Im Schweinsgalopp nach Europa

Züchter Kurucz kann auch billiger

Schweine sind das Leben des Bauern Ferenc Kurucz. Er hat viereinhalbtausend Schweine, und er lebt gut von ihnen. Schweine sind auch die große Leidenschaft von Kurucz. Er ist geradezu vernarrt in sie. „Das Schwein“, sagt er, „ist ein liebes, humorvolles Tier. Es ist ungeheuer klug, und es denkt nach. Deshalb kann man auf einem Schwein auch nicht reiten.“

Kurucz ist ein gemütlicher, kleiner Mann von 55 Jahren. In seinem Büro hängen Bilder von Schweinen. Freunde schenken ihm laufend Schweinefiguren, er stellt sie in eine Vitrine. Sie lachen, spielen Cello oder räkeln sich im Liegestuhl.

In dem kleinen südostungarischen Dorf Ebes hat Ferenc Kurucz 1972 als Schweinezüchter angefangen. Hier gründete er nach der Wende und dem Niedergang des Staatsgutes 1990 mit seiner Tochter Ágnes einen eigenen kleinen Schweinemastbetrieb. Heute hält er neben 4.500 Schweinen noch 500 Schafe, 100 Kühe und baut auf 200 Hektar Land Futtermais und Kartoffeln an. 200 Leute arbeiten bei ihm.

Reihenweise mussten in den vergangenen Jahren Tierzuchtbetriebe schließen, auch große. Kurucz’ Betrieb wuchs langsam, aber stetig. Der EU-Beitritt Ungarns steht unmittelbar bevor, die ungarischen Bauern schlagen Alarm. Kurucz bleibt gelassen. „Niemand hat mir befohlen, dass ich Schweine halten soll“, sagt er, „Es war meine eigene Entscheidung.“ Natürlich gebe es eine Krise und zu viel Fleisch auf dem Markt. „Ich werde sehen, ob ich die Krise überstehe“, sagt er gelassen. „Wenn nicht, ist jedenfalls nicht die EU schuld daran.“

Kurucz hat viel Geld bekommen vom ungarischen Landwirtschaftsministerium, seit er eigenständiger Bauer ist. Er hat kaum eine Bewerbungsmöglichkeit für Gelder aus Agrarfonds ausgelassen. Ein paar zehntausend Euro waren es mindestens jedes Jahr, schätzt er. Von dem Geld konnte er Ställe bauen und Traktoren kaufen.

Aber sein eigentliches Erfolgsrezept, sagt Kurucz, sei, dass er einfacher und natürlicher arbeite als andere, und deshalb auch billiger. Er besitzt keine teuren elektronischen Stallanlagen, gibt keine Medikamente und kauft kein teures Kraftfutter. Er verfüttert selbst angebauten Mais und Kartoffeln. Mit dem Maisstroh legt er die geräumigen Ställe aus, und der Dung kommt wieder auf den Acker, so hat er kein Gülleentsorgungsproblem.

Kurucz ist stolz darauf, wie er seine Schweine hält. Längst hat er von den Behörden alle Bescheinigungen darüber erhalten, dass sein Betrieb EU-Vorschriften entspricht. War es jemals anders? Er zuckt mit den Schultern. Er kann sich nicht erinnern.

Nur die Bürokratie wird ins Unermessliche wachsen, da ist sich Kurucz sicher. Einen Vorgeschmack darauf hat er Ende letzten Jahres bekommen, als er sich um einen EU-Zuschuss für einen neuen Mähdrescher bewarb. Früher reichte es, ein paar ordentlich ausgefüllte Formulare ans Landwirtschaftsministerium zu schicken. Für den EU-Zuschuss musste er einen halben Meter Akten abliefern. „Die EU will zwanzig Sätze für etwas, was man mit einem Wort ausdrücken kann“, sagt Kurucz. Er nimmt es mit Humor. „Wenn sie das so wollen und ich kriege dafür die Hälfte des Geldes für einen neuen Mähdrescher, dann sei’s drum.“

