Sturm in der Kloschüssel

Eigentlich wollte Bayerns Innenminister Günther Beckstein nur Bürokratie abbauen. Doch weil davon auch Wirtshaustoiletten betroffen sind, ging ein Aufschrei durchs Land. Tatsächlich bleibt die Toilettenpflicht aber als „Generalklausel“ verankert

AUS MÜNCHEN JÖRG SCHALLENBERG

Das Entsetzen war groß. Und weil die Geschichte in Bayern spielt, sogar: gewaltig. „Wo sollen wir pinkeln?“, fragte der Münchner Lokalvizechef der Süddeutschen Zeitung verzweifelt. Der SPD-Landtagsabgeordnete Hermann Memmel schrie laut „Skandal!“ Und der Münchner Merkur ließ sofort alle Reporter ausschwärmen, um die Wirtsleut in ganz Oberbayern zu den unerhörten Plänen des Innenministers zu befragen. Was war geschehen?

Günther Beckstein, sonst CSU-Speerspitze zu allen Fragen der inneren Sicherheit, hatte angekündigt, die bayerische Gaststättenbauverordnung durch die Versammlungsstättenverordnung zu ersetzen. Das klingt harmlos, hat aber den Haken, dass die neu zugeordnete Verordnung nur Lokale mit 200 Plätzen und mehr betrifft. Für kleinere Gaststätten fiele die Gaststättenbauverordnung daher ersatzlos weg – und damit auch die dort genauestens geregelte Toilettenpflicht.

Bislang fordert der bayerische Gesetzgeber in genauer Kenntnis der durchschnittlichen Blasenstärke für ein Gasthaus mit 50 Plätzen beispielsweise je eine Herren- und Damentoilette sowie zusätzlich zwei Urinale und eine zwei Meter lange Pinkelrinne. Bei 200 Plätzen sind bereits zwei Herren- und Damen-Schüsseln gefordert, dazu vier Urinale oder drei Meter Pinkelrinne.

Wenn diese Toilettenpflicht nun aber wegfällt, dann – ja, was dann? Und vor allem – wohin? Schnell fanden sich in der regionalen Presse anonym zitierte Wirte, die bereits frohlockten, die Kosten für die Klos einzusparen und stattdessen mehr Raum für Tische zu schaffen. SPD-Mann Memmel ging auf die Barrikaden: „Das kann doch nicht sein. Wo verrichten denn die Menschen ihre Notdurft?“ Schon tauchten erste Gerüchte auf, der Freistaat wolle ehrbare Wirtshausbesucher zu gemeinen Wildbieslern – wie man hier Freiluftpinkler nennt – degradieren, um sie dann auf frischer Tat zu ertappen und Bußgelder einzutreiben.

Nur im Innenministerium schüttelte man entgeistert den Kopf über die Aufregung. Pressesprecher Michael Ziegler erklärte reichlich genervt, das Ganze sei „nicht mehr als ein Sturm in der Kloschüssel“. Schließlich wolle man nur Gutes, nämlich die Entbürokratisierung des vollschlanken Staates vorantreiben. Auf diesem Weg möchte die CSU, wie sie großspurig nach der Landtagswahl im September 2003 verkündete, Zeichen für ganz Deutschland setzen. So haben die Christsozialen bereits die Abschaffung des Obersten Landesgerichts verkündet – einer Instanz, die es in anderen Bundesländern ohnehin nicht gibt. Sollte nun die Pinkelpleite folgen?

Sicher nicht, sagt Ministeriumssprecher Ziegler. Tatsächlich wird die Toilettenpflicht in Zukunft als Generalklausel in der bestehen bleibenden Gaststättenverordnung – die ohne „bau“ also – verankert werden. Einziger Unterschied: Die genauen Vorschriften über Größe und Anzahl der bereitzuhaltenden Toiletten entfallen. Das bayerische Kabinett hat diesen Umweg zum Örtchen nun als „wichtigen Schritt zur Deregulierung“ beschlossen. Bayern atmet auf.