Männer, die sich wichtigtun

Beobachter zweiter Ordnung: Das sind die Aufsichten in den ganz unterschiedlichen Museen schon immer. Vom Betrachten der Betrachter erzählt Frau P., 66 Jahre, die Berufsschullehrererin war, bevor sie Aufsicht im Stadtmuseum Berlin wurde

Wir entnahmen den Text dem Buch „Ansichten von Aufsichten“ von Lavinia Meier-Ewert und Andreas Resch, mit Fotografien von Claudia Leider und Moritz Möller, Berlin 2008, Verlag M, 12,90 €.Zweiundzwanzig Protokolle sind dort versammelt, die über Aufsichten und Besucher im Jüdischen Museum, der Alten Nationalgalerie, in der Deutschen Guggenheim, den Berliner Stadtmuseen und aus weiteren Häusern erzählen.

VON LAVINIA MEIER-EWERT
UND ANDREAS RESCH

Wie die Leute miteinander umgehen, das ist schon hochinteressant. Für mich ist das eine richtige Sozialstudie. Bei Paaren erkenne ich gleich, wie es bei denen läuft. Wenn die Männer sich so furchtbar wichtigtun – solche, die wahrscheinlich früher einmal eine hoch qualifizierte Tätigkeit innehatten oder noch -haben – und ihre Kenntnisse weitergeben. Aber in einer Form, dass einem schier schlecht wird. Wie sie der Frau regelrecht mit dem Holzhammer die ganzen Fakten überblättern! Das ist ja auch peinlich. Da sollte man lieber sagen: Weißt du was, wir treffen uns in zwei Stunden wieder hier, und jeder macht seine Runde. Aber ein Mensch braucht eben, was er braucht.

Andere schleichen immer hin und her und sagen gar nichts. Dann kommen junge Pärchen, denen es peinlich ist, wenn man um die Ecke kommt, und sie sind am Knutschen. Wir haben auch Stammbesucher aus den sozialen, nicht bildungsmäßigen Unterschichten. Da sind mitunter so ein paar Boheme-Typen dabei, die kommen jeden Mittwoch – da ist der Eintritt frei – und tappen das ganze Gelände ab. Und wenn die Zeit noch nicht um ist, fangen sie wieder von vorn an. Darunter sind auch welche, die sich wirklich auskennen, denen man vom Outfit her nicht unbedingt zutrauen würde, dass sie so belesen sind. Da kann es auch passieren, dass man angesprochen wird, wenn sie einen noch nicht kennen. Sie habe ich ja noch nie hier gesehen, hat mal einer zu mir gesagt, und ich komme schon jahrelang hierher.

Wenn sich ein Gast nicht beobachtet fühlt, wenn er ganz spontan ist, bekommt man mitunter mit, was er für ein Verhältnis zu den anderen hat, mit denen er gekommen ist, oder zum Partner. Man erwischt Blicke, die gar kein anderer erwischen sollte. Das ist das Schöne daran: Man setzt ein Pokerface auf und lächelt freundlich. Es ist wie auf einer Bühne – und man selbst steht in der Ecke und sieht zu. Es ist schon sehr amüsant. Haben Sie schon einmal das Gefühl gehabt, Sie würden von oben auf sich herunterblicken und Ihre eigene Situation beobachten? So ungefähr ist das. Da hat man eine klarere Sicht: einfach rein meditativ von oben hinuntersehen.

Mich stört an meiner Tätigkeit höchstens die Leere. Was andere als anstrengend empfinden, wenn man sich vor lauter Besuchern kaum bewegen kann, gefällt mir gut. Ich sehe mir gern die Menschen an, die kommen: wie sie miteinander umgehen, wie sie sich anderen gegenüber verhalten, worauf sie achten, ob sie sich interessieren.

Es gibt ganz unterschiedliche Besuchertypen. Manche kommen in Grüppchen ins Museum und stehen dann herum und erzählen sich gegenseitig von ihren Krankheiten. Wenn das dann fünf oder sechs Personen sind, nehmen die natürlich Platz weg. Da muss man eine Möglichkeit finden, sie dezent aufzufordern, sich doch bitte draußen auf eine Bank zu setzen.

Dann gibt es die Akkuraten: Die gehen von Exponat zu Exponat und lesen von A bis Z alles durch. Die müssen alles genau beguckt haben. Ich würde sagen, das sind öfter Männer, die alles so penibel, so genau beäugen, die sich richtiggehend an der Ausstellung abarbeiten. Oder es gibt Besucher, die hereinkommen und sich erst einmal umschauen, ob jemand da ist und ob sie auch gesehen werden. Und dann schreiten sie durch die Räume und präsentieren sich. Sie gucken sich auch hin und wieder Dinge an, aber haben immer im Blick, ob sie beobachtet werden, und achten darauf, wie sie sich bewegen. Das hat den gleichen Zweck wie der Kirchgang in der Kleinstadt, wo man hingeht, um seine neueste Mode zu präsentieren. Überwiegend sind das Frauen, aber es gibt auch Männer, die sich so benehmen.

Anderen merkt man an, dass sie die Ausstellung nicht zum ersten Mal sehen. Die scheinen dann schon bestimmte Exponate zu haben, die sie besonders mögen, die sie immer wieder anschauen, zu denen sie immer wieder zurückkehren.

Schließlich gibt es die Fachleute. Die kommen meist nicht allein, sondern tauschen sich aus. Die schauen sich auch nicht alles an, sondern nur bestimmte Dinge unter bestimmten Aspekten, um ihre mehr oder weniger kritischen und kompetenten Anmerkungen anbringen zu können. Es gibt auch Menschen, die einen auf Rechtschreibfehler hinweisen.

Manche kommen sogar wieder und kontrollieren, ob das auch verbessert worden ist. Was meistens nicht der Fall ist. Anderen sieht man an, dass sie wegen der Person, die sie begleiten, ins Museum gekommen sind. Sie selbst gucken an die Decke und sind offensichtlich froh, wenn es vorbei ist.