Aufruhr unter Iraks Schiiten

Aus Jubel beim Einmarsch der Amerikaner vor einem Jahr wird Hass: Radikale Schiiten liefern sich in mehreren Städten Kämpfe mit US-Truppen. Dabei sterben mindestens 61 Menschen

KAIRO taz ■ Acht Monate vor den US-Wahlen und nur drei Monate vor dem geplanten offiziellen Ende der Besetzung eröffnen US-Truppen eine neue gefährliche Front im Irak. Mindestens 61 Menschen, darunter 52 Iraker, acht US-Soldaten und ein salvadorianischer Soldat, kamen gestern und am Sonntag bei Feuergefechten zwischen der US-Armee und den Anhängern des radikalen Schiitenführers Muktada al-Sadr ums Leben.

Es war die erste schwere militärische Konfrontation zwischen Besatzungstruppen und den Schiiten, die den US-Einmarsch ursprünglich gefeiert hatten. Außer in Bagdad kam es auch in vier weiteren südirakischen Städten zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen al-Sadrs Mahdi-Miliz und den US-Truppen. In Schaula, im Westen der irakischen Hauptstadt, setzten die Amerikaner gestern Kampfhubschrauber ein. Dabei sollen fünf Menschen ums Leben gekommen sein. In Basra lieferten sich britische Soldaten Gefechte mit Sadrs Milizen, die den Gouverneurssitz besetzt hatten.

Nach Angaben des TV-Senders CNN erwägen die USA die Entsendung weiterer Truppen in den Irak. Der Befehlshaber in der Nahostregion habe eine entsprechende Anfrage an das Pentagon gerichtet.

US-Besatzungsverwalter Paul Bremer erklärte Schiitenführer al-Sadr gestern zum „gesetzlosen Vogelfreien“. Dieser rief seine Anhänger dazu auf, „den Terror in die Herzen der Feinde zu tragen“. Auslöser der nun zweitägigen Kämpfe war die Verhaftung eines Führungsmitglieds der Sadristen und die Schließung von deren Wochenzeitung al-Haussa wegen „Aufhetzung gegen die Koalitionstruppen“.

Unterdessen ist die US-Armee noch mit ihrer ersten Front, dem sunnitischen Dreieck, beschäftigt. Hunderte von US-Soldaten riegelten mit Panzerfahrzeugen die Hochburg der sunnitischen Guerilla, Falludscha, ab. In der Operation „Wachsame Entschlossenheit“ soll die Stadt in einer mehrtägigen Razzia befriedet werden. Letzte Woche waren dort vier US-Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma auf brutalste Weise verstümmelt worden.

Nach Augenzeugenberichten hat ein US-Kampfflugzeug ein Wohngebiet in Falludscha bombardiert, nachdem US-Truppen von dort mit einem Granatwerfer beschossen worden waren. Laut Angaben des arabischen Fernsehsenders al-Dschasira sollen dabei mindestens sechs Iraker getötet worden sein.

KARIM EL-GAWHARY

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