Mäßiges Vorbild Köln

Wenn Hamburgs Kultursenatorin Karin von Welck stets betont, man werde die Elbphilharmonie schon füllen können, weil das in Köln ja auch funktioniere, stimmt das nur bedingt. Denn Köln ist mäßig ausgelastet und hat zudem keinen zweiten vollwertigen Konzertsaal. Hamburg aber sehr wohl

VON PETRA SCHELLEN

Der Moloch bekommt Füße. Oder soll man sagen: endlich Boden unter den Füßen? Wie auch immer man es formulieren mag – der Rohbau des Elbphilharmonie-Sockels – der stabilisierte und mit einem Parkhaus gefüllte Kakaospeicher aus den 70er Jahren – ist seit gestern fertig. 600 Pfähle mehr stecken jetzt im Elbschlamm, die denkmalgeschützten Außenmauern stehen stabil, und ein Dach ist auch obendrauf. Gleichzeitig ist dies der Boden jener geplanten Aussichts-Plaza, die 37 Meter über Elbe und Hafencity liegt und von der man gut elbabwärts schauen kann. Darüber wird sich, wie auf kleinen Betonfüßchen, ein gläsernes Getüm mit Konzertsaal, Luxuswohnungen und -hotels sowie Gastronomie erheben. Der Rohbau der eigentlichen, als „architektonischer Parasit“ von den Schweizer Architekten Herzog & de Meuron geplanten Elbphilharmonie soll im März 2009 beginnen. Das Eröffnungskonzert ist für Mai 2012 geplant.

Rechtschaffen erleichtert wirkten Kultursenatorin Karin von Welck (parteilos) und Heribert Leutner, Chef der städtischen Realisierungsgesellschaft, bei der gestrigen „zweiten Grundsteinlegung“, haben sie doch soeben eine weiter Etappe der Verteuerungs und Verzögerungsdiskussion hinter sich gebracht. Die geschätzten Gesamtkosten des Renommier-Projekts liegen derzeit bei rund 500 Millionen Euro; kommenden Dienstag, am 23. Dezember also, sollen abermals neue, abermals endgültige Zahlen verkündet werden.

Für den Moment allerdings sind die Handelnden zufrieden und verdrängen gern die Frage, ob die Hamburger Bevölkerung den teuren Bau durch eifrige Konzertbesuche würdigen wird. Anlass zur Sorge gäbe es durchaus, ist das Volk doch schon jetzt nur mittelmäßig auf das Elite-Projekt zu sprechen. Und das, obwohl die Kultursenatorin trotzig betont, international schätze man die Elbphilharmonie bereits sehr. Zudem werde dies ein Haus für alle sein. Und die fehlenden 2.150 Zuschauer würden sich schon finden.

Als stereotyper Beweis hier muss die Kölner Konzerthaus-Situation herhalten, die Mitte der Achtziger der Hamburger vergleichbar war: Auch in Köln gab es damals einen einzigen, recht betagten Konzertsaal: den im 15. Jahrhundert gebauten Mehrzwecksaal Gürzenich. Er hat 1.338 Plätze und ist – wie die um 1904 gebaute Hamburger Laeiszhalle – nach dem Schuhkarton-Prinzip mit hintereinander angeordneten Stuhlreihen organisiert. Wie in Hamburg fehlte auch in Köln ein zeitgemäßer, großer Konzertsaal mit guter Akustik. 1986 wurde schließlich die Kölner Philharmonie eröffnet, wie die Elbphilharmonie als „Weinberg“-Saal mit rund ums Orchester gruppierten Plätzen konzipiert. Leider liegt die unterirdische Kölner Philharmonie allerdings so ungünstig am Hang, dass auf ihrem Dach Rollerskater bollern und Wachen sie fernhalten müssen, damit man‘s im Saale nicht hört. Abgesehen davon aber hat der Veranstalter Köln Musik auch hier – wie Elbphilharmonie-Intendant Christoph Lieben-Seutter – einen selbst planbaren Konzertanteil von 30 Prozent. Den Rest teilen sich zwei Hausorchester – das WDR-Sinfonieorchester und das Gürzenichorchester – sowie private Veranstalter.

