„Absurd und total cheesy“

Mag keine Musik, die Isolation transportiert, sondern setzt auf Verbindendes: Die Gitarristin, Bassistin und Elektro-Entertainerin Angie Reed ist unter ihrer Sekretärinnen-Identität „Barbara Brockhaus“ im Hafenklang zu Gast

Interview: NILS MICHAELIS

Sie akzeptiert erklärtermaßen keine Rollenmodelle, dafür benennt sie Einflüsse zwischen Dolly Parton und Adriano Celentano, Pussy Galore und den Ramones. Mit ihrem Sekretärinnen-Alter Ego Barbara Brockhaus machte Angie Reed nicht nur im Vorprogramm von Rap-Prankster Chilly Gonzales auf sich aufmerksam. Soeben hat sie ihre Mischung aus betont dilettantischem Pop, Stand-up-Comedy und Freistil-Agitation auf einem Debütalbum verewigt, jetzt ist Reed neben Hamburgs Roots-Aushängeschild Cow und dem Elektronik-Songwriting-Duo Ponica zu Gast, um für das anstehende Ladyfest in Hamburg zu werben.

taz hamburg: Man kennt dich in Berlin schon länger als ehemalige Gitarristin von Stereo Total. Du kommst ursprünglich aus den USA. Wie bist du nach Berlin und dann zu Stereo Total gekommen?

Angie Reed: Ich bin zwar in Amerika geboren, habe dort aber nur die ersten vier Jahre meines Lebens verbracht. Danach lebte ich auf den Azoren, in Deutschland und Italien. In Berlin bin ich seit acht Jahren. Ich fühle mich weder als Amerikanerin, Italienerin oder Deutsche. Ich bin heimatlos, ein Mischling. Dass ich bei Stereo Total als Gitarristin anfing, war Zufall. Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort, als Françoise sagte, dass die Band eine Gitarristin braucht. Bis dahin hatte ich ohne Verstärker E-Gitarre in meinem Schlafzimmer gelernt, so dass ich nur ein ganz leises „Pling, Pling“ hören konnte. Stereo Total hatten mir ausführlich Noten aufgeschrieben und zwei Mal mit mir geprobt. Aber auf der Bühne, mit den Raucheffekten und Stroboskoplichtern, konnte ich die kaum lesen. Ich habe dann viel gegrinst, um das zu kompensieren. Später hat jemand geschrieben: „Wenn die Gitarristinnen bei Stereo Total zu gut werden, werden sie ausgetauscht.“

Und wann warst du zu gut? Das war 2000. Ich wollte meine Energien in etwas Eigenes stecken, um künstlerisch zu wachsen. Ich wollte Charaktere ausprobieren, vielleicht eine Italienerin nachmachen, eine Deutsche, oder auch einen schwarzen Mann. Das ist für mich eine totale Befreiung.

Vom Gitarristin sein? Wahrscheinlich ist das mein Riff, ein anderes Solo: das Multipersonality-Solo. Das vibriert und macht mir Spaß: Leute zum Lachen zu bringen. Ich mag keine Musik, die isolierende Gefühle wie Einsamkeit oder Trauer transportiert. Entertainment ist etwas Warmes und Verbindendes.

Mit ihren Dias, Filmen, Texten und der Musik sind deine Auftritte sehr multimedial. Darin geht es um die Verhältnisse von Männern und Frauen in Büros, um Sex und Macht. Als Künstlerin und Musikerin müsste dir die Welt der Sekretärinnen und Chefs doch eher fern sein.

Zur multimedialen Arbeit hat mich das Kunststudium bei Katharina Sieverding bestärkt. Sie regt ihre Studenten dazu an, sich nicht nur auf eine Richtung, etwa Malen zu beschränken. Es stimmt ansonsten: Die Welt der Sekretärinnen ist für mich sehr weit weg, aber das gibt mir die Freiheit, damit zu spielen. Die Idee dazu kam durch eine Kunstausstellung, für die ich viele Zeichnungen gemacht hatte. Die Zeichnung einer Sekretärin war mein Lieblingsbild. Ich bekam dann ein Angebot, eine Performance zu machen. Ich wollte Geschichten zu Dias erzählen, aber nicht als Angie, was mir zu peinlich gewesen wäre. Ich habe mir also Charaktere ausgedacht, Dias gezeigt und danach eine Dokumentation dieser Performance geschrieben. Durch dieses nachträgliche Aufschreiben bildete sich die letztendliche Show heraus. Immer mehr begann sich zu reimen und Sinn zu ergeben, auch weil es so schwachsinnig, absurd und total cheesy war.

Was genau heißt eigentlich „cheesy“?

Käsig. Das hast du bestimmt schon tausend Mal gehört ...

... und mir jedes Mal die Frage nach einer Definition gestellt.

Das ist eine Art von Humor: komisch und etwas absurd, etwas Leckeres, das aber peinlich sein kann, weil es stinkt. Wie Käse: Je stinkiger der Käse ist, desto teurer ist er.

mit Cow und Ponika: Sonnabend, 21 Uhr, Hafenklang