Europa muss gut Wetter machen

Während sich Trittin und Clement über den Emissionshandel streiten, fällt Deutschland im Klimaschutz zurück. Doch der Kioto-Vertrag braucht mehr denn je engagierte Verfechter

Das Gerede, die anderen Europäer sollten erst einmal etwas tun, ist jedenfalls dummes Zeug

Über das unwürdige Gezerre um den Emissionshandel, das wir dieser Tage in der Bundesregierung erleben, wäre ein sehr wichtiges Datum der internationalen Klimapolitik fast vergessen worden: Vor zehn Jahren, am 21. März 1994, trat die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen in Kraft. Dieser Vertrag gilt zu Recht als anspruchsvolle Grundlage für die Bekämpfung des Klimawandels.

In Artikel 2 wird als Ziel der Konvention formuliert, „die Stabilisierung der Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre auf einem Niveau zu erreichen, das eine gefährliche menschengemachte Störung des Klimasystems verhindert.“ Nach Einschätzung des UN-Gremiums für Klimaforschung muss der Ausstoß an Kohlendioxid (CO2) weltweit bis 2050 um mindestens 60 Prozent reduziert werden, um den Klimawandel in vertretbaren, also „ungefährlichen“ Grenzen zu halten.

Mittlerweile sind 188 der 191 Staaten der Klimakonvention beigetreten, darunter die Hauptverursacher von Treibhausgasen: die USA, Russland, die Europäische Union, China und Indien. Der Vertrag hat also innerhalb kürzester Zeit den Status der Universalität erreicht.

Tatsächlich aber ist der Ausstoß von CO2 und anderen Gasen seit In-Kraft-Treten der Konvention nicht gesunken, sondern um 11 Prozent gestiegen. Ohne den industriellen Zusammenbruch des Sowjetimperiums, der faktisch die größte Klimaschutzmaßnahme der 90er-Jahre war, lägen die Emissionen noch deutlich höher. Klimapolitisches Soll und realpolitisches Ist laufen immer weiter auseinander – und der Trend hält an.

1997 wurde im japanischen Kioto ein Protokoll zur Konvention verabschiedet, das den Industriestaaten bis 2012 Reduktionsziele aufgibt. Wenngleich die Kioto-Ziele von den meisten Klimaexperten als zu schwach kritisiert wurden, galt und gilt das Protokoll als erster Schritt auf einem langen Marsch. Mittlerweile ist es von 121 Staaten ratifiziert worden – und noch immer nicht in Kraft. Der Grund: Um in Kraft treten zu können, müssen mindestens 55 Staaten ratifizieren. Das ist der Fall. Die Unterzeichnerstaaten müssen aber mindestens 55 Prozent der Industrieländeremissionen auf die Waage bringen. Das ist noch nicht der Fall, weil die beiden Emissionsriesen USA (36 Prozent der Industrieländeremissionen) und Russland (17 Prozent) bislang nicht ratifiziert haben.

Die US-Regierung hat die Architektur des Kioto-Protokolls zwar maßgeblich bestimmt, vor allem durch eine starke Ausrichtung auf marktwirtschaftliche Instrumente, sich aber 2001 aus dem Prozess verabschiedet und kategorisch erklärt: Kyoto is dead! Selbst im Fall eines Regierungswechsels in Washington könnte nicht automatisch mit einem Wiedereinstieg der USA in den Kioto-Prozess gerechnet werden, wohl aber mit einer größeren Aufgeschlossenheit gegenüber dem internationalen Klimaschutz allgemein.

Den Schlüssel zum In-Kraft-Treten des Kioto-Protokolls hält nun Russland in der Hand, dem in der Vereinbarung schon enorme Zugeständnisse gemacht wurden. Ratifiziert die Duma den Vertrag, wäre er für alle Mitgliedstaaten unmittelbar bindend. Ob dies in nächster Zukunft geschieht, ist schwer zu beantworten. Schon mehrmals ließ die Regierung verlauten, Russland werde bald beitreten. Und ebenso häufig meldeten sich Putin-Berater zu Wort, die vor einer Ratifizierung des Protokolls warnen. Offenbar erwartet die russische Regierung weitere Zugeständnisse der EU in Handels- oder Energiefragen. Es muss seitens der EU eine ernsthafte diplomatische Initiative ergriffen werden, die die Grenzen und Möglichkeiten eines solchen „Paket-Deals“ auslotet.

