Die kopflosen Krieger

In Ituri im Nordosten Kongos herrscht seit Jahren Krieg, aber erst jetzt nimmt die Welt ihn zur Kenntnis. Es lockt das Öl

von DOMINIC JOHNSON

Seit mittelalterliche Kartografen auf ihre Weltkarten jenseits des Nils Menschen ohne Köpfe mit Gesichtern auf der Brust malten, ist das Gebiet der Wasserscheide zwischen den Flusssystemen von Kongo und Nil mit Mythen behaftet. Die Bambuti-Pygmäen der undurchdringlichen Regenwälder am Ituri-Fluss sind Stoff einiger der schönsten ethnologischen Studien der Völkerkunde geworden. Aber statt wie die Südseevölker Polynesiens als lebende Überbleibsel des Garten Eden bestaunt zu werden, mussten die Völker Nordostkongos später als Hüter steinzeitlicher Grausamkeit herhalten. „Betrunkene Kongolesen töten 300 bei Hexenjagd“, titelte die britische Times noch vor zwei Jahren leicht amüsiert, als unter den Alur von Ituri gerade blutige Fehden tobten.

An Eingreiftruppen dachte damals keiner. Heute genügen knapp 400 Massakeropfer in Ituris Hauptstadt Bunia, damit die Welt den Kongo plötzlich zur Kenntnis nimmt. Daraus schlussfolgern viele Kongolesen, dass dieser plötzliche Aktionismus weniger die Zustände beruhigen soll als das schlechte UN-Gewissen. Ein kongolesischer Kulturverband zitiert in seiner Stellungnahme zu den neuen UN-Kampftruppen ironisch den 2. Psalm: „Warum toben die Heiden, und die Völker reden so vergeblich? Die Könige der Erde lehnen sich auf, und die Herrn ratschlagen miteinander.“

Das „Toben der Heiden“ meint hier die Zerstörung einer Gesellschaft. Die Massaker in Bunia in der ersten Maihälfte begannen, als Uganda die Stadt Milizen des Lendu-Volkes überließ. Die jagten Angehörige des Hema-Volkes, bis die Hema-dominierte UPC (Union kongolesischer Patrioten), die die Stadt schon einmal beherrscht hatte, Bunia am 12. Mai zurückeroberte und die UNO am 16. Mai einen Waffenstillstand aushandelte. Es waren nicht die ersten Massaker in Bunia, aber die ersten seit Ankunft von UN-Blauhelmen. Zum ersten Mal sah die „internationale Gemeinschaft“ in Echtzeit, wie einer der kongolesischen Vernichtungskriege eine Großstadt erreichte.

Wie überall im Kongo bewegen sich Ituris bewaffnete Gruppen in den Ruinen eines Staates und einer Gesellschaft. Die Region könnte potenziell reich sein. Die größten Goldminen des Kongo, einträgliche Kaffeeplantagen, unerschöpfliche Tropenholzvorkommen – alles ist da. Aber die Wirtschaft liegt seit zwanzig Jahren am Boden. Heute wühlen in den verlassenen Halden der Goldminen nur noch informelle Schürfer. Streit um die Kontrolle über den Zugang zu den Bergwerken, den Ankauf des Goldstaubs und sein Export über Bunia ist ein Kriegsgrund. Mobutus früherer Goldminenchef Jean Tibasima arbeitet heute für eine Kabila-treue Gruppe, die Lendu-Milizen unterstützt; zugleich haben ruandische Geschäftsleute durch Unterstützung der Hema-Seite ihr Auge auf das Gold geworfen. Uganda, dessen Armee von 1999 bis Anfang Mai 2003 in Ituri stand, ist groß im Geschäft mit Tropenholz. Indem ugandische Generäle nacheinander und manchmal auch parallel alle rivalisierenden Gruppen mit Waffen ausstatteten, beförderten sie die Verwandlung lokaler Macht- und Marktrivalitäten in einen Bürgerkrieg.

Ohne Ugandas Hilfe wären in Ituri seit 1999 nicht über 50.000 Menschen gestorben; aber ohne kongolesische Interessen hätten sich dafür nicht die Mörder finden lassen. Schon zu Mobutus Zeiten wurde beklagt, der Run auf das Gold von Ituri zerstöre die Gesellschaft. Der Kongokrieg hat das vollendet. Kaum eine Familie in Ituri hat keine Todesopfer zu beklagen. Überleben kann man fast nur noch mit Loyalität zu einer bewaffneten Gruppe. Es gibt Berichte über Warlords, die von jeder Familie in ihrem Machtbereich wahlweise eine Ziege oder einen Sohn als Tribut verlangten. Nach Angaben von Hilfswerken sind inzwischen die Hälfte aller Kämpfer quer durch alle Fraktionen in Ituri Kinder.

Über eine robuste internationale Eingreiftruppe in Ituri wird schon länger diskutiert, aber nicht angesichts der Massaker. Die Idee kam auf, nachdem Kongos Präsident Kabila im Juni 2002 den an Uganda angrenzenden Teil Ituris als Ölkonzession an die kanadische Ölfirma Heritage Oil vergab. Heritage Oil, das bereits in Uganda nach Öl sucht, will in Absprache mit den Regierungen Ugandas und Kongos auch Ituri erschließen. Das hat Ituris Kriege verschärft. Noch ist Ituris Öl nur ein Mythos wie die Fabelwesen der mittelalterlichen Landkarten, aber die Gier danach wirkt schon heute. Jeder Warlord hat jetzt externe Verbündete – in Uganda, in Ruanda, in Kongos Hauptstadt Kinshasa. Aus Milizen mit primitiven Waffen sind Armeen mit schwerer Artillerie, komplizierten Namen und politischen Programmen geworden.

Schon zu Jahresbeginn wurde zur Sicherung der Ölgebiete eine Eingreiftruppe aus Angola erwogen. Nun ist daraus eine aus Frankreich geworden – ein besser angesehener Freund Kabilas mit einer nach außen hin respektableren Motivation. Doch es braucht keinen strategischen Weitsinn, um zu wissen, dass ein auf Bunia beschränkter Militäreinsatz an Ituris Problemen nichts ändern wird. Die Kriege zwischen Hema und Lendu begannen vor vier Jahren in den Dörfern und sind dort bis heute viel blutiger als in der Großstadt. Erfahrungsgemäß aber beschränkt sich die Wahrnehmungsfähigkeit der internationalen Gemeinschaft im Kongo auf Orte, von denen aus man vor Einbruch der Dunkelheit in sichere Quartiere zurückfindet. Der allergrößte Teil Ituris gehört nicht dazu.