Phänomen Scherf

Die Grünen analysierten ihr Wahlergebnis und ließen der Wut über den siegreichen Bürgermeister freien Lauf

taz ■ Ursprünglich hatten sich die Grünen vorgenommen, auf ihrer Landesmitgliederversammlung am Dienstag eine Kommission für Koalitionsverhandlungen einzusetzen. Doch dieses Vorhaben legte die Partei rasch ad acta. Zu eindeutig waren bereits am Wahlabend die Treueschwüre von Henning Scherf in Richtung CDU ausgefallen.

Mit der Rolle des verschmähten Liebhabers kamen nicht alle Grünen zurecht. Landesvorsitzende Silvia Schön gab der SPD die Schuld dafür, „dass der Wechsel nicht zustande kommt“. Die Sozialdemokraten würden sich nun mal „lieber mit der Verliererpartei CDU zusammentun als mit der Gewinnerpartei Grüne“. Schöns männliches Pendant Klaus Möhle machte in Bremen eine „sozialdemokratische Monarchie“ aus. Der „Gottvater der SPD“ sage, wo es lang gehe – und seine Partei kusche. In einem Punkt habe er sich getäuscht, so Möhle: „Ich dachte, es gebe tatsächlich aufrechte Sozialdemokraten.“ Vor der Wahl hätten ihm „sehr viele“ hinter der Hand eine rot-grüne Koalition versprochen – und er habe denen geglaubt.

Spitzenkandidatin Karoline Linnert hieb in dieselbe Kerbe. Seit Jahren verfolgten sie Sozialdemokraten in der Bürgerschaft „bis aufs Klo“ und erzählten, „wie furchtbar“ die große Koalition sei. „Soll ich jetzt von den Domann-Käses, Sielings und Schusters“ enttäuscht sein?“, zuckte Linnert mit den Achseln. Bitter sei es allerdings schon, dass die SPD „zu einem Bürgermeister-Wahlverein verkommen“ sei.

An Henning Scherf arbeiteten sich gleich mehrere Redner ab. Kein SPDler habe „den machtpolitischen Mumm und die persönliche Statur“ gehabt, gegen Scherf anzutreten, so Helga Trüpel. „Weder Jens Böhrnsen noch Karin Röpke oder Willi Lemke wollten als Königsmörder auftreten“, so Trüpel, die sich über die „Falle Scherf“ mokierte. Der angeblich so Umgängliche könne einem „ganz unhöflich und machtbesessen über den Mund fahren“. Matthias Güldner sagte, das „Phänomen Scherf“ bestehe aus „Heuchelei, Schauspielkunst und Blenderwesen“. Scherf könne „zutiefst beleidigend und ehrabschneidend“ sein und habe „ein Aggressionspotenzial wie kaum ein anderer in der Politik“.

Da das Grünen-Ergebnis bei den Beiratswahlen deutlich besser ausgefallen sei als das für die Bürgerschaft, hätten nicht wenige Bürger „uns die Regierungsfähigkeit einfach nicht zugetraut“, übte Cecilie Eckler von Gleich Selbstkritik. Hermann Kuhn meinte, dass sich die Bremer in der Tradition von Kaisen und Koschnick für einen entschieden hätten, „der den Laden irgendwie zusammenhält“. Die Nagelprobe komme 2005, wenn die Sanierungshilfen aus Berlin ausliefen. „Sind wir denn da so super gerüstet?“, fragte Kuhn seine eigene Partei. „Welches Konzept haben wir denn für 2005?“ jox