Übers Brunnenvergiften

Zusammenkunft mit einem Biowaffen-Experten

von GABRIELE GOETTLE

Jan van Aken, Dr., Leiter d. Sunshine Project Deutschland (dtsch.-amerik. Vereinigung kritischer Wissenschaftler) u. UN-Waffeninspektor. 1967 Einschulung i. d. Grundschule Glinde-Wiesenfeld, ab 1971 Besuch d. Sachsenwald-Oberschule Reinbek. 1980 Abitur. Studium d. Biologie an d. Universität Hamburg, 1983 Mitbegründer e. student. Arbeitsgruppe „Risiken der Gentechnologie“. 1993 Dissertation („Entwicklung und Erprobung von Fixierungsverfahren für Experimente an Pflanzen unter Mikrogravitation“). Forschungsarbeiten a. d. Universität ü. „Gentechnik in der modernen Medizin“, Seminare z. Thema Friedensforschung u. Naturwissenschaft. 1997 fester Gentechnik-Experte u. Campaigner bei Greenpeace, 1998 gekündigt (Sohn wurde geboren). 1999, zusammen mit d. amerik. Gentechnik-Aktivisten Edward Hammond u. d. kolumbianischen Anwältin Susana Pimiento, Gründung d. Anti-Biowaffen-Organisation „Sunshine Project“ (d. Name spielt darauf an, dass viele Biowaffen v. Sonnenlicht zersetzt werden). Sitz d. gemeinnützigen Gesellschaft ist Hamburg u. Austin/Texas, USA. Zentrale Aufgabe: Investigative Recherche mögl. Verstöße gegen das weltweit gültige Biowaffenverbot sowie Aufklärung, Information, Kapagnen. Kernziel: Globale Transparenz i. d. biomedizinischen Biowaffen-Abwehrforschung, gegenseitige Kontrolle u. rechtsverbindliche internationale Vertragsvereinbarungen darüber, auf d. Grundlage weltweiter Ächtung biologischer Waffen. 1. Erfolg 2000: Die Kampagne gegen das US-amerik. „Agent Green“ Projekt (Entwicklung genmanipulierter Pilze z. Vernichtung v. Drogenpflanzen wie Schlafmohn u. Koka i. Lateinamerika u. Asien). Nach Anprangerung auf d. Genfer Biowaffenkonferenz macht Präsident Clinton d. Vergabe e. Milliardenkredits an Kolumbien nicht mehr von einem „Agent Green“-Einsatz abhängig. Weiterer Aufklärungskampagnen u. Aktionen: geg. die Entwicklung u. Anwendung sog. „nicht-tödlicher“ Chemiewaffen (f. Kriegs-,Kriesengebiete); üb. d. Gefahren, Risiken v. Biowaffen-Abwehrforschung i. d. USA u. b. d. dtsch. Bundeswehr, „Sunshine“ initiierte 2001 i. Dresden d. Kongress „Biologische Waffen i. 21. Jh.“ (zus. m. d. Hygiene-Museum), 2002 starke Aktivitäten f. e. weltweite Vernetzung kleiner unabhängiger Organisationen, Gründung d. „BWPP“ (Bioweapons Prevention Project), Aufbau e. weltweiten Netzwerkes f. Recherche u. Information (zivilgesellschaftl. Keimzelle für Transparenz). Regelmäß. elektron. Informationsdienst, Herausgabe d. „Bio-Waffentelegramm“ (kostenlos i. Internet) durch Dr. Jan van Aken u. Sabine Schupp (erstellt m. Mitteln d. „Greenpeace Magazins“, d. „Berghofstiftung f. Konfliktforschung“, d. „Umweltstiftung Greenpeace“, d. „grassroots foundation“ u. d. „Hatzfeldt-Stiftung“). Jan van Aken wurde am 1. Mai 1961 i. Reinbek b. Hamburg als Sohn eines Werkzeugmacher geboren, seine Mutter arbeitete als Sekretärin. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.