Die Auslastung des 2.000 Sitz- sowie 100 Stehplätze fassenden Saals der Kölner Philharmonie – fast identisch mit den Elbphilharmonie-Kapazitäten – straft von Welcks Optimismus allerdings lügen: Lediglich im Eröffnungsjahr war die Kölner Philharmonie zu 94 Prozent ausgelastet. Seither bewegen sich die Quoten zwischen 70 und 83 Prozent.

Das ist nicht wenig, und für die Hamburger Elbphilharmonie wird gleichfalls mit 70 bis 80 Prozent kalkuliert. Doch wer jetzt jubelt, freut sich zu früh, denn der Kölnisch-Hamburgische Vergleich hinkt – einfach aufgrund der Tatsache, dass die beiden älteren Vorgänger-Konzerthäuser völlig verschieden sind: Während der Kölner Gürzenich seit Eröffnung der Philharmonie kaum noch Klassik, sondern einen Mix aus leichter Muse, Karneval und anderen Veranstaltungen bietet, wird die Hamburger Laeiszhalle, da keine Mehrzweckhalle, reiner Konzertsaal bleiben.

Will sagen: Während das Kölner Gürzenich-Musikpublikum großteils in die Philharmonie abwanderte und die dortigen Zuschauer-Statistiken auffüllt, muss das gesamte Hamburger Elbphilharmonie-Publikum zusätzlich akquiriert werden. Zudem hat die Hamburger Laeiszhalle mit ihrem 2.023 Sitzen doppelt so viele Plätze wie der Kölner Gürzenich; die müssen zusätzlich zu den 2.150 Elbphilharmonie-Plätzen an jedem Tag des Jahres gefüllt werden. Diese gern verschleierten Details könnten die optimistische Rechnung der Hamburger Politiker empfindlich belasten, zumal niemand weiß, wie der Programmix der Elbphilharmonie aussehen wird und wie viel Musikvermittlungs- und Jugendprogramm wirklich fruchten. Andererseits muss Lieben-Seutter dringend Geld einspielen, rechnen Insider doch bereits jetzt mit einem jährlichen Defizit von rund drei Millionen Euro.

Wenn man von diesen unangenehmen Details absieht, kann Köln für Hamburg, da ein paar Jahre voraus, durchaus exemplarisch sein – etwa in puncto Kommunikation: Das Kölner Gürzenich-Orchester und das WDR-Sinfonieorchester planen ihre Programme, obwohl gleichberechtigte Hausorchester der Philharmonie, aneinander vorbei. Nur auf Betreiben des Philharmonie-Veranstalters gleichen sie kurz vor Toresschluss Doubletten ab.

Auch in Hamburg gestaltet sich die Kommunikation zwischen dem Intendanten der Elbphilharmonie und dem des NDR-Sinfonieorchesters bislang recht übersichtlich; schlimmstenfalls werden beide schon im Eröffnungssommer mit einem Festival um Zuschauer konkurrieren.

In Sachen Qualität könnte die Hamburger Kultursenatorin allerdings recht behalten: Denn dass die Kölner Philharmonie einen Qualitätsschub etwa für das Gürzenich-Orchester gebracht habe, bestätigt dessen Sprecherin. Ursachen seien einerseits die Gastspiele renommierter Orchester, mit denen man Schritt halten wolle. Andererseits „die hervorragende Akustik und die sehr guten Arbeitsbedingungen“, sagt die Sprecherin. „Das hat die Musiker motiviert, sich nach der Decke zu strecken.“

Eine Hoffnung, die nicht nur Hamburgs Kultursenatorin, sondern auch Elbphilharmonie-Intendant Lieben-Seutter für das NDR-Sinfonieorchester hegt. Denn nicht nur, dass die Sinfoniker zum Residenzorchester ernannt wurden, bevor man Lieben-Seutter berief. Auch qualitativ traut er ihnen nicht recht über den Weg. Allerdings sagt er das inzwischen nicht mehr laut.