Schein und Sein im iranischen Theater

Das Fadjr-Theaterfestival in Teheran ist das wichtigste Forum für aktuelles Theater in der Region. Was ursprünglich als alljährliche Feier der islamischen Revolution gedacht war, hat sich zum Ort der subtilen Gesellschaftskritik entwickelt.

Traum der Ermordung tausender kleiner VögelAuf einem Federkissen

Wir treffen uns in einem kleinen Café-Restaurant im Zentrum der Stadt. Plastikdecken liegen auf den schmalen Tischen, es läuft Musik von John Coltrane, an den Wänden hängen Filmplakate: „Der Dritte Mann“ mit Orson Welles, Hitchcocks „Das Fenster zum Hof“, Bergman, Spielberg.

Zwei Männer in dunkler Kleidung kommen herein, bahnen sich ihren Weg zur Theke, die Musik wird abgestellt, Verhandlungen beginnen. Wenige Minuten später gehen die beiden wieder: Einige Plakate müssen abgehängt werden, Coltrane ist ebenfalls missliebig. Das Foto der unverschleierten iranischen Schriftstellerin Schahrnusch Parsipur darf hängen bleiben – sie haben sie nicht erkannt.

„Die Männer waren Beamte der Stadtverwaltung“, erklärt unser iranischer Begleiter. „Sie kontrollieren, ob die Regeln in den Restaurants eingehalten werden. Aber hier ist nichts, wie es scheint. Nichts ist verboten.“ – „Es ist aber auch nichts erlaubt“, fügt er hinzu.

Eine Szene, die durchaus auf das Fadjr-Theaterfestival übertragen werden kann: Rund 70 Stücke wurden Ende Januar an 12 Tagen im Rundbau des City-Theaters und einigen Nebenbühnen aufgeführt – dieses Jahr aus Anlass des 25. Jahrestages der islamischen Revolution und der Rückkehr Ajatollah Chomeinis aus dem Exil. Dennoch wurde das Festival nicht zur affirmativen Jubiläumsfeier, viele Stücke gingen kritisch mit der iranischen Gegenwart um.

Die vorwiegend jungen Theatermacher gingen bis an die Grenzen des Erlaubten und stellten in Frage, was bisher in der öffentlichen Debatte nicht thematisiert wurde – das Berührungsverbot zwischen Mann und Frau in der Öffentlichkeit, das Kopftuchgebot für Frauen, gesellschaftliche Tabus.

Angst, dass ihre Stücke verboten werden oder einen Skandal produzieren könnten, hatten die Theatermacher nicht: „Jedes Stück wird im Laufe der Proben zweimal begutachtet und muss an jenen Stellen entschärft werden, die den Zensoren zu weit gehen“, erzählt Shabnam Toluie, Schauspielerin von „Kiss You and Tears“, einer Bearbeitung der „Briefe an Olga“ von Václav Havel. Das Stück war der große Sieger auf dem Festival: Unerwartet, aber verdient erhielt es alle wichtigen Preise. Die Tatsache, dass es ein katholischer Priester ist, der den Gefangenen in seiner Zelle besucht, reichte den Zensoren wohl aus, um den Inhalt des Stücks nicht auf das eigene Land zu beziehen.

Auch in „Like Blood for Steak“, einem auf Mary Shelley’s „Frankenstein“ basierenden Stück, diente die Figur eines katholischen Geistlichen dazu, religionskritische Fragen zu stellen. „Bestimmte Dinge kann man überhaupt nicht deutlicher sagen in Iran“, so der Regisseur. Der Deckmantel der anderen Religion ist jedermann als Feigenblatt erkenntlich.

Die Auseinandersetzung mit der jüngeren iranischen Geschichte kann ebenfalls nur in Ansätzen geschehen, Vor allem die Zeit zwischen 1979 und 1988 blieb bislang ein blinder Fleck. Erst jetzt scheint es möglich zu sein, sich mit dem Iran-Irak-Krieg und seinen Folgen auseinander zu setzen.

In „Which Tursday Is This“ sitzen die Geister von sechs gefallenen Soldaten auf ihren Gräbern in der riesigen Nekropole im Süden Teherans, an deren Rand gerade die überdimensionierte Ajatollah-Chomeini-Moschee gebaut wird. Eine Reihe von Menschen sucht die Toten dort auf – von einer Selbstmörderin bis zu einem Regierungsbeamten mit Anzug und Handy, der achtlos über die Grabplatten hinwegstapft. Anhand der Geschichten der Besucher müssen die Soldaten erkennen, wie sehr sich das Land seit ihrem Tod verändert hat.

Bilanz über die Zeit nach dem Krieg ziehen auch die Figuren in „1377.6.31.“ Hier sind es überlebende Soldaten, die bei Kriegsende vereinbart hatten, sich zwölf Jahre später – im iranischen Kalenderjahr 1377 – auf einem Platz in Teheran zu treffen. Doch der Kommandeur der kleinen Truppe erscheint nicht – er hat sich den Mudschaheddin angeschlossen – und auch die anderen müssen sich eingestehen, dass sie die gemeinsamen Ideale von früher nicht mehr teilen.

Der Leiter des Dramatic Arts Centers und des Fadjr-Festivals, Majid Sharifkhodaei, ist für die Auswahl der Stücke zuständig. Als Vertreter des Kulturministeriums muss er die Belange des Staates vertreten. Aber wie es scheint, ist gerade er einer der einflussreichsten Förderer der jungen Theatermacher. Indem er die konservativen Stücke prominent platziert und kommuniziert, macht er die kritischen Stücke auf dem Festival erst möglich. Nichts ist, wie es scheint im Iran. HARALD OLKUS

Das Theaterfestival von ENTFERNTE NÄHE zeigt vom 1. bis 4. April Stücke und szenische Lesungen vom diesjährigen Fadjr-Festival. „Kiss You and Tears“ läuft am 1. und 2. April