Biowaffen sind wohl so alt wie die Begierde, sich in kriegerischen Auseinandersetzungen alle erdenklichen Vorteile zu verschaffen. Im Peleponnesischen Krieg 431 v. Chr. verseuchten die Spartaner das Wasser der Brunnen durch das Hineinwerfen pestbefallener Tierkadaver. Diese erste Erwähnung des Brunnenvergiftens wurde zum Synonym verwerflicher Heimtücke. Sie war historisch schon immer geächtet. Seit 1972, in der Phase der Rüstungsbeschränkung zwischen den Supermächten beschlossen, gibt es dafür eigens eine rechtsverbindliche Vereinbarung, die Genfer Biowaffenkonvention. 1975 trat sie in Kraft und ist bis heute von 144 Staaten ratifiziert worden. Es ist das bislang einzige Verbot einer gesamten Waffenart. Angesichts veränderter politischer Konstellationen und des Fortschritts in der Gen- und Biotechnologie stellten sich jedoch drei gewichtige Mängel der Konvention heraus: 1. Es gibt keine klare Definition dessen, was eine Biowaffe ist; 2. Biowaffen-Schutzforschung ist erlaubt; 3. – der entscheidende Mangel – es gibt keine Instanz und kein Kontrollsystem das die Vertragstreue überprüft. Seit 1994 wurde mit großem Aufwand an einem Zusatzprotokoll gearbeitet. 2001 lag es endlich vor und wurde von allen Mitgliedstaaten zustimmend begutachtet. Es sah u. a. Inspektionen vor Ort durch Experten vor und die Erstellung einer weltweiten Inventarliste der Bioindustrie. Die Verabschiedung scheiterte im allerletzten Moment an einem kategorischen Nein der USA. Die deutsche und europäische Außenpolitik war nicht bereit, sich auch ohne die USA mit den anderen gleichgesinnten Staaten zusammenzutun. Seitdem zeigen sich die USA unzugänglich. Sie drängen sogar auf Lockerung der ohnehin unzureichenden Bestimmungen und leisten damit einer Erosion der weltweiten Ächtung und damit einem biologischen Wettrüsten Vorschub.

Abgesehen von den „Milzbrandbriefen“ und dem „Pockenalarm“ wird diese gefährliche Entwicklung vom öffentlichen Interesse kaum gestreift. Was die biologischen Waffen so interessant macht für den militärischen Einsatz, ist: Sie haben eine hohe Effizienz und sind äußerst preiswert. Ein Gramm Botulinumtoxin (das stärkste bekannte Gift überhaupt) würde rein theoretisch ausreichen, um 10 Millionen Menschen zu töten. Die Verseuchung pro Quadratkilometer kostet: mit konventionellen Waffen 2.000 Dollar, mit Nuklearwaffen 800 Dollar, mit chemischen Waffen 600 Dollar und mit biologischen Waffen 1 Dollar. Allerdings gehört dazu ein sehr anspruchsvolles wissenschaftliches und technisches Know-how, sodass sie für umfangreichere terroristische Zwecke eher ungeeignet scheinen. Die hauptsächliche Gefahr geht vielmehr von der Unüberprüfbarkeit der Labortätigkeiten in den Vertragsstaaten aus. Problematisch ist auch, dass es kaum unabhängige bzw. nichtmilitärische Experten gibt, die sich kritisch mit dem Problem auseinander setzen. Deshalb kann gar nicht genug gelobt werden, wenn sich ein Naturwissenschaftler in Eigeninitiative sein Expertenwissen erworben hat. Die Uni Hamburg wird als erste deutsche Universität ab Juni 2003 eine Forschungsstelle „Biologische Rüstungskontrolle“ einrichten (auf kleinem finanziellem Niveau), die Herr Dr. van Aken inhaltlich leiten wird.

Jan van Aken wohnt in Hamburg, unweit von Reeperbahn und Hafenstraße, in einer ruhigen Sackgasse, die an einem parkartigen Schulgelände endet. Das Haus, ein unauffälliger vierstöckiger Neubau, haben sich die befreundeten Bewohner als Gemeinschaftsprojekt vor fünf Jahren gebaut. In einigen Fenstern hängt die regenbogenfarbene Antikriegsfahne, eine Kletterpflanze erklimmt die Fassade, Platanen spenden Schatten. Im Treppenhaus hängen diverse aktuelle Plakate und Anschläge, ein selbst gebauter und praktischer Lastentransport per Flaschenzug pendelt von oben herab. Im Haus gibt es verschiedene Wohnmodelle, von der Kleinfamilie bis zur Wohngemeinschaft.

