehrsberuhigende Maßnahmen können dazu beitragen. Aber Verhalten im Verkehr ist vor allem eine Frage von Bewusstsein und Erziehung in Richtung Gleichberechtigung – übrigens nicht nur von Verkehrserziehung in einem Land, das so sehr dem Fetisch Automobil aufsitzt. Europaweit werden, mit EU-Mitteln gefördert, seit Jahren Kreuzungen mit Ampelschaltung durch Kreisverkehr ersetzt – nicht zuletzt um Staubildung entgegenzuwirken. In den USA gibt es an vielen Kreuzungen gar keine Ampeln, dort braucht man nicht mal eine Regel Rechts vor Links. US-amerikanische Autofahrer tasten sich im Schildkrötentempo an eine Kreuzung heran und verharren dort eine halbe Ewigkeit, bis es durch Blickkontakt zu einer Art Gentlemen‘s Agreement kommt, wer als Erster losfährt.

Im radfahrerfreundlichen Holland gibt es in den Städten sichere Radwege und eine Vielzahl von Radunterführungen. Wer dort seinen Führerschein macht, spürt nach 45 Minuten Dauerstress auf der rechten Seite jeden einzelnen Halsmuskel. Natürlich kommt es auch in Amsterdam oder Venlo zu Unfällen mit Radfahrerbeteiligung. Doch hat der Gesetzgeber in den Niederlanden vor mehreren Jahren festgelegt, dass, egal wer das Übel verursacht hat, auf jeden Fall der Autofahrer die Schuld trägt. Wer dort also trotz Verkehrserziehung in Schule und Fahrstunde immer noch nichts gelernt hat, passt schon deswegen im Stadtverkehr auf, weil er fürchtet, im Falle eines Unfalls haftbar gemacht zu werden. Zugegebenermaßen eine schwarze Pädagogik. Aber das Prinzip stimmt. Es lautet: Schutz des Schwächeren.