Hilfe für Flüchtlinge als Lebensinhalt

Die russische Menschenrechtlerin Swetlana Gannuschkina erhält den amnesty-international-Menschenrechtspreis

Eigentlich hätte sich Swetlana Gannuschkina bei ihrem Kurzbesuch in Deutschland ein wenig erholen wollen. „Denn da habe ich keinen Computer, an dem ich normalerweise nachts sitze“, sagt sie und lacht dabei. Doch aus dem Schönheitsschlaf der russischen Menschenrechtlerin wird nichts. Stattdessen jagt ein Termin den anderen. Einer der Höhepunkte dürfte morgen Wuppertal sein: Dort wird Swetlana Gannuschkina mit dem 3. Menschenrechtspreis von amnesty international ausgezeichnet.

Das Arbeitspensum der 61-jährigen gebürtigen Moskauerin würde locker für eine Hand voll Personen reichen: So ist Swetlana Gannuschkina Mitglied der Menschenrechtskommission beim russischen Präsidenten und sitzt in der Regierungskommission für Migrationspolitik. Zudem leitet sie die Nichtregierungsorganisation „Zivile Unterstützung“, die sich für die Belange von Flüchtlingen und Vertriebenen einsetzt. Gleichfalls in leitender Funktion ist sie für das Netzwerk „Migration und Recht“ tätig, das mittlerweile landesweit über 54 Zentren verfügt, davon vier in Tschetschenien. Und schließlich gehört Swetlana Gannuschkina noch einer internationalen Arbeitsgruppe an, die sich um Opfer des Nagorni-Karabach-Konfliktes kümmert.

Genau mit diesem Konflikt um die armenische Enklave auf aserbaidschanischem Territorium hatte Ende der 80er-Jahre alles angefangen. Als infolge der gewalttätigen Auseinandersetzungen über 40.000 Armenier und Aserbaidschaner nach Moskau flohen, reiste Gannuschkina in die Kaukasusregion, um sich ein eigenes Bild von der Lage zu verschaffen. Als Reaktion darauf gründete sie 1990 die Organisation „Zivile Unterstützung“ mit, die bis heute Flüchtlinge juristisch und materiell unterstützt.

Seidem lässt die Mathematikprofessorin, die von 1970 bis 2000 an der Russischen Staatlichen Humanistischen Universität in Moskau forschte und lehrte, dieses Thema nicht mehr los. Aus gutem Grund. Denn anders, als es der Kreml der Öffentlichkeit immer wieder gern verkauft, ist das Flüchtlingsproblem heute in Russland aktueller denn je.

So werden tschetschenische Flüchtlinge derzeit systematisch zur Rückkehr in ihre Heimat gezwungen. „Und dort wird weiter jeden Tag gemordet, und Angehörige der russischen Truppen werden für ihre Verbrechen nur in seltenen Fällen juristisch zur Verantwortung gezogen“, sagt Swetlana Gannuschkina. Sie fürchtet, dass gerade für die tschetschenischen Flüchtlinge die Situation in nächster Zeit noch schlimmer wird. Denn bis zum 1. Januar kommenden Jahres müssen alle, die statt des russischen noch den sowjetischen Pass haben, sich das neue Dokument besorgen. Für Tschetschenen bedeutet das: Anstellen in Grosny und Umgebung.

Hat sie schon einmal daran gedacht, aufzuhören? „Nein, nie, wie könnte ich“, entfährt es Swetlana Gannuschkina. „Das ist für mich keine Arbeit, sondern mein Leben.“ Dann deutet sie auf das Foto eines Jungen in einer Broschüre über ihre Organisation. „Ihn aufgeben? Wer würde sich dann um ihn kümmern und dafür sorgen, dass er eine Ausbildung bekommt!“

Das Preisgeld von 3.000 Euro freut Swetlana Gannuschkina zwar, ist aber nicht das Wichtigste. „Der Preis ist für mich bedeutsam als Zeichen der Solidarität und des Interesses an Russland“, sagt sie. „Und das allein tut schon gut.“ BARBARA OERTEL