„Wir sind eine ganz biedere Kleinfamilie, eine so genannte Patchworkfamilie“, erklärt unser Gastgeber unbefangen, während er uns durchs große Wohnzimmer mit amerikanischer Küche an den fröhlichen Kindern vorbei auf die Terrasse schleust. Hier nehmen wir an einem gastlich langen Tisch Platz, loben den Bohlenboden und die Treppe, die hinunterführt in einen schmalen Garten. Während der Hausherr den Kaffee holt, kommen die Kinder, begutachten uns kurz und eilen wieder zum Spielen davon. Alles wirkt hier angenehm frei- und großzügig, die Möbel, Bücherregale und selbst das Plakat einer Jazz-Kapelle an der Wand drinnen sind in vollem Gebrauch und scheinen auf keinen Repräsentationszweck aus zu sein. Man ist auf Besucher und Gäste lässig eingerichtet, einige sind noch da vom gestrigen Geburtstagsfest unseres Gastgebers, so auch seine Mitarbeiterin Sabine Schupp, die uns kurz begrüßt und bald wieder verlässt. Leicht übermüdet ergreift Jan van Aken notgedrungen das Wort: „Das schönste Beispiel für den frühen Einsatz einer biologischen Waffe ist die kriegstaktische Verwendung zum Beispiel der Sümpfe. Man wusste, die Sümpfe, die Dämpfe meinte man, sind krank machend, und um den Feind zu schwächen oder zu töten, trieb man ihn eben einfach in die Sümpfe. Da brauchte man keine Mikrobiologie und keine Gentechnik. Man kann’s natürlich auch effektiver machen.“ Elisabeth sagt sarkastisch: „Man bringt nicht mehr den Feind in den Sumpf, sondern den Sumpf zum Feind …“ Der Hausherr lacht: „Schön gesagt, so macht man’s heute. Also, ich will mal am Beispiel der Hasenpest kurz erläutern, um was es geht. Ursprünglich war sie eine Erkrankung von Hasen, von Nagetieren, sie ist vor nicht mal 100 Jahren in Kalifornien, in Tulare County, zum ersten Mal beschrieben worden, deshalb heißt sie Tularämie, der Erreger ist mit der Pest verwandt und wie diese ein Bakterium. Wir müssen hier übrigens deutlich unterscheiden zwischen Viren und Bakterien. Bakterien sind viel komplexer, Viren verändern sich sehr schnell, die haben zum Teil nur 7.000 ‚Buchstaben‘, da reichen fünf Veränderungen und alles ist auf den Kopf gestellt. Bei den Bakterien geht das alles sehr viel langsamer. Deshalb ist die Pest kein Problem mehr, man hat Antibiotika. Und diese Eigenschaften der Bakterien machen sie für die Biowaffenforschung interessant. Für die Biowaffenleute kommt Hasenpest gleich nach Milzbrand im Beliebtheitsgrad, denn es sind eben nur ganz wenige dieser Erreger tatsächlich auch zur Biowaffe geeignet. Es gibt eine lange Liste von Kriterien, zum Beispiel muss ich sie in großen Mengen produzieren können, die Krankheit muss innerhalb weniger Tage ausbrechen – also ganz kurze Inkubationszeit von zwei, höchstens 14 Tagen. Selbst der ‚Blitzkrieg‘ im Irak hat jetzt vier Wochen gedauert … also, man kann für diesen Zweck kein Toxin brauchen, das erst in 20 Jahren Krebs auslöst. Ein sehr wesentliches Kriterium ist natürlich die Prophylaxe für die eigenen Leute! Deshalb können sie Ebola-Viren nicht wirklich als Biowaffe einsetzen, es gibt keine Ebola-Impfung. Selbst die Forscher im Labor sind gefährdet. Es war, glaub’ ich, der Marburg-Virus, der damals in der SU als Waffe produziert wurde. Der leitende Forscher infizierte sich im Hochsicherheitslabor trotz Unterdruck, doppelter Handschuhe und aufgepustetem Anzug. Er hat sich bei einem Rattenexperiment durchgepiekst in den Finger und blieb dann zwei Wochen bis zu seinem Tod in dem Labor. Es gibt eine drastische Beschreibung in der New York Times, sein Tagebuch war zum Schluss blutbeschmiert, weil die Krankheit ja sämtliche Blutgefäße … Sein Schicksal zeigt, wie gefährlich das ist. Es muss also eine Prophylaxe geben, dabei ist dann allerdings wieder wichtig, dass die vorsorgliche Behandlung dem Gegner nicht zur Verfügung steht.

Bei Milzbrand wurde dieses Problem so gelöst: Zwar lässt sich der Erreger ganz einfach mit Antibiotika behandeln, aber nur, bevor die Symptome einsetzen. Das sind also die zentralen Kriterien für die Tauglichkeit zur Biowaffe, das wurde alles durchgetestet.

Die ersten wissenschaftlich geleiteten systematischen Programme, die fingen in Japan an, im Zweiten Weltkrieg, und in den USA und England. Die Deutschen hatten auch schon Verschiedenes eingesetzt, als Geheimdienstaktion, aber noch nicht im industriellen Maßstab. Und eben dafür wurden Milzbrand und Hasenpest ausgewählt. Sie erfüllen ideal alle Kriterien, übrigens auch dieses, dass es sich problemlos als Aerosol einsetzen lassen muss, denn das ist ja der Weg, wie man es in die Menschen hineinbringt.“

