„Viele Lehrer sagen: Der Karren muss gegen die Wand“

Eine Berliner Gymnasiallehrerin über den Frust und die Sabotagegedanken, die sich wegen erhöhter Pflichtstunden unter den Kollegen breit machen

taz: Frau Demberger, Berlin spart an seinen Lehrern: Die Stundenzahl wurde erhöht. Jetzt soll es auch weniger Urlaubs- und Weihnachtsgeld geben. Wie fühlen Sie sich?

Gisela Demberger: Bei mir löst das eine unglaubliche Wut aus. Der Berliner Senat hat die Arbeitszeit für Beamte allgemein um zwei Stunden erhöht. Für uns Lehrer bedeuten zwei Stunden mehr Lehrdeputat aber vier Stunden mehr Arbeit. Wir müssen die Stunden in der Klasse ja schließlich vorbereiten. Ich bin damit nicht einverstanden. Ständig wachsen die Anforderungen, die Vorbereitung eines Abiturs etwa ist heute viel komplizierter als vor 20 Jahren. Und trotzdem steigt die Stundenzahl immer weiter, zuletzt im Jahr 2000 um eine Stunde.

Soll der Senat Lehrer etwa von Kürzungen ausnehmen?

In einer Zeit, wo in allen gesellschaftlichen Bereichen gespart wird, müssen sich auch die Lehrer beteiligen. Ich halte es zum Beispiel für akzeptabel, Urlaubs- und Weihnachtsgeld zu streichen. Aber es ist falsch, ständig die Arbeitszeit auszudehnen. Es gibt viereinhalb Millionen Arbeitslose – und gleichzeitig powert man die Arbeitenden so aus, dass sie spätestens mit 58 zusammenbrechen. Zudem verringert man die Chancen für Berufsanfänger, da es keine Neueinstellungen mehr gibt.

Was tun die Lehrer dagegen?

Wenn die Schulbehörde uns zu Mehrarbeit verpflichtet, ohne zuvor auch nur den geringsten Dialog mit Lehrern zu führen, werden wir andere Belastungen nicht mehr tragen. Beispielsweise werden wir keine Klassenfahrten mehr durchführen. Dazu sind wir nicht verpflichtet, wir müssen sie ohnehin aus eigener Tasche bezahlen. Viele Lehrer sind doch inzwischen fatalistisch. Sie wehren sich nicht mehr offen, sondern sagen im Lehrerzimmer: „Man muss den Karren eben an die Wand fahren, wenn die uns so auspowern.“

Für Pädagogen eine absurde Reaktion: Weil der Staat kürzt, rächt man sich mit Dienst nach Vorschrift. Die Leidtragenden sind die Schüler.

Das ist durchaus so. Aber man kann von einem überlasteten Lehrer keinen guten Unterricht erwarten. Ich bin Französischlehrerin. Sprachen lernen hat eine sehr affektive Komponente. Das heißt, die Schüler müssen sich wohl fühlen, um gut zu lernen. Sie müssen spüren, dass die Lehrer jeden einzelnen Schüler kennen und auf seine Schwierigkeiten eingehen. Für so ein Engagement ist eine Stundenerhöhung nicht förderlich. Lehrer können und wollen das unter diesen Bedingungen nicht mehr aufbringen. Sehen Sie, wenn ich bei meinem jetzigen Stundenpensum bleiben würde, so müsste ich nun inklusive Weihnachts- und Urlaubsgeld eine Gehaltskürzung von über 22 Prozent hinnehmen.

Warum ist die Lehrergewerkschaft so zurückhaltend?

Da suche ich selbst nach einer Erklärung.

Die Zahl der zu unterrichtenden Stunden ist übrigens in anderen Bundesländern ähnlich hoch wie in Berlin.

Dieses Argument bringt mich auf die Palme. Es ist doch immer das Gleiche: die Finanzen sind marode – also müssen Lehrer mehr unterrichten. Hat sich ein Bundesland damit erst mal durchgesetzt, ziehen die anderen schnell nach. Es gibt inzwischen vier Länder mit einem 26-Stunden-Deputat, Bremen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Hessen. In Bremen, das als erstes erhöhte, haben sie gleich einen Antrag auf Altersteilzeit mitgeschickt: Sie wussten, dass ältere Lehrer das nicht schaffen.

Liegt das Problem nicht auch an der Art, die Lehrer-Arbeitszeit zu berechnen? Da gilt nur die Zeit vor der Klasse. Damit ergibt sich ein großer unbestimmter Teil: Niemand weiß, wie viel Zeit es wirklich braucht, Unterricht vorzubereiten. Das schafft Vorurteile in der Öffentlichkeit.

Diese Vorurteile und Unterstellungen könnten ausgeräumt werden, wenn man die Lehrerarbeitszeit mal gerecht darstellen würde. Es gibt viele Untersuchungen dazu.

In anderen Berufen ist das nicht so umständlich, da beträgt die Arbeitszeit eben 40 Stunden. Was hielten Sie davon, so zu arbeiten: 40 Stunden, die sie in der Schule ableisten?

Das wäre mir durchaus lieb. Wenn es dann so wäre, dass jeder Lehrer endlich einen eigenen Arbeitsplatz in der Schule bekommt. Dazu müsste man allerdings Schulen ganz anders bauen und ausstatten. In unserem Lehrerzimmer gibt es noch nicht einmal für jeden einen Stuhl.

INTERVIEW: E. KRESTA, CH. FÜLLER

Gisela Demberger lehrt Französisch und Latein am Franz. Gymnasium in Berlin