Nein, von der EU erwartet er weder Wunder noch Übel. Und am 1. Mai, dem Tag, an dem Ungarn beitritt, wird er weder feiern noch trauern. „Ich werde bei meinen Schweinen sein“, sagt Kurucz, „wie an allen anderen Tagen auch.“

Schlachter Kriston tippt sich an die Stirn

Gáspár Kriston stöhnt. Die Lieferfrist. Er erwartet eine Ladung Schweine von Ferenc Kurucz. Der Großhändler hat schon mehrmals angerufen, er braucht Schweinehälften. Dann ist da noch die andere Frist. Die namens Derogation: die Übergangsfrist von der EU, die Kriston einhalten muss, damit er auch in Zukunft weiter schlachten darf.

Kristons Schlachthof steht im ostungarischen Ort Füzesabony. Kriston ist 55 Jahre alt und sein Leben lang Schlachter gewesen. Niemand muss ihn, den besten Schlachter der Gegend, belehren. Die EU hat es getan. Vor zwei Jahren. Er runzelt noch immer die Stirn.

„Da sind drei Leute extra aus Brüssel gekommen, ein Deutscher, ein Ire und ein Holländer“, ruft Kriston laut aus. „Die haben in meinem Betrieb jede Ecke inspiziert und in jedes Loch geschaut. Sogar in die Toilettenbecken.“ Seine Stimme dröhnt durchs Büro. Kriston ist ein großer, korpulenter Mann mit Händen wie Bärenpranken. Er haut auf den Tisch, dass es kracht.

Am Ende der akribischen Inspektion hatten die Inspektoren herausgefunden, dass Kriston nicht EU-kompatibel war. Sie drückten ihm eine Liste in die Hand, auf der stand, was er tun müsse, um kompatibel zu werden. Die Tiere würden beispielsweise im Winter einen beheizten Ruheraum brauchen, im Sommer ein Gehege mit Dusche. Und Spielzeug zur Entspannung. Kriston tippt sich an die Stirn.

Er hat noch Glück gehabt. Ende letzten Jahres wurden in Ungarn mehrere Dutzend Schlachthöfe geschlossen, weil sie die EU-Richtlinien zur Veterinärhygiene und Lebensmittelsicherheit trotz Übergangsfristen nicht erfüllen konnten. Und vor dem EU-Beitritt des Landes wollen die ungarischen Behörden noch zahlreiche weitere Betriebe schließen. Von den derzeit etwa 300 Schlachthöfen werden wohl nur etwa 170 überleben. Kriston hofft, das sein Schlachthof einer davon ist.

Seine Frist läuft bis Ende 2006. Letzten Herbst hat er mit dem Umbau seines Betriebes angefangen. Er lässt die Schlacht- und Fleischverarbeitungsräume neu kacheln und am Eingangstor für das Personal eine Sanitärschleuse bauen. Der Betrieb braucht eine getrennte Kanalisation für Abwasser und Blut und separate Lieferpforten für Rohfleisch und für Wurstwaren. Dazu kommt die Dokumentation. Alles muss Kriston künftig dokumentieren. Viermal am Tag auch die Temperatur der Kühlräume. Kriston stöhnt.

Bis kurz nach der Wende hat er auf dem Staatsgut in Füzesabony gearbeitet, als Leiter des Schlachtbetriebes. Als das Gut 1992 aufgelöst wurde, übernahm er die Schlachterei, baute sie aus und beschäftigt heute 20 Leute. Jetzt mit 55 ist Kriston zu alt, um noch etwas Neues zu beginnen. Auch anstellen würde ihn wohl niemand mehr. Er muss die Derogation einhalten. Sonst wird sein Betrieb geschlossen und er steht er vor dem Nichts.