Die Kinder laufen vorbei, und wir finden es etwas beklemmend, vor ihnen davon zu reden, doch unser Gastgeber sagt: „Der Kleine, der letztes Jahr in die Schule gekommen ist, hat dort buchstabiert: A wie Anthrax, Mhhhm wie Mizbrand. Und er findet es supercool, dass ich jetzt UN-Waffeninspektor geworden bin. Zurück zum Thema. Also wie gesagt, Hasenpest und Milzbrand stehen ganz oben auf der Beliebtheitsliste, aber so einfach, wie die Medien das gern hinstellen, ist die Sache natürlich nicht. An den Erreger ranzukommen, ist relativ einfach, ihn aber in großen Mengen zu produzieren, und zwar so, dass er seine krank machende Wirkung behält, erfordert schon eine ganze Reihe von Einrichtungen. Man wird diese Fermenter nehmen, so eine Art Bioreaktor, womit heutzutage auch Impfstoffe produziert werden, Medikamente und Bier letztlich auch. Also, ich sage mal, ein Land, das einigermaßen Biotechnologie oder wenigstens ein paar Biologen hat, die kriegen das damit innerhalb von drei bis vier Jahren hin, große Mengen zu produzieren. Der Irak hatte ja diese ersten Schritte gemacht, sie hatten ein paar tausend Liter Milzbrandbrühe stehen, aber der dritte Schritt, der richtig schwierig ist, den hatten sie nicht geschafft: Das Ausbringen ist ja das Wichtigste. Das Zeug einfach in Granaten füllen geht ja nicht: Erstens wäre kein Aerosol entstanden, und zweitens wären ihnen die Bakterien alle gestorben bei der Explosion. Das war nicht wirklich gefährlich, aber wenn man ihnen noch drei Jahre Zeit gegeben hätte, hätten sie es vielleicht geschafft. Und sehr weit entfernt waren sie auch von dem ‚Sahnehäubchen‘ auf der Biowaffe, der Antibiotikaresistenz durch Genmanipulation. Dabei ist Antibiotikaresistenz in der Gentechnik heute ein Allerweltsexperiment, denn es wird immer als technisches Hilfsmittel bei gentechnischen Veränderungen genommen als Marker-Gen. In jedem Labor, das gentechnisch arbeitet, ist die Antibiotikarestistenz immer dabei. Das ist ja auch deshalb eins der zentralen Argumente DAGEGEN! Uniwissenschaftler haben schon 1986 Milzbrand mit Antibiotikaresistenz entwickelt. Es muss nicht immer miltärische Forschung sein.

Was jetzt die Hasenpest betrifft, so sind verschiedene gentechnisch veränderte Hasenpestbakterien produziert worden, die haben ein zusätzliches Gen eingeführt, sie haben Endorphine in die Hasenpest eingebaut – und das sind körpereigene opiumähnliche Stoffe, Glückskörperchen sozusagen, die auch Schmerz unterdrücken – und das bewirkt, dass die Infizierten nicht mehr zu diagnostizieren sind, jedenfalls nicht als an der Hasenpest erkrankte.“

Der Hausherr holt frischen Kaffee und stellt eine Tüte Kardamonzwieback auf den Tisch. Inzwischen ist seine Frau gekommen. Sie hat die Kinder übernommen, die nun drinnen am Tisch sitzen und irgendwas gemeinsam machen. „Das andere, an dem ich mich immer festbeiße“, fährt Jan van Aken fort, „ist das, was in der Sanitätsakademie der Bundeswehr lagert. Sie haben gentechnisch veränderte Hasenpestbakterien. Die wurden mit einem fluoreszierenden Protein ausgestattet, um den Krankheitsverlauf besser untersuchen zu können, und als so genanntes Marker-Gen wurde ein weiteres Gen miteingeschleust, das eine Resistenz gegen die Antibiotika Tetracyclin und Chloramphenicol bewirkt. Damit wurden die Pathogene noch ‚waffentauglicher‘ gemacht, als sie es ohnehin schon sind – Hasenpest ist ja tödlich –, denn im Ernstfall kann mit diesen Antibiotika nicht mehr behandelt werden. Und die Bundeswehr weigert sich bis heute einzusehen, dass das eine Schweinerei ist von ihnen, so was zu lagern!

Ignoriert wird auch die Tatsache, dass man den gleichen Versuch auch ohne Antibiotikaresistenz machen könnte. Wichtig ist allerdings, hier ganz klar zu unterscheiden zwischen dem, was die Sowjets gemacht haben mit den Endorphinen, und zwischen der Bundeswehr. Erstere haben ganz eindeutig eine offensive, zielgerichtete Forschung betrieben, sie hatten ein Programm. Das hat die Bundeswehr mit Sicherheit nicht. Ich glauben denen den defensiven Zweck. Aber sie haben eben einfach nicht darüber nachgedacht, dass das, was sie da tun, einen Präzedenzfall schafft … Wenn der Irak das gleiche Experiment gemacht hätte, wäre das Labor sofort zerstört worden. Dieses Beispiel zeigt die Zweischneidigkeit der defensiven Forschung, aber darauf komme ich später noch. In der Defensivforschung gibt es Forschungsansätze, bei denen zwangsläufig ein offensives B-Waffenpotenzial mitentwickelt wird, es ist deshalb leicht vorstellbar, dass ein ganzes Arsenal der typischen B-Waffen-Erreger bei der Bundeswehr liegt und für die Testverfahren eingesetzt wird.

