Dem Tod einen Schritt voraus

Die Lungenkrankheit Mukoviszidose um mehr als die statistisch beglaubigten 20 Jahre überlebt: Masochist Bob Flanagan, an den das 3001 jetzt mit dem Film „Sick – The Life and Death of Bob Flanagan, Supermasochist“, erinnert

„,Mittlerweile sollte er schon tot sein, aber.‘ So fangen alle Artikel an, die über mich geschrieben werden.“ Bob Flanagan liegt mit breitem Grinsen auf einem OP-Tisch. Das Publikum lacht, denn der Witz ist gut: Der ihn erzählt hat Mukoviszidose, eine Lungenkrankheit, die oft schon im frühen Kindesalter, meist aber spätestens Anfang 20 zum Tod führt. Bob Flanagan ist damals jedoch schon Anfang 40 und immer noch am Leben. Ein Supermann der Mukoviszidose sozusagen, ein Tritt in den Arsch der obszönen Mutter Natur.

Mittlerweile kann Flanagan seinen Gag nicht mehr erzählen. Als er am 4. Januar 1996 starb, war er der älteste Überlebende der Krankheit. Die letzten Jahre seines Lebens hat ihn der Filmemacher Kirby Dick mit der Kamera begleitet. Heraus kam die Biografie eines Künstlers, dessen Grundthese war, dass sich „Krankheit mit Krankem“ bekämpfen lässt.

Schon von frühester Kindheit an drehte sich bei ihm alles um die Krankheit und die mit ihr verbundenen Schmerzen, einen Großteil seiner Jugend verbrachte Flanagan als Objekt medizinischer Forschung. Masturbation und die möglichst luftdichte Verpackung in Decken ermöglichten erste Lustgewinne im zarten Alter von sieben. Außerdem gaben solche Praktiken Flanagan die Kontrolle über seinen Körper zurück.

Die künstlerische Initialzündung brachte Flanagans Begegnung mit der Fotografin Sheree Rose. In einem gemeinsamen Vertrag räumte Bob der Partnerin weitgehende Rechte im Umgang mit seinem Körper ein. Ein Verzicht, der paradoxerweise eine erhöhte Kontrolle mit sich brachte. Und während sie zum Beispiel während der Performance Autopsie Nadeln durch die Penishaut sticht, erklärt Sheree, dass der Masochist der bessere Sadist und eine wirklich starke Persönlichkeit ist, fordert er doch ständig eine härtere Gangart, eine weitere Grenzverschiebung ein.

Es ist unglaublich, welche Versehrungen Bob Flanagan seinem Körper zufügte/zufügen ließ, um der Krankheit immer einen Schritt voraus zu bleiben. Wie er im Rahmen einer Ausstellung erklärte, ging es ihm in erster Linie darum, „verrückter Wissenschaftler und nicht Versuchskaninchen“ zu sein. Später wurde er von Sheree mit den Füßen voran aus einem Krankenhausbett, das Teil der Installation ist, an die Decke der Halle gezogen.

Himmelfahrt nennt sich das Werk, das einen weiteren Aspekt von Flanagans Arbeit verdeutlicht. Eines der Vorbilder des Katholiken Flanagan ist Jesus, „der berühmteste aller Masochisten“. Und was für viele Zuschauer als filmische Mutprobe beginnt, entpuppt sich schnell als einfühlsames Porträt eines humorvollen und vielseitigen Künstlers. Wie er da vorm Publikum steht, in S/M-Clubs oder Galerien, die Vorträge unterbrochen von Hustenanfällen, aus den Nasenlöchern merkwürdige Schläuche ragend, wie er da so rumsteht und aus seinem „Fuck Journal“ vorliest oder lustige Lieder singt („My girlfriend was a farmer ... well farmerceutical.“), muss man ihn einfach gern haben.

Selbst seine extremste Performance ist ein dem Tod geschlagenes Schnippchen, und der eigentliche Skandal des Films ist denn auch keineswegs die berühmte Nagel-Performance, sondern das authentisch auf Film gebannte Sterben des Künstlers. „Ich versteh‘ das nicht“, wispert Flanagan im Krankenhausbett Sheree ins Ohr, wenig später ist er tot. Da vergeht einem kurz das befreiende Lachen, das einen seit Beginn des Films ergriffen hat. Dann hört man zu Bildern aus Bobs Jugend, wie er sein schönes Gedicht „Why“ vorträgt (http://www.heliotrope.net.au/mordwen/other/flanagan1.html), schließlich, die Credits laufen schon, eines seiner Lieder: „It‘s fun to be dead, fun to be dead, la la la la la la. Problems, problems, everybody‘s got them, not me. Not me.“ Bob Flanagan, Supermasochist, kann man eben nicht bezwingen.

Volker Hummel

Sick – The Life and Death of Bob Flanagan, Supermasochist. Premiere mit Gästen aus der Hamburger SM-Szene: 17.5., 20 Uhr. Weitere Vorstellungen: 22.5.–28.5. um 22.30 Uhr, 3001