Wehmut im Regenwald

Johnny Cash ist tot. Als wäre das nicht schlimm genug, gibt es nun im Theaterdiscounter eine Western Oper mit Schuss, die sich „Entcasht“ nennt. Alle tragen schwarze Cowboyhüte, und wer beim Spiel verliert, muss sich bis auf die Unterhose ausziehen

Bald koksen Cash undWilliams, schließlich willCash Williams vergewaltigenund schießt ihn ins Bein

VON FALKO HENNIG

Als Johnny Cash am 12. September 2003 starb, war ich im brasilianischen Regenwald in dem Städtchen Santarém. Ich erfuhr es in einem Internetcafé, während draußen der schwarze und der gelbe Amazonas ineinander flossen. Auf Tagesschau.de stand es: Johnny Cash heute morgen mit 71 Jahren in einem Krankenhaus in Nashville gestorben, lange erwartet.

Ich sah mir noch mal das Interview mit dem Cash-Forscher Mario Weber an, dass ich schon Jahre vorher geführt hatte, „Würde Cash dich in seinem jetzigen Zustand erkennen?“, hatte ich ihn gefragt, Weber hatte „Da bin ich nicht sicher“, geantwortet, das also konnte nun raus.

Als ich abends grandios zubereiteten Fisch aß, geriet ich doch in recht wehmütige Stimmung: „I’ll Make You Hurt“ und fand es völlig unverständlich, dass sie hier jetzt nicht Cash spielten auf der Terrasse des Restaurants, „If I could start again one million miles away, I would find a way.“ Immerhin fand ich in der brasilianischen Tageszeitung Opovo am nächsten Tag einen Nachruf samt Foto des weißhaarigen Sängers: „Morre aos 71 anos de idade cantor country Johnny Cash“.

Nun war er also tot, gestorben der Mann, dessen Familie sich schon so oft an seinem angeblichen Sterbebett versammelt hatte, dass sie die Lust dazu irgendwann verloren haben mussten. Überraschend war nicht sein Tod, sondern dass seine langjährige Ehefrau June Carter, auch zu sehen in dem Video „Hurt“, noch vor ihm gestorben war.

Als ich nun in Berlin, ein halbes Jahr nach diesen Ereignissen, auf ein Plakat mit dem in roten Stempelbuchstaben aufgedruckten Titel „ENTCASHT“ aufmerksam wurde, und dann auch noch las, dass es sich um eine Western Oper mit Schuss handelte, über das Leben von Johnny Cash, rief ich den Cash-Forscher Weber an: Das mussten wir uns ansehen.

In fachkundiger Gesellschaft betraten wir das ehemalige Telegrafenamt an der Oranienburger Straße. Das Bühnenbild wurde von einer Theke, einem überlebensgroßes Bild von Cash in einem Goldrahmen und den Instrumenten der drei Musiker von Clark Nova Five gebildet, die Musik begann.

Tatsächlich tragen alle schwarze Cowboyhüte, auch die beiden Schauspieler, ein dicker und ein dünner, die ihre amerikanischen Kopfbedeckungen jeweils vor ihrem Idol ziehen. Der Einfachheit halber nehmen wir an, dass der dicke Johnny Cash darstellt und der dünne Hank Williams. Hank Williams ist in der Geschichte der Countrymusik sowas wie Jesus in der Geschichte des Christentums, na ja, jedenfalls sowas wie die zwölf Apostel in der Geschichte des Christentums. Alkohol- und tablettenabhängig starb Hank Williams, dünn, ausgemergelt und gerade 29 Jahre alt, 1952 auf dem Rücksitz seines Cadillac.

Aber wir sind nicht in Tennessee, sondern in Berlin-Mitte, im ehemaligen Telegrafenamt, und Hank Williams tanzt also zur Musik, dann spielt er gegen Cash Karten, Cash verliert und muss sich bis auf die Unterhose ausziehen, gewinnt aber alles zurück und tanzt so glücklich und spärlich bekleidet vor dem Cash-Gemälde auf einem weißen Teppich. Wir überlegen, ob die Bardame hinter der Theke June Carter sein soll. Bald koksen Cash und Williams und reden wirr, schließlich will Cash Williams vergewaltigen, Williams versteckt sich hinter einer Säule, Cash schießt ihn ins Bein. Aber es nützt nichts, dem Cash-Forscher Mario Weber gefällt es nicht: „Dafür ist Johnny Cash nicht gestorben.“

„ENTCASHT, eine Western Oper mit Schuss“. Weitere Vorstellungen am 7., 8., 9., 10., 16., 17., 21. und 22 April jeweils 20 Uhr, Theaterdiscounter, Monbijoustr. 1, 10117 Berlin, Tel.: 44 04 85 61