Eine Hotline für müde Islamisten

Niedersachsen plant Aussteigerprogramme für Islamisten. Damit soll „Radikalisierung durchbrochen“ werden. In anderen Bundesländern schüttelt man den Kopf: Ideologisch gefestigte Muslime kann man nicht wie Nazis aus ihrer Szene holen

aus Göttingen YASSIN MUSHARBASH

Neue Wege bei der Bekämpfung islamistischer Extremisten will der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) beschreiten: Als erstes Bundesland plant Niedersachsen, Islamisten mit einem Aussteigerprogramm die Möglichkeit zu bieten, mit staatlicher Unterstützung die Szene zu verlassen.

„Von Islamisten geht in Deutschland die größte Bedrohung für die innere Sicherheit aus“, sagte Schünemann am Wochenende in einem Interview. „Aussteigerprogramme, die zur Integration von Islamisten in unsere Gesellschaft führen, könnten ein sinnvoller Weg sein.“

Schünemanns Sprecher Klaus Engemann bestätigte gestern im Gespräch mit der taz, dass im Ministerium bereits an konkreten Angeboten gefeilt wird. „Denkbar sind zur Zeit aber noch verschiedene Modelle“, betonte Engemann. So sei zum Beispiel noch nicht entschieden, ob man sich vor allem auf potenziell gewaltbereite Jugendliche oder bereits inhaftierte Islamisten konzentrieren wolle, und ob vornehmlich die Polizei oder eher Sozialarbeiter in die Pläne einbezogen würden. Diskutiert werde auch eine Telefon-Hotline für Aussteigewillige. Das Ziel sei aber in jedem Fall, „die Radikalisierung in Parallelgesellschaften zu durchbrechen“.

Vorbild bei den Planungen sind dabei offensichtlich die bereits bestehenden Aussteigerprogramme für Rechtsradikale. Knapp 200 gewaltbereite Rechte haben nach Angaben der Innenminister der Länder im Rahmen dieser Anfang 2001 von Innenminister Otto Schily (SPD) initiierten Kampagne der Szene den Rücken gekehrt.

In anderen Bundesländern ist man skeptisch, ob der niedersächsische Vorstoß der richtige Weg ist. „Wir halten davon überhaupt nichts“, erklärte die Sprecherin des baden-württembergischen Innenministers Thomas Schäuble (CDU), Alice Loyson-Siemering, im Gespräch mit der taz. „Wir glauben nicht, dass man diese Klientel mit solchen Programmen erreichen kann.“ Religiös motivierte könnten mit politisch motivierten Extremisten nicht einfach verglichen werden. Ähnliche Bedenken gibt es in Nordrhein-Westfalen, dem Land mit der größten islamistischen Szene. „Aussteigerprogramme gehen davon aus, dass jemand zuvor irgendwo eingestiegen ist“, sagte der Sprecher des NRW-Innenministers Fritz Behrens (SPD), Gregor Lange, der taz. Dies sei bei Islamisten, die schon in einer Parallelgesellschaft aufgewachsen seien, nicht der Fall. „Die Integration von Islamisten ist deshalb eine ganz andere Geschichte.“ Es sei sinnvoller, Integrationsangebote zu verstärken. Auch der Sprecher des bayerischen Innenministers Günther Beckstein (CSU), Michael Ziegler, äußerte sich skeptisch: „Ein zum Selbstmord entschlossener Terrorist wird sicher nicht aussteigen“, sagte er der taz. Auch Mitglieder nicht gewaltbereiter islamistischer Organisationen, wie etwa der Milli Görüs, könne man kaum zum Ausstieg bewegen. Die Milli-Görüs-Mitglieder verstünden sich als fromme Gläubige. Ein Ausstieg aus der Organisation käme für sie einem Ausstieg aus dem Glauben gleich.

Der Berliner Islamwissenschaftler Peter Heine betonte im Gespräch mit der taz, „dass es sich bei Islamisten in der Regel nicht um tumbe Leute oder 16-jährige Jugendliche“ handle, „die irgendwie in die Szene reingeraten sind“. Vielmehr gehe es hier um ideologisch gefestigte Personen. Es sei unklar, welche Alternative ihnen nach einem Ausstieg geboten werden könne. Im aktuellen Verfassungsschutzbericht wird die Zahl der Mitglieder islamistischer Organisationen bundesweit auf 30.600 beziffert. Als größte islamistische Gruppe gilt mit etwa 26.500 Mitgliedern Milli Görüs.