In der Tiefe Helgolands

Der 73-jährige Olaf Ohlsen macht Führungen durch den für Besucher zugänglichen Teil des Bunkersystems unter der Insel Helgoland. Er selbst saß im Zweiten Weltkrieg mit den anderen Helgoländern in diesem Bunker und hoffte, dass er dem Bombenangriff standhält

Der Maulbeerbaum hat im Unterschied zu fast allen anderen Bäumen auf der Insel den Zweiten Weltkrieg überstanden

AUS HELGOLAND ROGER REPPLINGER

Man trifft sich im Oberland vor dem Café Krebs, also dem Teil der Insel Helgoland, den man vom Unterland entweder über eine Treppe, oder über den Lift für 55 Cent erreicht. Olaf Ohlsen zeigt zur „Düne“ hinüber, der kleinen, vor Helgoland liegenden Insel. „Sehen sie die Aufspülungen?“, fragt er. Die Aufspülungen sind Teile des Projektes „Hummerschere“, das sich der „Größte Feldherr aller Zeiten“ – damit meint Ohlsen Hitler – ausgedacht hatte. Ziel war es, den größten, eisfreien Militärhafen Europas zu bauen. 1938 war mit dem Bau begonnen worden, 1948 sollte er fertig sein, 1941 wurden die Arbeiten eingestellt.

Auch davor stand Helgoland im militärischen Interesse. 1807 eroberten 200 englische Soldaten unter Befehl von Lord Falkland die Insel im Handstreich von den Dänen. Bis zum 9. August 1890 wurde Helgoland von den Engländern verwaltet, später gegen Besitzungen und Rechte des deutschen Kaiserreichs auf der Insel Sansibar und in Deutsch-Ostafrika getauscht und Teil des Deutschen Reichs. Ein paar Monate später wurde mit dem Bau der ersten Festungsanlagen und der Marinemole begonnen. Von 1908 bis 1914 konnte durch Gewinnung von 20 Hektar Neuland Südhafengelände gebaut werden.

Es entstanden abgesperrte Militärgebiete mit einem Torpedo- und U-Boothafen. Am 2. und 3. August 1914 wurden – kaum war der Erste Weltkrieg vom Zaun gebrochen – alle Zivilpersonen von Helgoland nach Altona evakuiert und im Umland Hamburgs untergebracht. Nach Ende des Kriegs, im November 1918, kamen die Helgoländer zurück und fanden ihre Häuser geplündert, verwohnt und verschmutzt vor. „Die Großmutter hat sehr geweint“, erzählt Ohlsen. Gemäß den Bestimmungen des Versailler Vertrages wurden die Festungsanlagen geschleift. Jedoch nur so, dass sie 1933, als Hitler kam, sofort wieder in Betrieb genommen werden konnten. Ab 1934 wurde Helgoland erneut zur Festung ausgebaut.

Wir gehen die Kirchstraße hinauf und kommen am Maulbeerbaum vorbei, der im Unterschied zu fast allen anderen Bäumen auf der Insel, den Zweiten Weltkrieg heil überstanden hat. „So“, sagt Ohlsen, und schließt die Tür zum „Schulbunker“ auf. Wem es da unten unheimlich ist, der bleibt oben, der Rest zieht den Kopf ein. Zwei gegenläufige Treppen führen 20 Meter in die Tiefe. Gegenläufig, damit der Bunker in kurzer Zeit eine möglichst große Zahl an Insulanern aufnehmen konnte. Wir sind im „Fuchsbau“: Toilettenanlagen, Mutter und Kind-Raum.

Kurz vor Ende des Krieges hatten einige Einwohner versucht, die Inseln kampflos an die Briten zu übergeben, um die Zerstörung Helgolands abzuwenden. Der Plan wurde am 18. April verraten, die beteiligten Personen verhaftet, fünf Soldaten und zwei Helgoländer drei Tage später in Cuxhaven hingerichtet.

Seine größte Bewährungsprobe bestand der Bunker bei den Bombenangriffen vom April 1945. Am späten Morgen des 17. Aprils warfen 1.000 alliierte Kampfflugzeuge in drei Wellen in knapp zwei Stunden etwa 7.000 Bomben ab. „Jede Welle war schwerer als die vorhergehende“, sagt Ohlsen. „Der Lärm war furchtbar“, man saß auf den Bänken, jeder hatte seinen angestammten Platz, die Habseligkeiten um sich herum. Die „Bunkerkoffer“ mit dem Wichtigsten, Papiere, Geld und Schmuck, wurden in den Wohnhäusern gelassen. Die Koffer durften nicht mit in den Bunker genommen werden, andere Wertsachen schon. Bilder, gute Kleider. Ist nie was weggekommen.

Wer nach dem vierten oder fünften Alarm, bei dem nichts passierte, zu müde war, um in den Bunker zu gehen, den erwischte es beim sechsten. Bis auf den Flakturm blieb nichts auf der Insel stehen. „Von dem war nur ’ne Ecke ab, heute ist das unser Leuchtturm“, erklärt Ohlsen. 600 Gebäude brannten ab, jeder Baum, der Friedhof, alles kaputt. Welchen Sinn diese Angriffe, mit fünf und zehn Tonnen schweren Bomben, drei Wochen vor Ende des Krieges hatten, ist Ohlsen bis heute unklar.

„Wir saßen ab Vormittag, 17. April, im Bunker“, sagt Ohlsen. Da wurde auf dem Herd mit seinen vier Anschlüssen gekocht. In der Nacht vom 19. auf den 20. April wurden die Helgoländer von ihrer nicht mehr bewohnbaren Insel evakuiert. Marinehelfer halfen den Helgoländern an den Bombentrichtern vorbei, durch den U-Boot-Bunker, zu den Schiffen. Die Helfer durften nicht weg und es wurde viel geweint. Doch es kam noch schlimmer. Am 18. April 1947 gab es den „Big Bang“, den Versuch der Engländer, die Insel mit 6.700 Tonnen Sprengstoff – das war alles, was sie noch an Explosionsmaterial hatten – für immer militäruntauglich zu machen. Einige behaupten, die Engländer hätten versucht, die Insel komplett in die Luft zu sprengen.

Die evakuierten Ohlsens saßen in Cuxhaven und mussten Fenster und Türen öffnen, weil die Druckwelle der Bomben, die auf ihre Insel geworfen wurden, so stark war, dass sie noch in bis zu 70 Kilometer Entfernung Fenster eindrückte. „Da war zunächst ein Grollen in der Luft, wir dachten, das sei das Vorspiel, aber das war es nicht“, erinnert sich Ohlsen. Hätten die Engländer einen Geologen gefragt, hätte der ihnen sagen können, „dass man Buntsandstein nicht sprengen kann“, erklärt Ohlsen, „falls sie das vorgehabt haben.“ Die Südspitze flog in die Luft und bald hörten die Ohlsens, „dass Helgoland noch steht“. Die Eltern und Großeltern fanden die Sprengung „böse und ungerecht“, aber heute gäbe es „keinen Groll mehr“, sagt Ohlsen. Wir klettern die Stufen des Bunkers wieder nach oben und sind froh über das Tageslicht.

Nach zähen Verhandlungen mit den Engländern durften die Helgoländer 1952 auf ihre Insel zurück. Sie begannen sofort mit dem Wiederaufbau.

Auskunft über Bunkerführungen im Rathaus bei der Helgoland Touristik, 0180 / 56 43 73 7, info@helgoland.de