Besonders krass war ein früheres ‚Botulinum‘-Projekt unseres Verteidigungsministeriums im Rahmen der biologischen Abwehrforschung. Es ging um die Herstellung eines Impfstoffs, und für dessen Herstellung muss man erst mal eine große Menge des Giftes herstellen. Das Botulinumtoxin wird von Botulinum-Bakterien produziert, die vermehren sich nur anaerob und kommen zum Beispiel in Fleischkonserven vor. Es ist ein Nervengift sozusagen, blockiert die Signalübertragung der Nerven zum Muskel, es kommt zur Lähmung und innerhalb von zwei Tagen zum Exitus. Das ist mit Abstand der giftigste Stoff, den die Menschheit kennt. Kein chemisch produzierter Stoff reicht da auch nur halbwegs ran. Er erfüllt alle Kriterien für eine Biowaffe, sowohl als ganzes Bakterium als auch als ‚aufgereinigtes‘ Gift – deshalb hat es übrigens diese Zwitterstellung, denn dann ist es eigentlich bereits eine chemische Waffe, Biowaffen meint die lebenden Organismen. Aber im internationalen Abkommen zählt es als natürliches Toxin zu den Biowaffen. Jedenfalls wurde es schon früh zu Waffenzwecken benutzt. Japan und die USA haben es im Zweiten Weltkrieg produziert.“

Wir unterbrechen unseren Gastgeber etwas unsanft und weisen ihn auf eine kleine Merkwürdigkeit am Rande hin: auf die Verwendung des Botulinum Toxins in der amerikanischen Anti-Aging-Medizin. Schönheitschirurgen bekämpfen damit bei den Reichen und Schönen Zornesfalten, Lachfalten, Denkerstirn und auch die Absonderungen der Schweißdrüsen. Das Ergebnis scheint derart krass, dass Hollywoodregisseure ihre weiblichen und männlichen Stars bereits zur Unterlassung solcher Behandlungen auffordern, weil die gespritzten Gesichter zu keinerlei Mienenspiel mehr fähig sind. Den Biowaffenexperten lässt das Thema eher kalt, er findet zwar die amerikanischen „Botox-Party“ zum obigen Zweck schwachsinnig, weist aber auf deren Harmlosigkeit hin, was die Giftmenge betrifft, und erwähnt, dass der Stoff inzwischen ja auch vielseitig als Medikament in der seriösen Medizin eingesetzt wird.

Zurück zur Bundeswehr, also wie gesagt, sie machen meiner Meinung nach sicher nichts Offensives, sie haben ein relativ kleines Programm innerhalb Europas und haben in der Abwehrforschung eigentlich zwei Schwerpunkte: Impfstoffe und Nachweisverfahren. Impfstoffe finde ich da vollkommen falsch, sei es nun gegen Botulinumtoxin oder gegen Q-Fieber … Voriges Jahr habe ich das mal international veröffentlicht. Daraufhin schrieb mir ein alter Biowaffenexperte aus den USA: Wenn die Bundeswehr tatsächlich Q-Fieber-Impfstoff entwickelt, dann fände er das äußerst bedenklich, denn es gäbe eigentlich nur einen einzigen Grund, das zu machen, nämlich den, Q-Fieber als Waffe einzusetzen! Und hier sind wir schon mittendrin im Problem der Zweischneidigkeit von Defensivforschung auf diesem Gebiet. Problematisch an ihr ist, dass sie mit dem ‚dual use‘-Charakter behaftet ist, das betrifft besonders auch Impfstoffe. Impfstoff, das hört sich zwar extrem defensiv an. Er taugt nicht als Angriffswaffe, aber er könnte natürlich zu einer gehören und der Vorteil sein, der den Gegner tötet und die eigenen Leute schützt. Darüber hinaus muss gesagt werden, dass man Impfungen als Schutz vor biologischen Waffen schon deshalb sehr in Frage stellen muss, weil man unmöglich die gesamte Bandbreite von B-Waffen-Erregern impfen kann! Alle bisher bekannten offensiven Programme haben mehrere Erreger parallel entwickelt, ganz zu schweigen von den Möglichkeiten, die die Gentechnologie da eröffnet hat. Und wenn dann auch noch die Transparenz fehlt, dann ist das mehr als bedenklich. Dieses umstrittene Hasenpestprojekt übrigens, das hatten sie damals peinlicherweise nicht mal dem Bundestag gemeldet – nach der deutschen Rechtslage müssen die einmal im Jahr als Bundeswehr melden, was sie für gentechnische Projekte haben. Ich habe das ganz zufällig rausgekriegt. Sie hatten es ganz einfach vergessen. Glaube ich sogar. Die Sache liegt aber so, zwar ist an sich das Hasenpestprojekt völlig belanglos. Aber es torpediert sozusagen einen Prozess auf internationaler Ebene … Denn prinzipiell soll kein gentechnisches Experiment durchgeführt werden dürfen, das einen Biowaffenerreger noch gefährlicher macht und das aus Militärmitteln finanziert wird. Und dieser Konflikt wird bei uns einfach ausgesessen. Das Außenministerium will weltweite Kontrolle, nur viel da hinein investieren wollen sie nicht, und das Verteidigungsministerium will unbedingt weiterhin alle gentechnischen Experimente machen, die es für wichtig hält. Also, ich finde es generell besser, wenn auch die ganzen Nachweisverfahren und was es sonst noch gibt in der Biowaffen-Abwehrforschung ganz im Zivilen angesiedelt werden – wo ja jetzt auch schon einiges per Auftragsvergabe gemacht wird – also warum nicht gleich alles ans Robert-Koch-Institut und warum nicht gleich den ganzen Biowaffen-Abwehr-Etat noch dazu?!“

