Regierung dokumentiert Ärzte-Sabotage

Mit einem „Schwarzbuch“ versucht Rot-Grün Verschwörungen gegen die Gesundheitsreform zu belegen

BERLIN taz ■ Im Kampf um die Gunst der Versicherten hat das Gesundheitsministerium einen Ausfallschritt gemacht. Viele Ärzte und ihre Verbände verbreiteten nicht nur „miese Stimmung“, sondern „missachten“ das Gesetz zur Gesundheitsreform einfach, schreibt das Ministerium im „Schwarzbuch gegen die Gesundheitsreform“. Die Broschüre dokumentiert Fälle, in denen Ärzte oder Ärzteverbände unter Hinweis auf die Gesundheitsreform unrechtmäßig Geld von Patienten verlangten.

Staatssekretärin Marion Caspers-Merk (SPD) betonte bei der Vorstellung des Schwarzbuchs gestern zwar, es handle sich um „Einzelfälle“. Man wolle nicht „alle Ärzte schlecht machen“. Immerhin aber zeugt das Vorwort davon, dass das Ministerium die seiner Meinung nach richtige, zustimmungsfähige und gut vorbereitete Reform von einer „Reihe“ von Ärzten und Medien schlecht gemacht sieht: „Das öffentliche Klima für die Reform wurde systematisch und wider besseres Wissen vergiftet“, lautet der Vorwurf.

So fragwürdig diese Einschätzung ist – tatsächlich bietet das Schwarzbuch einen guten Überblick über die Frontenstellung zwischen Ärzteschaft und Politik. So empfahl die Kassenzahnärztliche Vereinigung Bayerns, Bezirksstelle Unterfranken, ihren Mitgliedern im Januar: „Ziehen Sie von jedem Patienten die ‚Kassengebühr‘ ein“, auch bei Vorsorgeuntersuchungen, die – das war zu diesem Zeitpunkt bereits sonnenklar – gebührenfrei sind. „Sagen Sie dem Patienten, dass nicht die Zahnärzte Schuld für dieses Chaos haben, sondern die Politiker.“

Auch bei der Schwangerenvorsorge soll es zu vielen Fällen gekommen sein, in denen Gynäkologen für Routineuntersuchungen Praxisgebühr verlangten. Zu den gebührenbefreiten Untersuchungen gehört aber ausdrücklich auch „die Feststellung der Schwangerschaft“, schreibt das Ministerium.

Das neue Instrument der Kostenerstattung wurde offenbar besonders von Kieferorthopäden missbraucht. Die Kostenerstattung kann ein gesetzlich Versicherter wählen, der lieber wie ein privat Versicherter behandelt werden möchte. Dafür muss er freilich die Differenz zwischen dem, was seine Kasse zahlt, und dem, was eine Privatbehandlung kostet, selbst zahlen.

Vor allem in Baden-Württemberg wurden Anfang des Jahres Fälle bekannt, in denen Kieferorthopäden ihre Patienten in die Kostenerstattung drängten und behaupteten, sonst würden sie nicht mehr ordentlich behandelt. Tatsächlich jedoch hat sich durch das Reformgesetz nichts an den Kassenleistungen in der Kieferorthopädie geändert. Vielmehr halten Krankenkassen und Ministerium die „systematische Aktion der Kieferorthopäden“ für einen Versuch, aus dem System der gesetzlichen Versicherung aus- und in die Privatliquidation einzusteigen.

Informativ ist auch eine kleine Liste mit Tipps für Ärzte, die in der niedergelassene arzt erschien. „Sie müssen unbedingt Ihre Fallzahl halten“, schrieb die Zeitschrift. Um einen Schwund der Kundschaft zu stoppen, wurde empfohlen: „Patienten motivieren, trotz Praxisgebühr die Praxis aufzusuchen“. Und: „Bei Arzneiverordnungen gegebenenfalls auf (neue) verschreibungspflichtige Mittel ausweichen“. Schließlich könnte man Patienten damit verärgern, dass man ihnen rezeptfreie Mittel verordnet, die sie jedoch in der Regel nun selbst zahlen müssen.

Was den anhaltenden Ärger mit den rezeptfreien Medikamenten angeht, so konnte Caspers-Merk in einem Punkt gestern nur wenig Aufklärung schaffen. Die Liste der rezeptfreien Medikamente, die von den Kassen nun doch bezahlt werden, weil sie bei schweren Krankheiten notwendig sind, liegt erst seit Mitte März vor. Hierzu gehören etwa Aspirin nach Herzinfarkt oder Chinin bei Malaria. Was aber ist mit den Kranken, die fast drei Monate lang ihre Medikamente selbst bezahlen mussten, obwohl sie ihnen zustehen? Bekommen die ihre Ausgaben ersetzt? Hier konnte Caspers-Merk nur vermuten: „Die Krankenkasse müsste sich kulant verhalten.“ Klingt, als gäbe es bald ein Kassen-Schwarzbuch.

ULRIKE WINKELMANN