Angebot ohne Nachfrage

Die Vereinigten Staaten wollen ihren Demokratiebegriff in den islamischen Staaten vermarkten. Aber ihre Marketingstrategie ist so fraglich wie die Qualität des Produkts

Die US-Bemühungen um Demokratie sind ein Vehikel für wirtschaftliche und geostrategische Interessen

In einer Welt, in der alles marktförmig organisiert ist, kann natürlich auch die Demokratie zur Exportware werden. Aber wenn „Demokratie“ George W. Bushs Version der US-amerikanischen Geschichte und Gesellschaft meint, dann zeigt ein Großteil der Welt ein ziemliches Maß an Konsumverweigerung. Neueste Umfragen in den USA zeigen, dass diese Haltung von der Hälfte der amerikanischen Wählerschaft geteilt wird.

Angesichts dessen scheint derzeit kaum der richtige Moment für die Behauptung der deutschen Bundesregierung, ihr Projekt einer Demokratisierung des Mittleren Ostens sei mit dem weitaus umfassenderen US-Vorhaben vereinbar, die Demokratie der gesamten islamischen Welt von Marokko bis Indonesien zu bescheren.

Die USA waren im vergangenen halben Jahrhundert nicht gerade auffällig enthusiastisch bezüglich der Demokratie in der muslimischen Welt. Vielmehr verfolgten sie eine Politik, für die der Sturz des iranischen Staatschefs Mossadeq durch die CIA, die unerschütterliche Unterstützung Saudi-Arabiens und der indonesischen und pakistanischen Militärregime beispielhaft sind. Im Hinblick auf die Grundrechte in Palästina schweigt Amerika lauthals. Der stellvertretende US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz war im vergangenen Jahr derart irritiert von der Beharrlichkeit, mit der sich die türkische Regierung um nationale Unabhängigkeit bemühte, dass er die treuen US-Freunde im türkischen Militär aufrief, zu intervenieren. Vergangenen Monat empfing Bush den tunesischen Präsidenten Ben Ali – nicht eben ein gutes Beispiel für den Willen zur Demokratie – im Weißen Haus. Im Irak ist die US-Regierung mehr als besorgt, die Bevölkerung könnte, wenn es denn endlich zu Wahlen kommt, die falschen Entscheidungen treffen – also dafür stimmen, die amerikanische Besatzung zu beenden.

Die Protagonisten dieser US-Marketingstrategie behaupten, die herausragenden Qualitäten der amerikanischen Demokratie, unserer Wirtschaft und unserer militärischen Macht gäben unserer Nation das einmalige moralische Recht, die Welt zu beherrschen. Ich kann nicht beurteilen, ob sie das wirklich ernst meinen … Einige von ihnen mögen tatsächlich meinen, was sie sagen. Das mag auch für den Präsidenten selbst gelten: Kritischer Intellekt gehört nicht zu seinen auffälligsten Tugenden.

Andere werden in der Kampagne zur Demokratisierung eine Möglichkeit sehen, ideologische Dienstleistungen zu Konditionen loszuschlagen, die sonst höchstens Halliburton für Benzin bekommt. Dies scheint etwa die Sichtweise der israelischen Lobby zu sein. Wenn die Demokratie bei den Muslimen nur von außen eingeführt werden kann, dann stimmt Israels Bewertung, dass sie nicht in der Lage sind, sich selbst zu regieren. Zudem ermöglicht die Einmischung der USA in die Angelegenheiten islamischer Länder Israel durch seine Lobby im öffentlichen Leben Amerikas indirekt eine wesentliche Rolle in diesem Prozess.

Klar ist, dass die US-Bemühungen um Demokratie ein Vehikel für wirtschaftliche und geostrategische Interessen sind. Die amerikanische Vorstellung von Demokratie schließt die Besitzverhältnisse nicht ein. Die Herrschaft des Volkes darf die Herrschaft des Markts nicht untergraben. Eine demokratische Regierung, die die Bereitstellung von US-Militärbasen ablehnt, gesteht ein, dass es ihr an demokratischer Hingabe fehlt. 1898, als die moderne Phase des US-Empires begann, waren Theodore Roosevelt und seine Zeitgenossen noch von der biologischen Überlegenheit der Angelsachsen überzeugt; ihre multikulturellen Nachfahren sind nicht weniger ethnozentrisch.

