Das große Paradox

Karriere zu machen ist für Frauen noch immer nicht selbstverständlich. Warum eigentlich nicht? Ein Gespräch mit der Unternehmensberaterin Maria Hof-Glatz über Ursachen, Strategien und mögliche Alternativen

Interview: VERENA KERN

taz.mag: Karriereberatungsliteratur für Frauen gibt es in Hülle und Fülle. Was bietet Ihr Buch, was andere nicht bieten?

Maria Hof-Glatz: Immer wieder habe ich festgestellt, dass in der Karriereberatung ganz wesentliche Dinge nicht beachtet werden. Etwa die unterschiedliche Wertehaltung von Männern und Frauen, vor allem der Zielkonflikt von Frauen: Will ich nun Karriere, oder will ich gleichzeitig Akzeptanz?

Karriere oder Akzeptanz? Am besten doch beides.

Ja, Frauen wollen beides. Genau das kann zum Problem werden, denn beides zugleich ist oft nicht möglich.

Die Frauen wollen zu viel?

Oder zu wenig.

Wo ist also das Problem?

Die Arbeitswelt ist hierarchisch strukturiert. Frauen aber haben wenig Erfahrung, um mit hierarchischen Strukturen umzugehen, und mit den sich daraus ergebenden Regeln, die ich als „Spiele“ bezeichne.

Was heißt das, „Spiele“?

Das sind inoffizielle Verhaltensregeln, die in Organisationen und Unternehmen herrschen, unausgesprochene Regeln, über die wir Frauen nichts wissen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Eine Hierarchie funktioniert einseitig. Ein Positionsinhaber darf wesentlich mehr als seine Mitarbeiter, etwa deren Arbeitsergebnisse ungeniert als die seinigen ausweisen, und dagegen darf nichts unternommen werden. Frauen empfinden das oft als ungerecht und opponieren dagegen. Das kann die Karriere kosten.

Frauen leben nicht hinter dem Mond. Warum kennen sie die Regeln nicht?

Frauen haben keinen Umgang mit Hierarchien. Sie wachsen im Gegensatz zu Männern in flachen Hierarchien auf. Ich spreche von der Sozialisation in den Peergroups. Jungen spielen gern in Rudeln, in Gruppen mit anderen. Ab dem vierten Lebensjahr ist in Kindergärten zu beobachten, dass Rangeleien stattfinden mit dem Ziel, herauszufinden, wer das Sagen hat, wer der Stärkste, der Lauteste ist, also ein dominantes Verhalten hat. Etwa nach drei Wochen ist der Rang abgeklärt. Das heißt, für Männer sind Hierarchien „normal“, eine unbewusste Komponente, über die nicht kommuniziert werden muss.

Und die Frauen?

Frauen machen keine Dominanzspiele. Mädchen spielen mit ihrer Freundin zu zweit oder, wie ich immer noch hinzufüge, gehen zum Pferd. Eine Kultur der flachen Hierarchien ist natürlich auch eine Qualität. Aber sie verhindert das Selbstverständliche von unausgesprochenen Regeln, was der Stärkere darf und was der Unterlegene ausführen muss.

Flache Hierarchien werden in der Wirtschaft inzwischen als Wettbewerbsvorteil propagiert.

Vieles davon ist bloße Rhetorik. Natürlich, für die Frauen hat sich in den letzten Jahrzehnten viel getan. Trotzdem ist die Berufswelt weiterhin konservativ. Es gelten die alten Regeln – die der Hierarchie.

Und wer die Regeln nicht kennt, ist vom Erfolg weiter entfernt als die Sahara von einem Regenschauer?

Regelverletzungen werden immer bestraft. Wenn Frauen in der Berufswelt bestehen wollen, müssen sie die männlichen Strategien und Werte, die männliche Kultur und ihre Verhaltensweisen kennen lernen. Es genügt nicht, über Kompetenz, selbstsicheres Auftreten und gute Nerven zu verfügen. Auch die Leistung macht es nicht aus, die ist bei Frauen erwiesenermaßen gut, oft sogar besser als bei Männern – bei den Noten, bei den Abschlüssen, im Job. Und trotzdem werden sie irgendwann, kurz nach 35, von einem Mann am Arbeitsplatz überholt. Zu viel Leistung ist nicht einmal von Vorteil.

Das müssen Sie erklären.

