Haut als Kommunikationsmittel

Ein „Dunkel-Parcours“ hilft Bewohnern eines Kölner Behindertenzentrums und ihren Besuchern, ihre Wahrnehmung zu schärfen. Mittels „basaler Stimulation“ wird nonverbale Kommunikation geschult

VON Kirsten Pieper

Die rechte Hand umklammert das Geländer, rings umher ist es stockfinster. Vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend, durchforscht man mit dem freien Arm die Dunkelheit. Plötzlich berührt etwas Kratziges die Handfläche. Es sind die pieksigen Nadeln eines Tannenzweiges. Eine Hindernisstrecke ganz besonderer Art. Es handelt sich nicht etwa um eine Geisterbahn in Phantasialand, sondern um den Wahrnehmungsparcours „Dunkles Erleben“.

Mitarbeiter und Bewohner des städtischen Behindertenzentrums Dr. Dormagen Guffanti in Longerich haben unter Leitung von Sonderpädagogin Margarethe Wrzosek einen Parcours gestaltet, der Besuchern den Alltag von Menschen mit Mehrfachbehinderung näher bringen soll. Das Prinzip sei einfach, erklärt Heimleiterin Hanne Cürten: „Durch das Wegfallen des Sehens in dem restlos düsteren Raum werden alle anderen Sinne bewusster erlebt und eingesetzt.“

Schritt für Schritt bewegt sich die Besucherin vorwärts. Wrzosek gibt Anweisungen aus dem Dunkeln: „Hier haben wir eine Einkaufsstraße nachgestellt.“ Schon ertasten die Finger einen Korb. Darin ist etwas Warmes, Rundes. Es lässt sich zusammendrücken – ein Brötchen, ganz frisch, weil es noch warm ist. Wrzosek bietet der Besucherin etwas zu trinken an. Diese fühlt mit der Zunge: Der Saft ist dickflüssig. Sie schmeckt. „Salzig – es ist Tomatensaft.“

Fühlen und riechen

„Der Parcours ist an das Konzept der ‚basalen Stimulation‘ angelehnt“, erklärt Hanne Cürten. „Elemente davon integrieren wir in das tägliche Leben der Bewohner“, so die Sozialpädagogin. Seit 1997 leitet sie das Wohnheim im Kölner Norden. „46 Menschen in sieben Wohngemeinschaften leben hier, alle mehrfachbehindert. Sie sitzen entweder im Rollstuhl, können sich meist verbal nicht äußern oder sind immobil.“ Bei dieser Art von Behinderung komme man mit Sprache nicht weit, so Cürten. „Da müssen andere Wege der Kommunikation her.“

„Basale Stimulation“ zielt auf die Schulung der Sinneswahrnehmung. Damit soll besonders die nonverbale Kommunikation gefördert werden. „Die Wahrnehmungsfertigkeiten müssen erhalten, sensibilisiert und geschult werden“, führt Cürten aus.

Die Haut werde so zum wichtigsten Kommunikationsinstrument. „Durch die tägliche Körperpflege, wie etwa die Berührung der Haut beim Waschen, wird der erste Kontakt zum Menschen hergestellt. Mit verschiedenen Stoffen oder Schwämmen stimulieren wir die Wahrnehmung“, sagt Cürten. Das Riechen sei ebenso wichtig, ergänzt Wrzosek, die eine von sieben Wohngruppen betreut. „Gerade Spätbehinderte können dadurch Brücken zur Vergangenheit aufbauen, indem sie Gerüche von früher wiedererkennen.“ Mit Hilfe der Angehörigen werde „biographische Arbeit“ geleistet.

Im „Snoezel“-Raum

Besonders überzeugt sind beide Pädagoginnen vom „Snoezel“-Raum. „Snoezeln“ kommt aus dem holländischen und bedeutet riechen, schmecken, fühlen. Der Raum ist mit einem beheizten Wasserbett ausgestattet. Die Bewohner können hier „Kuschelmusik“ hören und sich zwei blubbernde Wassersäulen anschauen, die mit Licht bestrahlt werden. Cürten: „Das ist mehr Kino als Therapie.“ Von dem Gedanken des Therapierens allein hält die Heimleiterin wenig. Besser sei dagegen „Erlebniswelten schaffen, damit jeder den Freiraum hat, festzustellen, was er für sich empfindet“.

Wrzosek zufolge sind die bisherigen Reaktionen auf den Parcours durchweg positiv. „Die Besucher waren begeistert.“ Schade findet sie allerdings, dass die meisten entweder aus dem Pflegebereich kämen und beruflich an dem Konzept interessiert seien oder aber Angehörige im Heim hätten. „Gänzlich Fremde, wie etwa eine Kölner Supermarktkassierin, fühlen sich selten angesprochen.“ Die Heimleiterin möchte mit Angeboten wie dem Dunkel-Erlebnis gerade Menschen „von draußen“ ins Heim locken. „Es wird mir nie gelingen, Behinderte in die Gesellschaft zu integrieren. Deshalb sollen die Leute hierher kommen.“ Solch ein Dunkel-Parcours könne „die Augen öffnen“.

Am Ende des Parcours sind Besucher überrascht: „Man ist so fixiert auf das Sehen, dass die anderen Sinne völlig vernachlässigt werden“, sagt eine. Das Trinken im Dunkeln habe sie große Überwindung gekostet, berichtet eine andere. Jetzt wüsste sie zumindest, dass Tomatensaft gar nicht so schlecht schmeckt, wie sie mal dachte.

Der Parcours in Köln-Longerich ist jeweils Mo bis Do und So von 14 bis 17 Uhr geöffnet: Lachemer Weg 22