Der kleine Sohn kommt, will irgendwas vom Vater, ist unwillig über die lange Unterredung, lehnt sich eine Weile, uns ernst anblickend, ans väterliche Knie und gibt dann resigniert auf. Jan von Aken schaut ihm zerstreut nach und fährt fort: „Aber damit ist das eigentliche Problem ja noch nicht gelöst, das Problem der Kontrolle. Denn wer kontrolliert das? Weltweit niemand! Und das ist unser aller Problem. Im Irak, da haben die UN-Inspekteure kontrolliert, da sind viele Sachen gemacht worden, man hat auch neue Methoden entwickelt. Aber über den Irak hinaus gibt’s nichts. Das ist das große Desaster eigentlich. Weder die USA noch Deutschland noch Indien, Pakistan, Israel, Ägypten, Nordkorea, Kuba, keines der guten, schlechten, bösen, blauen, roten … Länder wird kontrolliert. Und was so an Listen vom CIA produziert wird, da stehen oft 20 bis 25 Länder drauf, aber meist gibt’s da nur die Anmerkung: ‚Hat die technischen Möglichkeiten‘. Also die technischen Möglichkeiten sind ja fast überall gegeben, auch in den armen und ganz armen Ländern steht heute ein Bioreaktor, sie haben funktionierende Anlagen für Impfstoffe und andere Medikamente und könnten mit einem Knopfdruck quasi umschalten auf Biowaffenproduktion. Dennoch vermute ich, dass die politischen und auch die anderen Schwellen letztlich bisher noch relativ hoch waren … Das kann sich natürlich ändern, denn die USA drängen auf Lockerung der Biowaffenkonvention, und das könnte verschiedene andere Länder dazu animieren, offensive Biowaffenprogramme anzustreben. Die USA selbst forschen an biologischen Waffen, die ganz klar die Biowaffenkonvention verletzen. Das läuft unter ‚nicht tödliche Waffen‘, zum Beispiel gentechnisch veränderte Mikroorganismen, die Material zerstören. Sie sollen Materialien wie Asphalt, Zement, Farbe und Öl zerstören und damit die Gebäude, Rollbahnen, Flugzeuge des Gegners. Etwas anderes sind die Material fressenden und zerstörenden Pilze, die auch Plastik zersetzen können. Über die farbfressende Variante hat ein Navy-Offizier mal gesagt: ‚Wenn man das auf den Schutzanstrich eines Tarnkappenbombers sprüht, dann wird das runtergefressen, und man sieht ihn auf dem Radarschirm. Das passiert innerhalb von 24 Stunden.‘ Das ist jetzt ein Pilz in dem Fall. In einem früheren Programm hat die US-Landwirtschaftsbehörde an einer Art Killerpilz gearbeitet, für die Vernichtung illegaler Drogenpflanzen zum Einsatz in Lateinamerika. Das verstößt alles gegen die Biowaffenkonvention, die jede feindselige Nutzung lebender Organismen gegen Mensch, Tier und Pflanze verbietet.“