Die Probleme, die sich aus der entschlossenen Verbreitung der Demokratie ergeben, gehen weit über diese amerikanische Oberflächlichkeit hinaus. Demokratie wächst nicht über Nacht. Die Jahreszahlen 1641, 1776, 1789, 1831, 1848, 1912, 1918, 1989 erinnern uns an den ungeheuren Kampf den es brauchte, um Demokratie auf die historische Agenda zu setzen – und dran, dass Demokratie auch in ihren eigenen Herkunftsländern ein unbeendetes Projekt ist. Die formale Wiederherstellung der Demokratie im damaligen Westdeutschland benötigte die Anstrengungen von „1968“, um Alltagskultur werden zu können. Ich erwähnte das Jahr 1912, die chinesische Revolution. Das chinesische Regime spricht natürlich ungern über seine Dissidenten, die es so gnadenlos verfolgt – aber umso lieber von jeder Wahl in jedem Dorf, die es großzügig toleriert.

Bei der Erwähnung Chinas, der ältesten Kultur und des ältesten Staates der Welt, stellt sich die Frage: Inwieweit ist Demokratie tatsächlich von der westlichen Kultur abgeleitet? Ihr Fortschritt in Europa und den USA beruhte auf der Zerstörung der absoluten Monarchie und auf einem Jahrtausend der Transformation familiärer Strukturen. Kein Zweifel, die modernen europäischen und amerikanischen Nationalismen sind funktionaler Ersatz für afrikanischen und asiatischen Tribalismus; aber unseren primitiven Tribalismus gibt es nicht mehr. Und was die religiösen Wurzeln westlicher Demokratie angeht: Namen wie der von Bischoff Dibelius oder von Papst Pius XII. verweisen darauf, dass diese Verbindung nicht selbstverständlich ist.

Wenn man drei Jahrhunderte historischer und philosophischer Beobachtung sehr, sehr kurz zusammenfasst, dann ergibt sich: Demokratie bedarf eines glücklichen Zusammentreffens struktureller und ideologischer Verhältnisse. Können diese jedoch von außen eingeführt werden – und das in muslimischen Nationen?

Ich halte mich nach jedem Standard und in jeder Hinsicht für in der Lage, Einschätzungen bereits im Voraus abzugeben: Ich kann kein Arabisch, habe weder Islamwissenschaften noch die Geschichte der islamischen Länder studiert und niemals in einem dieser Länder gelebt. Die Frage, ob Demokratie und die sie umgebende spezielle Kultur mit dem Islam vereinbar sind, kann ich nicht beantworten. Ich kann eine andere stellen: Wenn sich das Christentum letztendlich als mit der Demokratie vereinbar erwiesen hat, warum sollte das nicht auch für den Islam gelten? Im Mittelalter etwa brachte dieser mehr Pluralismus mit sich.

Die Probleme der muslimischen Welt sind nicht primär religiös: Der arabische Erinnerung an die Besetzung durch den Westen spielt dort eine immense Rolle. Ähnliche Tendenzen gibt es im Iran, in Pakistan, in Indonesien und im afrikanischen Islam. Das schafft Schwierigkeiten.

In den Jahren seit 1945 haben die USA sich nicht um die Demokratie in der muslimischenWelt bemüht

Gruppen, die islamische Dunkelmänner und autoritäre Regime ablehnen, haben viele gute Gründe, dem Westen zu misstrauen. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass eine von der USA – der letzten imperialistischen Macht – geführte Koalition als Bringer einer freundlichen Form internationaler Pädagogik begrüßt werden wird.

Vielleicht können die Europäer den wichtigsten Beitrag zur Demokratisierung der muslimischen Welt leisten: indem sie die staatsbürgerlichen Rechte vertiefen und ausbauen.

NORMAN BIRNBAUM

Übersetzung: Ute Eggert/RR