„Verrat wäre auch Verrat an Allah“

INTERVIEW CHRISTIAN RATH

taz: Herr Frisch, seit den islamistischen Anschlägen von Madrid mehren sich die Forderungen, den Verfassungsschutz effizienter zu machen und ihn zu zentralisieren. Sie waren Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz und davor des Landesamtes von Niedersachsen, Sie kennen also beide Seiten …

Peter Frisch: Eine Zentralisierung wäre eher gefährlich. Nach dem Krieg wurde in Deutschland mit Bedacht auf einen zentralen Inlandsgeheimdienst verzichtet. Die Erfahrungen mit der faschistischen Gestapo und später mit der DDR-Stasi sollen sich nicht wiederholen.

Droht im Jahr 2004 immer noch eine neue Gestapo?

Nein, aber die Zentralisierung wäre ein Schlag gegen den Föderalismus. Die Aufteilung des Verfassungsschutzes auf Bund und Länder bedeutet doch, dass verschiedene Parteien und politische Richtungen Einfluss und Einsicht haben. Und wenn einer der Dienste politisch ganz einseitig würde oder zu nicht erlaubten Mitteln griffe, würde dies im Rahmen der Bund-Länder-Zusammenarbeit den anderen Diensten bald bekannt, und sie könnten auf Korrektur drängen.

Ihr Amtsvorgänger Eckart Werthebach findet es wegen der Terrorgefahr wichtiger, die Effizienz des Verfassungsschutzes zu stärken …

Gerade angesichts der aktuellen Gefahr kann ich von einer Zentralisierung und den damit verbundenen organisatorischen Schwierigkeitenn nur abraten.

Was ist dann zu tun?

Ich schlage dem Verfassungsschutz die Einrichtung einer Projekteinheit Islamismus vor, in der die Islamismusexperten aller Ämter unter der Führung des Bundesamtes zusammensitzen, die Informationen unmittelbar austauschen, sie analysieren und die erforderlichen Maßnahmen steuern. Dabei könnten die Landesämter ihre Eigenständigkeit behalten, und sobald die besondere Gefahrenlage vorbei ist, kann diese Projekteinheit wieder aufgelöst werden.

Woran hakt derzeit der Informationsfluss zwischen den Verfassungsschutzämtern?

Der Informationsfluss ist gut, aber das Bessere ist der Feind des Guten. Nach meiner Erfahrung könnten einige größere Länder durchaus genauere und umfangreichere Informationen schneller geben.

Also reine Organisationseitelkeiten?

Nein, es gibt auch einen rationalen Kern. Die Güte eines Nachrichtendiensts hängt von seinem Quellenschutz ab. Man bekommt nur hochrangige Quellen in extremistischen Kreisen, wenn man ihnen verlässlich zusichern kann: „Ihr werdet nicht bekannt.“ Im Bundesamt kannten maximal fünf Personen die Identität einer Quelle. Jede Weitergabe von allzu konkreten Informationen an andere Dienste ist da ein Risiko.

Besteht so nicht die Gefahr, dass wie im NPD-Verfahren die Spitzel von Bund- und Landesverfassungsschutz im gleichen Gremium sitzen und die Ämter nichts von der Existenz der jeweils anderen Quelle wissen?

Wie man hört, wurde inzwischen ein V-Mann-Register eingerichtet, das V-Leute der einzelnen Ämter anzeigt, aber wohl keine Klarnamen enthält. Im Bereich des Islamismus gibt es aber sicher nicht zu viele V-Leute, sondern zu wenige, weil es sehr schwer ist, in diese verschworenen Gemeinschaften einzudringen.

Ist dies schwieriger als bei Rechts- oder Linksextremisten?

Ja, aufgrund der religiösen Dimension. Ein Verrat wäre zugleich Verrat an Allah. Außerdem sieht Gott alles. Vielleicht wird aber die Anwerbung von V-Leuten mit zunehmender Popularität des Islamismus einfacher, weil die Szene größer und unübersichtlicher wird.

Koordinationsbedarf besteht auch mit der Polizei, die ja auch V-Leute hat und mindestens ebenso viele Telefone abhört wie der Verfassungsschutz …

Die Polizei führt im Jahr mehrere tausend Telefonüberwachungen durch, beim Bundesamt für Verfassungsschutz waren es zu meiner Zeit jährlich nur Maßnahmen in einer zweistelligen Zahl.

Wird der Verfassungsschutz bei so viel verdeckter Polizeitätigkeit nicht überflüssig?

Absolut nicht. Der Verfassungsschutz beobachtet Strukturen langfristig, um ihre Gefährlichkeit einschätzen und beschreiben zu können. Die Polizei muss dagegen zugreifen, wenn eine konkrete Straftat vorbereitet wird.

Also stört die Polizei die Arbeit des Verfassungsschutzes, wenn sie sich um das extremistische Vorfeld von Straftaten kümmert

Die abstrakte Vorfeldbeobachtung sollte dem Verfassungsschutz überlassen bleiben. Er hat darin mehr als fünfzig Jahre Erfahrung.

Terroranschläge sind aber auch schwere Straftaten. Wann soll dann Ihrer Meinung nach die Polizei eingreifen?