Wir essen vom Kardamonzwieback. Er schmeckt ein wenig nach Haschischkeksen und passt so sehr gut zum Thema. „So, und hier wird das Problem wieder sichtbar an der Frage: Ist das noch Forschung oder schon Entwicklung? Das ist noch Forschung, würde ich sagen. Forschung ist: Ich habe ein Labor und experimentiere mit solchen Sachen. Entwicklung wäre: Ich versuche diese Forschung umzusetzen in ein militärisches Produkt, also: Ich probiere es im Freiland aus und entwickle dazu Lagerbedingungen, Ausbringungsmethoden, und der nächste Schritt wäre dann die Produktion. Diese Abfolge und die Unterscheidung ist wichtig, denn die Biowaffenkonvention verbietet Entwicklung, Produktion, Lagerung, Weitergabe usw. Forschung hingegen ist erlaubt, wird aber nicht kontrolliert. Bei den nichttödlichen Chemiewaffen, da haben wir sehr genau hingeguckt, und da kämen wir drauf, zu sagen: Wenn sie an fünf Firmen die Aufträge zur Ausbringung vergeben, Raketen oder Granaten zu entwickeln, und wenn sie die dann im Freiland unter natürlichen Bedingungen testen, dann ist das unzweifelhaft und auf jeden Fall schon Entwicklung und fällt damit unter das Verbot der Chemiewaffen-Konvention. Und das gilt natürlich ganz genauso für die Biowaffen. Aber eines ist ja bei all den Ausführungen klar geworden: Man kann Biowaffen nur dann verhindern, wenn es keine Geheimforschung gibt im biologischen Bereich. Deshalb hat die höchste Priorität: Transparenz. Und wie komme ich zu Transparenz? Da gibt es zwei Wege. Der eine: Die Staaten untereinander spielen mit offenen Karten, also multilaterale Abkommen, Verifikation der Biowaffenkonvention. Das wäre der sicherste und der richtige Weg. Der ist durch die ablehnende Haltung der USA gerade im völligen Desaster geendet – nach zehn Jahren Verhandlungen! Der andere Weg zur Transparenz muss ohne die Staaten beschritten werden, durch die Zivilgesellschaft. Also, entweder die Staaten machen’s, oder wir machen’s! Am besten wäre natürlich, es machen alle zusammen. Wir machen ja schon eine Weile ganz konkrete Arbeit, haben mit anderen kleinen Nichtregierungsorganisationen zusammen ein weltweites Netzwerk gegründet, wo eben solche Recherchen, wie wir sie jetzt auch für Deutschland gemacht haben und für die USA, auch in Asien oder Afrika beispielsweise gemacht werden.“

Unten im Garten spielen die Kinder ausgiebig mit einem Ball, seltsamerweise stört das weniger als ein Hubschrauber, der uns hoch oben überfliegt … „Neben den Recherchen oder aufgrund der Recherchen machen wir auch Kampagnen, und gleich die erste nach Gründung dieses Sunshine Projects, die gegen den Antidrogenpflanzenpilz, das sog. ‚Agent-green‘, war dann so erfolgreich, dass das Programm von Clinton eingestellt wurde. Es war wirklich beeindruckend, wie man mit ein paar so dahergelaufenen Leuten wie uns eine internationale Kampagne erfolgreich aufziehen und gewinnen kann, das ist unglaublich! Wir haben ja alle vorher bei internationalen Organisationen gearbeitet, und da lernt man u. a. auch: zielgerichtet und fokussiert zu arbeiten und zu gewinnen. Das ist eine der ganz großen Qualitäten von Greenpeace. Aber leider ist das Thema Biowaffen weitaus weniger im Bewusstsein als das Thema Umwelt. Wir sehen das immer bei den Konferenzen, wo wir als Nichtregierungsorganisation allein auf weiter Flur stehen. Anfangs haben wir uns auch sehr gewundert, dass nach den massiven Erfolgen und der Aufmerksamkeit, die sie hatten in den Medien, im Internet, dass sich das Projekt trotzdem nicht auf solide finanzielle Füße stellen ließ. Es liegt einfach an der relativ geringen Aufmerksamkeit, die man diesen Gefahren gegenüber bisher an den Tag legt. Allerdings verändert sich allmählich etwas, in den letzten zwölf Monaten hatten wir über 60.000 Internetnutzer, die unsere Seiten besucht haben. Das sind also im Schnitt 200 am Tag. Also, das sind interessierte Leute, die ganz gezielt Informationen möchten.“

