Eigene Erinnerungen verarbeitet

Ein stetiger Wechsel zwischen Überraschung und Déjà-vu: Jeffrey Eugenides, der jetzt im Abaton aus seinem jüngsten Roman „Middlesex“ liest, über die Verfilmung seines Romans „The Virgin Suicides“, der im Anschluss gezeigt wird

Der Tod der Mädchen soll von Anfang an klar sein, damit das Publikum nicht frustriert ist

Interview: VOLKER HUMMEL

Von Hollywood lernen heißt Vermarkten lernen. Man nehme: einen dicken Roman, einen fotogenen Autor aus den USA, eine verwickelte Entstehungsgeschichte und eine intelligente Werbekampagne. Nach Jonathan Franzens Korrekturen feiert die deutsche Verlagsbranche mit Middlesex den neuen Blockbuster der Saison. Zehn Jahre hat Jeffrey Eugenides, Nachkomme griechischer Migranten, an seinem Einwandererepos geschrieben, den größten Teil davon in Berlin.

Auch das Kino kann von der Literatur lernen. Sofia Coppolas Verfilmung von Eugenides‘ erstem Roman The Virgin Suicides, der 1993 erschien, ist dafür ein schönes Beispiel. Angesiedelt im Detroit der 70er Jahre, wo Eugenides aufwuchs, erzählt er von vier Schwestern, deren Geschichte im Selbstmord endet. taz hamburg sprach mit Eugenides.

taz hamburg: Wie ist es, Ihrer Romanwelt auf der Leinwand zu begegnen?

Jeffrey Eugenides: Ich sehe den Unterschied so: Der Roman kann mit einem Lebewesen verglichen werden. Wenn es schläft, wird es von Träumen heimgesucht, und einer davon ist dieser Film. Er verhält sich zum Buch wie eine Traumwelt zur Realität. Es sind dieselben Objekte, dieselben Figuren, dieselbe Story, und doch ist alles verwandelt. Eine Verfilmung seines Stoffes ist für einen Schriftsteller ein ständiger Wechsel zwischen Überraschungen und Déjà-vus.

Worin bestehen die größten Unterschiede?

In der Erzählperspektive. Im Roman wird das Geschehen von einem Chor vorgetragen, der Stimmen von Männern vereint, die auf ihre Jugend zurückblicken. Hierdurch rücken die Lisbon-Mädchen, um die die Erinnerungen kreisen, in die Distanz. Sie erscheinen weniger als reale Wesen, denn als evozierte Phantasien. Deshalb ist für den Zuschauer schwer zu erkennen, dass das Geschilderte auch Einbildung sein könnte.

Was hat Sie am Film positiv überrascht?

Der Soundtrack von Air passt gut zur Atmosphäre des Films. Ich mag auch, wie Sofia Coppola Vergänglichkeit spürbar macht, indem sie etwa das Haus der Lisbons im Zeitraffer im Tag- und Nachtwechsel zeigt.

Waren Sie an der Produktion des Films beteiligt?

Sofia sandte mir ein paar Entwürfe ihres Drehbuchs, an deren Rand ich Vorschläge vermerkte, die sie meistens berücksichtigt hat. Ich fand es zum Beispiel wichtig, dass von Anfang an klar wird, dass die Mädchen am Ende sterben, weil das Publikum sonst frustriert sein würde. Im Drehbuch gab es anfangs nur spärliche Hinweise darauf, aber ansonsten war ich einverstanden mit Sofias Entscheidungen. Ich war froh, dass eine Frau den Stoff verfilmt hat. Einige der männlichen Regisseure, die sich an die Verfilmung machen wollten, hatten dem Ganzen eine fast pornographische Ausrichtung gegeben.

Wie erklären Sie sich die andauernde Faszination für die 70er Jahre, die sich in vielen Filmen und Büchern niederschlägt?

Das liegt wohl daran, dass die Autoren und Filmemacher, von denen diese Stoffe kommen, in den 70ern aufwuchsen. Sie verarbeiten ihre eigenen Erinnerungen. Ich bin in einem Vorort von Detroit aufgewachsen, wo es 1967 große Rassenunruhen gab. Die USA befanden sich damals in einer schweren Krise, und die in Detroit angesiedelten Autofirmen waren am Rande des Bankrotts. Als ich den Roman schrieb, waren mir diese Dinge nicht bewusst. Erst hinterher wurde mir klar, wie stark sie meine Imagination beeinflusst haben. Denn ob man will oder nicht, man ist von seiner Jugend geprägt. Als ich aufwuchs, kamen Filme wie American Graffiti über die Fifties in die Kinos. Wahrscheinlich wird es immer diese 20-jährige Verzögerung geben, mit der Epochen wiederentdeckt werden.

Jeffrey Eugenides: Middlesex. Rowohlt Verlag 2003, 733 S., 24,90 EuroLesung Middlesex: Mi, 20 Uhr, The Virgin Suicides (DF): Mi, 22.30; Abaton