Hochbegabte ausgegrenzt

betr.:“Hauptsache anders“, taz vom 23.3.04

Ihr Kommentar ist mir doch sehr aufgestoßen. Als Vater eines begabten Kindes werde ich permanent mit dem Vorurteil „hysterische Eltern“ konfrontiert. Dass „Kinder sich nicht langweilen sollen, versteht sich“ leider nicht von selbst. So leben diese Kinder in dem permanenten Bewusstsein des „Andersseins“. Gerade im schulischen Umfeld sind Lehrer in der Regel damit überfordert, dass ein Kind ihr didaktisch wohlaufgebautes dargebrachtes Wissen entweder bereits beherrscht und sogleich nach den tieferen Hintergründen fragt. Im günstigen Falle wird das Kind mit der Bemerkung ruhig gestellt, dies gehöre jetzt nicht hierher. Sobald dies mehrfach geschieht, wendet sich das Kind – aus seiner Sicht angemessen – anderen Beschäftigungen zu. Daraus entwickelt sich eine Struktur, die dazu führt, dass diese Kinder bereits z.T. im Grundschulalter mit dem Schulsystem abgeschlossen haben.

Zutreffend ist sicher, dass Eltern stolz auf die besonderen Begabungen der Kinder sind und in dem herrschenden Klima oft den Fehler machen, die Bezeichnung „hochbegabt“ auf einem Schild vor sich her zu tragen(...) Zutreffend ist aber auch, dass es offenbar etwas Anstößiges zu sein scheint, wenn ein Kind mehr kann als die Masse. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, ich halte eine Zusammenfassung von begabten Kindern nicht für den Königsweg, vielmehr hat sich gezeigt, dass heterogene Lerngruppen für alle Beteiligten am sinnvollsten sind.

Was mich aber ernsthaft aufregt ist die Ignoranz: Sozialer Autismus entsteht hier in aller Regel nicht durch überzogenes Verhalten der Eltern, sondern durch aktive Ausgrenzung von hochbegabten Kindern durch ihre Umwelt.

Möglicherweise fällt es Ihnen leichter sich der Problematik zu nähern, wenn Sie sich folgendes vor Augen führen: Stellen Sie sich vor, Sie haben gerade ihren Abwasch fertig, das ganze Geschirr ist 1a sauber. Als nächstes kommt ein Lehrer, lobt Sie, sagt aber, Sie müssten das ganze bereits sauber gespülte Geschirr erneut spülen. Vergleichbare Situationen erleben hochbegabte Kinder während eines Schulvormittags mehrfach.

KAI LEMCKE, Münster