Luft am Gemächt

Crime Scene: Wie schwer sich selbst hart gesottene Krimiautoren damit tun, gute erste Sätze zu finden, und warum Roger M. Fiedlers „Pilzekrieg“ der Krimi des Sommers ist

Eine schwitzende Mitternacht, irgendwo in Deutschland. Der Tag hat in seinem dumpfen Brüten zahlreiche Opfer gefordert. Menschen haben ihre Würde für etwas Luft am Gemächt verkauft, während er den ganzen Tag am Fenster gesessen hat. Sie sind langsam von links nach rechts durch sein Fadenkreuz gewandert und er hat gegrübelt, was er nun mit diesem Geschmeiß machen sollte. Männer mit Sandalen, kreischende Kinder und Frauen in engem Plastikstretch. Kanonen- oder Kolumnenfutter?

Ja, ich habe schon bessere Einstiege gelesen, kann mich nur nicht erinnern, wann. Dieser war es nicht: „Officer Bernadette Manuelito hatte heute bereits zwei Einsätze erfolgreich hinter sich gebracht. Sie mochte ihren Job bei der Navajo Tribal Police und verlor immer mehr das Gefühl eine blutige Anfängerin zu sein.“

Tony Hillermann mag ja „der unbestrittene Meister des Ethnothrillers“ sein, wie es ihm die flotten Klappentexter auf die Rückseite seiner 11. Veröffentlichung, „Das goldene Kalb“, geschrieben haben. Von einem guten ersten Satz ist er aber so weit entfernt wie Officer Manuelito von einem guten Ende. Danach geht es ganz flott weiter, wobei einer von Hillermanns beliebten Navajo-Cops, Joe Leaphorn, im Ruhestand ist und demnächst sterben wird. Aufmerksame Leser ahnen, wer ihm nachfolgt.

„Von der Gestalt, die im Schutz der hohen Mauer stand, hätte man auch bei Tageslicht kaum mehr als einen Schatten erkennen können. Schwarze Turnschuhe, schwarze Jeans, schwarze Windjacke. Die Kapuze war über den Kopf gezogen und so eng zugeschnürt, dass nur eine Öffnung für Augen und Nase blieb.“

Wer trägt heutzutage eigentlich noch Windjacken? Überhaupt der Wind, der hatte, wie uns Andreas Albes gleich darauf verrät, mit Einsetzen der Dämmerung (!) zugenommen (!) und wehte (!) nun hohe (!) Wolkentürme (!) in den Himmel (!) über München. Andreas Albes war lange Jahre Polizeireporter und arbeitet als Redakteur beim Stern. Sein Debüt „Die Insel“ ist stilistisch nicht sehr raffiniert, dennoch erhebt sich „Die Insel“ schon im pathologischen Detailreichtum über den Durchschnitt. Albes weiß, wovon er spricht. Er weiß nur nicht, wie er es am besten tun soll …

Den besten Start hat P.J. Tracy mit „Spiel unter Freunden“ – das darf vor dem 1. Juli zwar nicht rezensiert werden, aber zitieren darf man schon mal, oder? „Der Brandy rettete ihm das Leben. Wie jeden Sonntagabend, wenn Schwester Ignatius die Bürde auf sich nahm, für Father Newberry eine ‚ordentliche Mahlzeit‘ zu kochen. Was in diesem Teil von Wisconsin im Klartext hieß: Hackfleisch, gegart in Dosensuppe.“ Wenn das nicht Appetit auf mehr macht! Zum Schluss habe ich ihn noch gefunden, den gelungenen Anfang: „Dieser Sommer war heiß. Heiß und lang. Es war ein Sommer, wie es ihn nur alle zwanzig Jahre gibt. Einer, der ganze Landstriche ausdörrt, der den Asphalt der Straßen in eine teigige Masse verwandelt und die Menschen wie stumpfsinnige Insekten von einem Ort zum anderen treibt, bis sie erschöpft auf ihrem Rücken liegen bleiben. Eine Jahreszeit, die nur durch wütende Gewitter beendet werden konnte, durch würgende Feuchte, durch noch in der Luft während des Fallens verdunstenden Regen (…)

Danach legt Roger M. Fiedler noch zu und bringt Winde, Bäume, Halbstarke, Waldbrände, Hitze und Naturgewalten ins Spiel. Alles nur, um schließlich den Absatz in einer verheißungsvollen Zuspitzung enden zu lassen: „Es war ein außergewöhnlicher Sommer. Ein Sommer wie geschaffen für Pilze.“ Sein „Pilzekrieg“ ist der Krimi des Sommers. Eines Sommers, wie er nicht … Okay, ich hör schon auf.

LARS BRINKMANN

Tony Hillermann: „Das goldene Kalb“. Aus dem Amerikanischen von Fried Eickhoff, 287 S., 8,90 €; Andreas Albes: „Die Insel“, 381 S., 8,90 €; beide Rowohlt Taschenbuch, Reinbek 2003, Roger M. Fiedler: „Pilzekrieg“. Rotbuch Verlag, Hamburg 2003, 197 S., 9,90 €