Wenn der Verfassungsschutz Hinweise auf konkrete Gefahren erhält, klärt er diese zunächst auf ihre Stichhaltigkeit hin ab. Er wird dann die Polizei informieren, wenn tatsächlich Gefahr für Leib und Leben droht.

Auch wenn damit die Identität seiner Quelle auffliegen könnte?

Das muss natürlich verhindert werden. Notfalls erfindet man eine kleine, glaubwürdige Geschichte.

Neben Verfassungsschutz und Polizei kümmern sich ja auch der Bundesnachrichtendienst (BND) und der Militärische Abschirmdienst (MAD) um den Islamismus in der Welt und in der Bundeswehr. Brauchen wir da nicht eine Koordinationsinstanz wie das von Angela Merkel vorgeschlagene Bundessicherheitsamt?

Nein. Zu viel Koordination beschäftigt sich vor allem selbst. Wenn zu viele Leute mitreden, passiert gar nichts mehr. Man muss auch mal schnell entscheiden können.

Die USA haben nach dem 11. September 2001 ein Heimatschutzministerium eingerichtet, um die Koordination der Sicherheitsbehörden zu verbessern …

Sie werden damit noch ihre Schwierigkeiten haben. In Russland hat man nach der Wende den riesigen KGB aufgelöst und kleinere, spezialisiertere Geheimdienste geschaffen.

Wie wird bei uns die Zusammenarbeit der Dienste derzeit koordiniert?

Jeden Dienstag findet in Berlin die „Kanzleramtslage“ statt. Unter der Leitung von Kamzleramtschef Frank-Walter Steinmeier, der auch Geheimdienstkoordinator der Bundesregierung ist, erörtern dort die Staatssekretäre aus Auswärtigem Amt, Innen-, Justiz- und Verteidigungsministerium mit den Präsidenten von Verfassungsschutz, BND und MAD und dem zuständigen Abteilungsleiter im Kanzleramt, Ernst Uhrlau, die Sicherheitslage und auch die Zusammenarbeit der Dienste. Inzwischen ist bei diesen Treffen auch der Präsident des Bundeskriminalamts dabei und einmal im Momat der Generalbundesanwalt. Das scheint mir auszureichen. Über die Zusammenarbeit der Dienste wird außerdem in den parlamentarischen Kontrollgremien für den Verfassungsschutz in Bund und Ländern gesprochen.

Wird es irgendwann einen europäischen Geheimdienst geben?

Nein, dazu sind die nationalen Dienste zu unterschiedlich. So war in Deutschland zum Beispiel die Bekämpfung nationalsozialistischer Propaganda stets eine wichtige Aufgabe, aber in einigen anderne Ländern wird die Meinungsfreiheit höher bewertet.

Es gibt doch aber Zusammenarbeit der Dienste?

Die bilaterale Kooperation läuft bei konkreten Projekten sehr gut.

Die EU bestellt jetzt einen Anti-Terror-Koordinator. Verlief die bisherige Zusammenarbeit nur bilateral?

Nein, es gibt schon Informationsaustausch im „Special Comittee“ der Nato sowie im Berner Club, dem die Chefs der Inlandsnachrichtendienste von derzeit 18 westeuropäischen Staaten angehören.

Ist dieser Berner Club eine eigene Organisation?

Es gibt nicht einmal ein Sekretariat. Die Treffen des Clubs werden reihum vorbereitet und finden zweimal im Jahr statt. Beschlüsse werden dabei nicht gefasst. Es handelt sich um einen gut vorbereiteten Meinungsaustausch.

Es geht also nicht zuletzt um die persönlichen Kontakte?

Ja, und um das damit verbundene Vertrauensverhältnis.

Können Sie sich auch eine Projekteinheit Islamismus auf europäischer Ebene vorstellen?

Ja, wenn die Bedrohung noch stärker wird.

Wie funktioniert denn die Zusammenarbeit mit den USA im Geheimdienstbereich? Ist das wirklich nur eine Einbahnstraße?

Nicht ganz, aber es kommt wenig aus den USA zurück. Aber besser, man bekommt wenig Informationen, als gar keine.

Vielleicht hat man den Eindruck, die Deutschen gehen leichtfertig mit den erhaltenen Informationen um …

Worauf spielen Sie an?

Im Prozess gegen den angeblichen Terrorhelfer Abdelghani Mzoudi haben deutsche Sicherheitskreise dem Oberlandesgericht Hamburg die vom US-Geheimdienst stammende entlastende Aussage eines anonymen Zeugen – wohl Ramzi Binalshibh – übergeben, worauf Mzoudi sofort freigelassen wurde.

Auch ich hätte dem Gericht den Sachverhalt mitgeteilt. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass Entlastungsbeweise zurückgehalten werden. Damit ist ja nicht gesagt, dass die Aussage von Binalshibh glaubhaft ist.

Verstehen Sie die USA, dass sie Binalshibh und die Verhörprotokolle so vor der Welt abschirmen?

Bei aller Anerkennung des Schutzbedürfnisses der USA habe ich hierfür kein Verständnis. Man hätte zumindest einem deutschen Richter in Beisein von Mzoudis Verteidiger eine Zeugenbefragung von Binalshibh erlauben sollen.