Frauen sind daran gewöhnt, sich vor allem über Leistung Akzeptanz zu verschaffen. So werden sie zu treuen Zuarbeiterinnen, die geduldig warten, bis ihnen Dank und Anerkennung widerfährt. Dieses passive Prinzip ist im Beruf und in der Zusammenarbeit mit Männern ein Fehlverhalten.

Es liegt also an den Frauen selbst, dass sie nicht weiterkommen, so wie kürzlich das Buch von Barbara Bierach über „Das dämliche Geschlecht“ behauptet hat?

Es gibt sicher Frauen, für die das männliche Modell, sich für die Karriere, wenn es sein muss, kaputtzumachen, nicht attraktiv ist und die damit nichts zu tun haben wollen. Die Frauen allerdings, die sich klipp und klar dafür entscheiden, im Beruf Karriere zu machen, die haben es wesentlich schwerer als ihre männlichen Kollegen, das ist Fakt. Zu sagen, die sind zu dämlich, die wollen das nicht, finde ich indiskutabel.

Was raten Sie Frauen konkret, wenn sie Karriere machen wollen?

Sie brauchen eine Strategie. Und bevor sie diese Strategie haben, müssen sie in ihrem Kopf abklären, wie ihre Wertehaltung ist. Klar, es ist eine wunderbare weibliche Wertehaltung, Beziehungspflege zur ersten Priorität zu machen, sich im Gespräch nicht unbedingt durchsetzen zu wollen, eher eine gute Atmosphäre herzustellen, sich auszutauschen, das Gespräch also auf Partnerschaftlichkeit auszurichten.

Alles Qualitäten, die heute hoch im Kurs stehen …

… und der Wirtschaft absolut gut tun würden, ja. Aber momentan gilt: Wenn ich beruflich weiterkommen will, muss das Karriereziel Priorität haben. Frauen sind oft zu sehr auf persönliche Anerkennung aus, wollen beliebt sein. Sie sind schnell zu Kompromissen bereit, dazu, dem anderen entgegenzukommen. Jeder Mann überlegt sich, bevor er einen Kompromiss macht: Wie weit bringt mich das von meinem Ziel ab? Ohne solche Strategien ist die Verletzbarkeit enorm.

Das klingt nach Anpassung. Müssen Frauen männliche Strategien anwenden, um sich im Beruf durchsetzen zu können?

Das ist das große Paradox. Frauen müssen sich anpassen und zugleich auch wieder nicht anpassen. Sie müssen wissen, welches Spiel gespielt wird und sich – ohne Selbstverleugnung – bis zu einem gewissen Grad darauf einlassen. Nur so können sie eine bessere Position erreichen und damit Macht und Möglichkeiten, selbst die Situation zu gestalten.

Die meisten Frauen bleiben im unteren Mittelfeld stecken.

Das ist das Problem. Die Karriereuhr tickt. Die Männer haben eine Regel – ob die jetzt in Ordnung ist oder nicht, sei dahingestellt: Wenn jemand Karriere machen will, dann muss er oder sie zwischen 35 und 40 auf der Karriereschiene sein, auf einer bestimmten Position, und nur von dort aus ist die Karriere machbar. Für Frauen ist das natürlich ungünstig. Schon beim Berufseinstieg fangen sie oft auf einer zu niedrigen Hierarchiestufe an und haben einen zu weiten Weg vor sich bis zu einer interessanten Position. Außerdem fehlt ihnen meistens ein Förderer, ohne den eine Karriere nicht möglich ist. Wenn sie darüber hinaus auf Kinder nicht verzichten wollen, wird es ganz schwierig.

Wer es bis vierzig nicht geschafft hat, schafft es nie?

Es wird noch viel schwieriger. Frauen brauchen andere Strukturen als Männer. Sie brauchen flexiblere Arbeitsmöglichkeiten, sie brauchen Integration und Unterstützung, im persönlichen Umfeld und in den Betrieben. Die momentane Arbeitsmarktsituation ist nicht gerade förderlich für Frauen. Aber die jetzige Misere könnte auch eine Chance sein.

Inwiefern?

Wenn die Wirtschaft so lahmend und krankend ist wie derzeit, könnte es den ein oder anderen geben, der sagt: Wir brauchen neue, weibliche Impulse. Die Männer geben ja immer dann gern ab, wenn es schwierig geworden ist. Auf jeden Fall sind die Frauen hart gefordert.

Sehen Sie Alternativen?

Selbstständig arbeiten.

Mit vollem Risiko.

Ja.

VERENA KERN, 38, ist Redakteurin im taz.mag