Wir würden gerne noch etwas über seine Ernennung zum UN-Waffeninspektor erfahren. „Na ja, das war so. Zur Transparenz gehören ja Inspektionen, wir fordern sie für den Irak, und wir fordern sie auch für die USA. Ich habe mich beworben beim Außenministerium, habe lange nichts gehört von denen, und eines Tages, im vorigen Dezember – der Irak war gerade wieder geöffnet für Inspektionen –, da wurde ich zu einem Vorstellungsgespräch gebeten, und man hat mich genommen. Ich bin jetzt Mitglied sozusagen eines Expertenpools, inzwischen sind wir 315 ausgebildete Leute. Zur Ausbildung – eine Grundausbildung, die muss jeder machen – war ich drei Wochen in Wien. Also, das steht auch in der Resolution drin, die Ausbildung muss kultureller und praktischer Art sein. Kulturell hieß dann, wir befassten uns mit der Kulturgeschichte des Islam bis hin zur politischen Geschichte des Irak in den letzten 50 Jahren, und dann gab’s einen Crash-Kurs: Was haben die Inspektoren in den 90er-Jahren gefunden? Sehr im Detail. Dann wurden wir aufgeteilt in Fachdisziplinen. Wir haben auch Probeinspektionen gemacht (wo, darf ich nicht sagen). Wir haben die ganzen irakischen Erklärungen bekommen, richtig dicke Papiere, die wir dann durchgearbeitet haben bis zum Exzess, um alle auf den gleichen Wissensstand zu bringen. Es war sehr intensiv und sehr gut, muss ich sagen. Das war bei der IAEO auf der Donauinsel, in der UNO-City, ich war sehr beeindruckt. Bei der Ausbildung waren insgesamt 60 Leute aus der ganzen Welt. Jeweils 20 im Bereich Biowaffen, Chemie und Raketen. Männer, nur Männer. Fast. Unter den 60 waren fünf Frauen, alle bei den Biologen. Das Biowaffenteam war überhaupt etwas anders. Das erklärt sich auch dadurch, dass es offiziell gar keine Biowaffenprogramme gibt, also gibt es auch keine Biowaffenexperten! Auch bei uns war natürlich die Mehrheit mit dem Militär irgendwie verbandelt. Wir waren dann auch nach Wien in Brasilien, in einer Fabrik. Sie haben uns alles gezeigt, die Brasilianer waren fantastisch, dort haben wir sehr viel gelernt. Denn sobald man anfängt, wirklich ins Detail zu gehen, genau zu gucken, hat man sehr wohl die Möglichkeit zu unterscheiden zwischen offensiv und defensiv. Man kann ‚monitoren‘, das ist ein Begriff aus den Irakinspektionen, kann Proben ziehen, die Produktionskapazitäten kontrollieren, kann überprüfen, wie viele Botulismusfälle haben die … Schweine, Pferde, Rinder in dem Land, also was ist der Bedarf an Impfstoff, was wurde vielleicht exportiert, dann würde ich die Ausfuhrgenehmigungen sehen, dann würde ich in dem Land, das importiert hat, nachprüfen, denn wir wissen ganz genau, die haben soundsoviel gekauft da und dafür. Und am Ende kann man sagen, ja, das macht alles Sinn, hat Hand und Fuß, von A–Z.“

Die Mutter unseres Gastgebers kommt zu Besuch, begrüßt uns freundlich und wird im Wohnzimmer von den Kindern umringt. „Ich musste eine ganzeMenge lernen“, sagt Jan van Aken ohne Eile, „dieser ganze Abrüstungsbereich funktioniert vollkommen anders, der ist erzkonservativ. Mehr als die Hälfte der Leute hat einen militärischen Hintergrund! Da gibt’s keine Alternativkultur, keine NGOs. Im Umweltbereich wären wir Mainstream, hier sind wir die Linksaußen, die radikalen, absolut bunten Hunde, obwohl wir Mainstream machen, solide Forschung, solide Recherchen veröffentlichen. Wir sind kritisch und seriös zugleich. Bei Konferenzen ziehe ich auch schon mal einen Anzug an, sonst erschrecken die mir zu Tode.

Ich gehöre ja zu dieser ganz spezifischen Generation, die Widerstand noch gelernt hat. 1980 habe ich Abitur gemacht. 1980 war die Hochzeit der Hausbesetzerbewegung. Das war noch die Vor-Kohl-Ära. Nach 68 und vor Kohl! Jeder, der den Wehrdienst nicht verweigert hätte, jeder, der keinen Zivildienst gemacht hätte, der hätte sich furchtbar rechtfertigen müssen, damals, in unserem erzkonservativen Gymnasium. Das gehörte einfach zum Werdegang, ein autonomes Jugendzentrum, die Friedensbewegung, die Fahrt zur Startbahn West. Und auch, als ich studiert habe, da gab’s viele, die sich gefragt haben, was machen wir hier eigentlich, und die haben was dagegen unternommen, beispielsweise Prüfungen boykottiert. Gleich im ersten Semester habe ich damals damit angefangen, die Gentechnik zu meinem Thema zu machen. Dass ich jetzt, nach 20 Jahren, immer noch dranhänge, das hätte ich mir auch nicht träumen lassen.“

Wir verabschieden uns von dem freundlichen UN-Waffeninspektor, den es eigentlich gar nicht gibt.