Kriston geht zum Regal in seinem Büro und holt eine Flasche fünfzigprozentigen Pflaumenschnaps hervor. Er schreit durch die geschlossene Tür nach seinem Bürogehilfen: „He, Jancsi, bring mal Brot und eine Wurstplatte!“ Dann gießt er sich ein Gläschen ein und lässt sich in den Sessel fallen. „Sicher“, sagt er, „einige Sachen, die die EU mir vorschreibt, sind notwendig, das sehe ich ein. Aber ehrlich gesagt, ich hätte es auch ohne die EU ausgehalten.“

Kriston sieht müde und gehetzt aus. „Wir sollen nur so halb dazu gehören, nicht wirklich, deshalb denken sie sich in Brüssel den ganzen bürokratischen Unsinn aus“, schimpft er. Jetzt würde er am liebsten drastisch fluchen. „Die EU ist …“, hebt er an, hält inne und sucht nach einem passenden Vergleich. „Die wollen mit der Braut ins Bett“, ruft er dann. „Aber bei der Hochzeit soll sie Jungfrau sein.“

Großhändler Ináncsy macht in Immobilien

Noch kauft Miklós Ináncsy seine Schweinhälften bei Gáspár Kriston in Füzesabony. Vielleicht nicht mehr lange. Der Fleischgroßhandel ist für ihn nur noch ein zweitrangiges Geschäft, sagt er. Vielleicht steigt er bald ganz auf Immobilien um.

Miklós Ináncsy, 54, ist Generaldirektor und Mitbesitzer des Budapester Fleischgroßhandels „Húsnagyker KV“. Er hat seine Karriere als Direktor einer LPG in Ostungarn begonnen. Vor zwanzig Jahren kam er nach Budapest. In den südlichen 9. Bezirk, dahin, wo die Straßen Namen tragen wie Schlachthof-Straße oder Fleischerbeil-Straße. Die Zeit hat das Fleischerviertel vergessen. Hier stehen riesige Gebäude mit leeren, grauen Fassaden. Drinnen hängen Bilder von Salamis mit Schleifchen in Rot-Weiß-Grün, den Nationalfarben.

„EU-Beitritt und Freundschaft hin und her“, sagt Miklós Ináncsy, „die strategischen Betriebe der Landwirtschaft hätten in ungarischer Hand bleiben müssen.“ Seine Stimme klingt resigniert. Es ist nicht zu ändern, sagt sie.

Húsnagyker KV war einst der Monopolist im Budapester Fleischgroßhandel. Bis Mitte der Neunzigerjahre belieferte die Firma die kleinen Fleischereien. Dann kamen die internationalen Konzerne, riesige Handelsketten, die ganze Zweige aufkauften, vom Erzeuger bis zum Vermarkter. Für Húsnagyker KV begann der Abstieg. Die kleinen Fleischereien starben, weil sie im Preiskampf nicht mithalten konnten. Und weil auch Miklós Ináncsy nicht mithalten konnte, kauften die Ketten ihr Fleisch nicht mehr bei ihm. So sieht seine kurze Geschichte des postkommunistischen Fleischhandels aus.

Jetzt hält seine Firma sich nur noch mit Ausschreibungen des öffentlichen Dienstes über Wasser. Ináncsy beliefert die Küchen von Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern und der Polizei, weil die vorzugsweise von kleinen ungarischen Lieferanten kaufen. „Zwei, drei Jahre noch, dann werde ich aus dem Fleischgeschäft aussteigen, es lohnt nicht mehr“, sagt Ináncsy. „Die Ausländer haben alles billig gekauft und jahrelang Steuervergünstigungen genossen. Wie sollen wir Ungarn da mithalten?“

Ináncsy ist nicht wirklich empört. Zum Glück hat er ja noch die Immobilienagentur. Er vermietet Wohnungen, er ist Teilhaber an einem Weingut. Und er hat einen Ausländer an der Hand, einen guten österreichischen Geschäftspartner. Mit dem will er Hotels eröffnen und ins Tourismusgeschäft einsteigen.