Bockwurst kontra Milchkaffee

„Ich beobachte bloß“: Eine Begegnung mit Peter Richter, der es in seinem Buch „Blühende Landschaften“ zwischen Ost und West laut krachen lässt

VON KARSTEN KREDEL

Für eine gute These braucht es Stürmerqualitäten: im richtigen Augenblick steil starten, Vorlage annehmen, entschlossen abziehen. Instinkt, Eleganz und unerschütterliche Selbstsicherheit – Treffer. Stark abseitsverdächtig? Zu kurz gedacht? Mag sein, aber Spannung tut dem Spiel gut, das weiß jeder. Eine Antithese gibt’s immer, und im besten Fall kommt ein Gespräch in Gang.

„Schließlich heiße ich nicht Helmut Schmidt und weiß genau, wie alles sein sollte“, sagt ein gut aufgelegter Peter Richter, Autor des angehenden Bestsellers „Blühende Landschaften“ (Goldmann Verlag, München 2004, 272 Seiten, 17,90 Euro), der davon handelt, wie einer nach der Wende von Dresden die Elbe hoch nach Hamburg zog und im rauen Klima der Ressentiments zum Ostdeutschen gestempelt wurde, wie er die zugewiesene Identität annahm und fortan trotzig behauptete. „Ich beobachte bloß und versuche, vielleicht irrsinnige, aber mir auffällige Analogien zwischen Milieus zu ziehen.“

Zum Beispiel zwischen Sachsen und Swakopmund. Dort hat der dreißigjährige Journalist und Kunsthistoriker durch gefühlte Heimatnähe herausgefunden, dass die Namibiadeutschen die engsten Verwandten der Ossis sind, und auch sonst lässt er keine Gelegenheit zur böswilligen Zuspitzung aus. Lieber läuft er sich ein paar Mal umsonst frei.

Widerspruch ist eingeplant, über einhellige Zustimmung wundert er sich schon eher. Komischerweise, erzählt er, habe er auf der Leipziger Buchmesse jede Menge Beifall kassiert, selbst das Neue Deutschland fühlt sich von ihm verstanden. Man sollte vielleicht erwähnen, dass in Richters Buch die Überlegung angestellt wird, der mitteldeutsche Genpool könne nur durch massive Überfremdung aufgewertet werden. Und habe es auch dringend nötig.

„Blühende Landschaften“ ist das Protokoll einer teilnehmenden Beobachtung. Richter registriert die Posen, mit denen Wessis und Ossis seit der Wende in Abgrenzung voneinander zu sich selbst finden, nämlich zu Milchkaffee und Bockwurst, gutem Gewissen und ewiger Jammerei. Und er teilt selber aus, prollt lustvoll durch den weiß getünchten Westen und begrüßt jedes Klischee mit Handschlag. Bevor es zu komplex wird, kommt er zum Punkt, bevor er in Versuchung gerät, irgendwas zu erklären, wechselt er das Thema. Auf dem Buchumschlag stoßen ein pappgrüner Trabi und ein chromglänzender Golf frontal zusammen.

Right on, Baby! denkt man da noch – lass es krachen, fahr sie zu Schrott, die beiden lahmen Karren, die seit Jahren ideologisch schwer beladen durch die ausgemotteten Kulissen gesamtdeutscher Nostalgie tuckern. Ein Celebrity Death Match auf ehemaligen Transitautobahnen, das wär’s doch. Doch Richter hat anderes im Sinn als konstruktive Kritik: „Es ging mir darum“, sagt er, „die Ressentiments ungefiltert hinzurotzen und so vielleicht größere Wahrhaftigkeit zu erzielen, als wenn ich sie durch allzu viel Verständnis wieder zudecke.“ Den innerdeutschen Aversionen soll auf keinen Fall der Saft abgelassen werden; laut aufdrehen will er sie, allein schon ihres Unterhaltungswertes wegen. Womit er ziemlich exakt den Reiz seines Buches beschrieben hat.

Darin stößt er zwar nur auf die gute alte Identitätspolitik, ausgetragen auf einem kolonialen Tableau im niedlichen Brettspielformat, aber immerhin: Kein Zonenkind tritt hier auf der Stelle und kleidet sich in der Rumpelkammer der memorierten Kindheit ein. Richters Leitfigur für die neue Ost-Identität ist der Wanderer, der sich in der Begegnung herausformt – wenn nicht alles täuscht, das korrektere Bild, trotz des Maßes an Selbstkolonisierung, das dafür nötig ist.

Aber zum Glück ist es ja vor allem ein großer Spaß, das Spiel mit den Symbolen und Zuschreibungen: Das Sächseln haben sie ihm zwar in Hamburg abgewöhnt, doch auf dem Pressefoto, das man auch hinten im Buch bewundern kann, trägt er ein Poloshirt mit gestreiftem Kragen und beim Gespräch einen Kapuzensweater mit knalligen Frakturbuchstaben.

Sowas habe er halt an, wiegelt er ab, ist aber zu klug, um nicht zu wissen, dass gerade dieser Text mitgelesen wird. Zumal er dann wieder ein Loblied auf die Trotzreaktion singt. Sein erstes Fred-Perry-Hemd hat er im Anschluss an eine besonders sektiererische Antifa-Demo gekauft, erinnert er sich. Und plötzlich fällt einem auf, dass es eine Adoleszenzgeschichte ist, die Richter in seinem Buch erzählt, dass er Gesamtdeutschland im Moment der pubertären geschwisterlichen Kraftmeierei beschreibt und dass es ihm davor grault, es erwachsen werden und nahtlos zusammenwachsen zu sehen. Und damit sind wir in Berlin, wo er seit einigen Jahren wohnt. Einerseits hätte er hier das Sprühen der Funken nie so inszenieren können wie bei der Begegnung zwischen dem streetsmarten Sachsen und den hanseatischen Snobs. Andererseits hat Berlin die politisch getauften symbolischen Anordnungen auf handliche Größe zusammengeschrumpft und dauerhaft konserviert. Frontstellungen rücken auf Sichtweite zusammen: „Die Leute, die im 103 rumsitzen“, meint Richter, „denken doch, dass nördlich der Danziger Straße die Zone der Bockwurst-Nazis beginnt.“

Zeit für eine Antithese: Was, wenn die Milch im Latte Macchiato einfach nur angenehm substanzlos ist und erst durch demonstratives Bockwurst-Essen wieder bedeutungsvoll aufgeschäumt wird? Und ist es nicht sowieso furchtbar blöd, das Spiel mit der Identität? „Was soll man denn sonst machen“, fragt er zurück, etwas ungeduldig. „RTL gucken?“

Dann klingelt das Telefon und jemand erzählt ihm, dass die Super-Illu, das Zentralorgan für ostige Befindlichkeiten, eine Geschichte über ihn bringen will. Und Richter? Schüttelt den Kopf und freut sich über die Verwirrung, die er da offenbar ausgelöst hat. Mit ein paar guten Thesen und Zug zum Tor.