Überhaupt kommt jetzt sehr viel auf die EU an. Sie war bislang die treibende Kraft in den internationalen Klimaverhandlungen. In ihren Reihen finden sich die einzigen großen Industriestaaten, die den Ausstoß von Klimagasen bislang erfolgreich reduziert haben, nämlich Großbritannien und Deutschland. Und sie bildet gewissermaßen einen Mikrokosmos, der die Welt als Ganzes spiegelt: Hier findet sich ein Nord-Süd-Problem ebenso wie ein West-Ost-Problem, hier gibt es reiche und arme, dicht und dünn besiedelte Regionen. Kurz: Wenn in Europa der faire Ausgleich beim Klimaschutz gelingt, dann wird ein solches Modell enorme Strahlkraft entfalten können.

Die EU hat das Kioto-Protokoll ratifiziert. Sie hat eine verbindliche Lastenteilung zwischen den Mitgliedstaaten vereinbart. Sie hat den Emissionshandel eingeführt, der helfen kann, die Klimaschutzziele kostengünstig zu erreichen. Und sie wird in allernächster Zeit auch eine Richtlinie präsentieren, die es den EU-Mitgliedstaaten erlaubt, einen Teil ihrer Minderungspflichten in Entwicklungsländern oder den Staaten Mittel- und Osteuropas zu erfüllen. Die institutionellen Voraussetzungen sind also geschaffen. Jetzt sind die Mitgliedstaaten am Zug.

Bei der Aufstellung der internen, nationalen Zuteilungspläne für den EU-Emissionshandel geben momentan nur die wenigsten Mitgliedstaaten eine gute Figur ab. Einzig Großbritannien hat bislang einen überzeugenden Plan vorgelegt, der sogar über die Kioto-Ziele hinausgeht. Für 2050 hat man sich dort ein Ziel von minus 60 Prozent vorgenommen. Andere Staaten, die für sich lange Zeit eine Vorreiterrolle reklamierten, werden den Anforderungen des Klimaschutzes nicht gerecht, etwa Österreich, die Niederlande oder Dänemark. Auch die Bundesregierung bietet bei der Umsetzung des Emissionshandels in nationales Recht ein trauriges Bild, vor allem weil sie den überwunden geglaubten Gegensatz zwischen Ökologie und Ökonomie wieder belebt.

Der Ausstoß von CO2 ist seit In-Kraft-Treten der Konvention nicht gesunken, sondern um 11 Prozent gestiegen

Vielleicht sollte man noch einmal darauf verweisen, dass die Deutschen keineswegs Europameister im Klimaschutz sind, sondern pro Kopf und insgesamt mehr emittieren als alle vergleichbaren EU-Mitgliedstaaten: mehr als Großbritannien, Frankreich, Italien und Spanien. Trotz unbestreitbarer Anstrengungen im Klimaschutz seit der deutschen Vereinigung würde der Republik etwas weniger Hochmut in Sachen Klimaschutz also gut anstehen. Das Gerede, die anderen Europäer sollten erst einmal etwas tun, ist jedenfalls dummes Zeug.

Man wird von der EU-Kommission erwarten dürfen, dass sie als Hüterin der Verträge alle nationalen Pläne gleich streng prüft und behandelt. Einziges Kriterium muss dabei die Frage sein, ob das Erreichen des Kioto-Ziels sichergestellt wird. Die Welt schaut jetzt auf Europa. Wenn wir es schaffen, werden andere Länder nachziehen, früher oder später auch die Entwicklungsländer. Wenn wir scheitern, ist das das vorläufige oder endgültige Aus für den internationalen Klimaschutzprozess. Dann werden wir uns in Zukunft mehr über die Kosten des Klimawandels den Kopf zerbrechen müssen, vielleicht auch eines abrupten Klimawandels, der das arktische Eisschelf auseinander brechen oder den Golfstrom umkippen lässt. Glaubt wirklich jemand, das käme uns billiger?

REINHARD LOSKE