An der Warthe singt der Wachtelkönig

taz-Serie „Polen in einem Tag“ (Teil 6): Bei Kostrzyń an der Warthe liegt der Nationalpark „Warthemündung“. Fast 250 Vogelarten leben in den feuchten Wiesen, die von einem feinen Kanäle-Netz durchzogen sind

Gott sei Dank, dass vor 235 Jahren Friedrich der Große auf die Idee kam, den Wald in der Umgebung der Warthe zu vernichten. Stattdessen ließ er ein Netz aus hunderten Kanälen anlegen, um die Wiesen an den Ufern durch Flussschlamm fruchtbarer zu machen und zu bewässern.

Seitdem genossen zehntausende Kühe und Pferde das saftige Gras und Heu, das nach der Rodung hier gemäht werden kann. Nebeneffekt dieser langjährigen landwirtschaftlichen Nutzung: Es entstanden einzigartige offene Brutbedingungen für Vögel. Seit 2001 haben sie noch mehr Ruhe, da in diesem Jahr der Nationalpark „Warthemündung“ ins Leben gerufen wurde – auf einem Gebiet, das rund 8.000 Hektar groß ist.

Kein Vogelliebhaber sollte daher auf eine Fahrradreise durch den Nationalpark verzichten. Gerade mal eineinhalb Stunden dauert die Fahrt mit dem Zug von Berlin nach Kostrzyń – der zugehörige Grenzübergang heißt Küstrin –, und schon befindet man sich in einem echten Vogelkönigreich, wo bis heute fast 250 Vogelarten gezählt wurden. Darunter auch solche, die selten sind: der Wachtelkönig, Seggenrohrsänger, Kranich oder auch die Zwergrohrdrommel. Ob es jemand schon geschafft hat, alle Arten auf einer Reise zu beobachten, ist bisher nicht bekannt. Dem Besucher sei in jedem Fall ein Fernglas anempfohlen.

Kostrzyń, Startpunkt unseres Ausflugs, ist eine kleine Stadt in der Lubuskie Woiwodschaft. Etwa 200 Meter vom Bahnhof (Dworcowa-Str. 7) findet man das touristische Informationsbüro, das – neben Auskünften – auch Landkarten bietet. Doch auch die Einwohner Kostrzyńs helfen gerne weiter und sprechen als echte Grenzgebietsbewohner gut Deutsch.

Schilder, die auf den Nationalpark verweisen, finden sich übrigens nicht – man erreicht ihn nach fünfminütiger Radfahrt auf der Straße Richtung Poznań. Obwohl es eine Strecke mit regem Autoverkehr ist, kann man hier schon die Vögel sehen und hören. Es ist auch möglich, die ausgedehnte Landschaft des Überschwemmungsgebietes aus der Vogelperspektive zu bewundern. Auf demselben Weg, in Chyrzno, befindet sich der Sitz des Nationalparks samt verglastem Aussichtsturm. Von dort aus kann man den Lauf der Warthe, die sich hier mit der Oder mischt, und ihrer Kanäle beobachten. „Im März und April ist es fast unmöglich, den inneren Weg des Parks zu befahren, da das Wasser einfach zu hoch steht“, sagt Parkmitarbeiterin Magda Mądrawska. „Ich empfehle den Mai. Dann kann man die meisten brütenden Vögel sehen. Im Spätherbst, während der Zugzeit, rasten hier riesige Vogelscharen, zum Beispiel nordische Gänse.“

Wer sich nicht gerade für einen Vogelexperten hält, kann mit Hilfe der Parkmitarbeiter zumindest das Wichtigste lernen: Die zweistündige Führung auf Deutsch kostet für eine ganze Reisegruppe 200 Złoty (50 Euro). Den Termin sollte man per Telefon oder Mail vorher vereinbaren.

Doch auch wer nur auf der Straße nach Poznań bleibt und später in Richtung Lemierzyce abbiegt, findet Interessantes: Die Strecke um die Warthemündung führt weiter durch Dörfer wie Głuchowo oder Okszta. Diese winzigen Orte sehen so aus, als ob für sie die Zeit vor 100 Jahren stehen geblieben sei. Laut Mitausflüglerin Franziska aus Berlin, deren Großmutter Landwirtin in Brandenburg ist, sahen die brandenburgischen Bauernhöfe genauso aus wie auf der polnischen Seite der Warthe. „Aber nur bis zur Wendezeit in Deutschland. Seitdem hat sich viel geändert. Heute rieche ich den ländlichen Duft bei meiner Großmutter leider nicht mehr“. Ein echt „rustikalischer“ Geruch, das ist garantiert, gehört zu einem Ausflug auf die polnische Seite. Zum Beispiel in Kłopotowo, einem Dorf, das nur aus drei Häusern besteht. Hier gibt es die Chance, den Rundweg durch den Park abzukürzen – nur heute nicht: „Die Fähre fährt nicht, weil das Wasser zu hoch steht“, sagt Herr Kazimierz, der seit 20 Jahren am Steuer der Fähre Kłopotowo–Witnica steht. „Im Sommer helfe ich aber gerne. Eine Überfahrt kostet 1 Złoty, etwa 20 Cent, das ist kompletter Preis für einen Fahrgast mit Fahrrad.“ Wegen des Hochwassers muss man noch zehn Kilometer bis zur Brücke in Świerkocin fahren. Noch einmal dieselbe Strecke, dann kommt die kleine Stadt Witnica, wo man sich erholen kann und im Restaurant „Lord“ die polnische Küche genießen kann. Die letzten 20 Kilometer nach Kostrzyń dauern nicht mehr so lang, wer aber schon müde ist, kann mit dem Zug bis zum Reiseziel fahren. IZABELA JOPKIEWICZ

Die Bahn fährt um 9.36 Uhr ab Berlin-Lichtenberg nach Kostrzyń (Ankunft 10.57 Uhr). Zurück geht es ab Kostrzyń um 19.03 Uhr, Ankunft in Berlin ist 20.28 Uhr. Informationen zum Nationalpark „Warthemündung“ unter www.pujsciewarty.gov.pl