„Ich liebe Experimente“

Adolf Muschg erklärt, warum er erlaubt hat, seinen Roman „Der Rote Ritter“ zu dramatisieren – und warum er hofft, dass die Premiere am Schauspiel Hannover „kein fertiges Produkt sein kann“

Interview: Jens Fischer

Welt-, auch Philosophiegeschichte, Entwicklungsroman, Emanzipationsmärchen und überhaupt: Auf 1.000 Seiten hat Adolf Muschg den Parzival-Stoff zu einer Geschichte aller Geschichten geformt. „Der Rote Ritter“ heißt der 1993 – nach 30 Jahren Arbeit – erschienene Roman, in dem der Schweizer Wolfram von Eschenbachs Epos als seine eigene Geschichte neu entdeckt: Als staunender Leser und witziger Weiterdichter springt er zwischen den Zeit- und Erzähl-Ebenen hin und her: Literatur pur. Das Opus magnum bringt jetzt das Schauspiel Hannover heraus – nicht als tagelange Lesung, sondern als abendkurzes Stück. Ein starkes Stück? Die taz Nord fragt den Autor.

taz: Wer kommt auf so eine Idee – auch im Wortsinn – gewichtige Literatur als Theaterstück herauszubringen?

Adolf Muschg: Das war eine Idee des Regisseurs Stefan Otteni. Ich habe gleich gesagt, dass es auf das Thema ja sowieso keine Urheberrechte gibt. Aber vom Genre her ist es nicht unbedingt schlüssig, einen Roman zu dramatisieren. Das Spezifische geht verloren. Manchmal scheint aber ein Transfer möglich.

Und ausgerechnet „Der Rote Ritter“ wäre so ein Fall?

Obwohl ich die Berührung abgelegter Häute scheue, habe ich den „Roten Ritter“ noch einmal zur Hand genommen und viel Potenzial drin entdeckt, das zur Übersetzung in Sicht- und Hörbarkeit reizt. Aber die Struktur ist nicht einfach. Man kann aus dem Gewebe nur ein paar Stränge rausziehen und neu verknüpfen. Ich bin gespannt auf die Transsubstantiation.

Haben Sie an der Produktion mitgearbeitet?

Ich hätte einen konventionellen dramatischen Entwurf liefern können, aber das wollten sie hier nicht. Verlockend für die Theatermacher war, dass mir schlüssige Dialoge im Roman besser gelingen, als wenn ich mir ein Drama vornähme. Ich bin wirklich keine dramatische Natur: Wenn Sie Reich-Ranicki fragen, der würde mich einen Erzählmenschen nennen.

Warum haben Sie dem Projekt zugestimmt?

Ich liebe Experimente, habe mit Otteni über Gott und Welt gesprochen, mich verstanden gefühlt, so dass wir den Sensibilitätstest miteinander bestanden haben. So gebe ich das Ding gern aus der Hand, schaue, wie er damit spielt.

Auf den Plakaten steht aber „… von Adolf Muschg“

Das ist falsch. Darüber muss ich noch reden. Sie verwenden hier zwar meinen Text durchgehend, was ich sehr bewegend finde, aber die Collage ist ganz und gar nicht mein Werk. Es müsste „nach Adolf Muschg“ heißen.

Hat Literatur das nötig, ins Theater zu gehen?

In Hannover meint man das. Vielleicht hat das Theater die Literatur nötig, weil es an Stoffen mangelt.

Warum?

Es gibt nur wenige Stoffe, denn das Repertoire des Anthropologischen ist gar nicht so riesig und von der Literatur bestens bearbeitet. Parzival ist dabei eine Attraktion, weil er die Entwicklung unserer Tierart als solches symbolisiert. Alle anderen Tiere haben ein umfassendes Instinkt- und Hormonprogramm, nach dem sie leben. Wir dagegen müssen alles erlernen. Parzival fragt, was ist dabei richtig für den Menschen, was verschafft diesem speziellen Tier ein sinnvolles Leben. Der Mythos dieses Fragens, das ist Parzival. Er muss anerkennen, dass Dinge offen sind, die man sich sicher wünscht. Das ist der Kern der Geschichte und der menschlichen Erkenntnis. Mit der Folge, dem vorgegebenen Leben eine Absage zu erteilen, dem Stress des Konformismus. Und den Menschen als Spielversuch zu verstehen. Parzival ist keine Geschichte, die wir erzählen. Sie erzählt uns. Wer will sich da wie in uns entdecken?

Etwas, was der Einfachheit halber Gott genannt wird?

Wie man das Ding bezeichnet, das bei der Suche herauskommt, ist nicht wichtig. Schon bei Wolfram war der Gral etwas zutiefst Ambivalentes, hatte nichts mit christlicher Heilserwartung zu tun. Er ist das Ding, das wir haben möchten, ohne es jemals zu kriegen. Ich habe den Gral daher ganz kassiert: Man muss Gegenstände auch lassen können. Gerade die unerreichbaren.

Dazu passt das Ende Ihres Romans: Parzival und Condwir Amurs kuscheln, am Lagerfeuer, die Kinder schlummern – Glück, ohne Gralssehnsucht. Heißt „die Gegenstände lassen können“ sie zu ignorieren?

Nein, eher Ballast abzuwerfen: Jede Gralssuche als undankbare Fantasie einzustellen, ohne resignativ zu sein. Wenn ich meine Lebenszeit anschaue, könnte ich jeden Tag verzweifeln. Da ich ja nicht mehr lang lebe, muss ich die verbleibende Zeit breiter leben oder tiefer. Vergnügter vielleicht.

In der Literatur beflügeln die Worte die Fantasie. Das Theater erdet sie wieder…

Bei Castorf sind sie bestenfalls Anlass, etwas eigenes umzusetzen, und wenn man die Worte der Vorlage ganz loswerden kann, um so besser. Das soll hier nicht geschehen. Es wird ausprobiert, wie viel Verbalität möglich ist und nötig. Anfänglich gab es unendlich viel Text, das war nicht aufführbar. Der Kondensationsprozess setzte ganz genaues Wissen voraus, wo man mit der Aufführung hin will: Dem Stoff ist eine Unfertigkeit bereits eingeschrieben. Ich hoffe und fürchte daher, dass die Premiere kein fertiges Produkt sein kann.

Was kann der Stoff durch das Theater gewinnen?

Er kann durch jede sensible und intelligente Interpretation nur gewinnen. Er ist ja unerschöpflich. Allein schon die Ambivalenz von Gut und Böse auf der Bühne auszudrücken, das halte ich für faszinierend.

Erwartet uns da nicht die Interpretation Ottenis der Interpretation Muschgs der Interpretation Wolfram von Eschenbachs?

Das wäre ja schrecklich. Der Witz ist ja, dass man diese komplexe Vorlage wieder in die Ursuppe taucht und schaut, was sich darin fängt. Ich wünsche mir sehr, auf der Bühne nicht zu erfahren, was ich beispielsweise glaube, in die Figuren hineingesteckt zu haben, sondern dass die Schauspieler etwas anbieten, woran ich nicht gedacht habe.

Sie wollen nicht bestätigt werden?

Nein. Meine Haltung ist pure Neugier auf die Veränderung meines Produktes.

Kennen Sie eine gelungene Literaturadaption?

Hm. „Die Mutter“ von Brecht nach Gorki. Das ist eine gute Dramatisierung. Auch seine Mutter Courage als Adaption der Courage aus Grimmelshausens Simplicissimus. Es geht schon intelligent und spannend. Meist aber erscheint es mir nicht schlüssig.

Parzival. Der Rote Ritter, nach Adolf Muschg. Uraufführung: 27. März, 19.30 Uhr, Schauspielhaus Hannover