Aborigines verlieren Selbstvertretungsorgan

Australiens Regierung will gewählte Ureinwohner-Vertretung abschaffen und durch handverlesene Berater ersetzen

MELBOURNE taz ■ Eine „neue Ära des schwarzen Radikalismus“ haben Führer der australischen Aborigines gestern angekündigt, nachdem der konservative Premierminister John Howard am Vortag die Auflösung ihrer gewählten Vertretung, der so genannten„Kommission für Aborigines und Torres-Insulaner“ (Atsic), bekannt gegeben hatte. Das vor 14 Jahren vom damaligen Labor-Premierminister Bob Hawke als Vision eingeleitete Experiment der Selbstbestimmung der etwa 400.000 Nachkommen der Ureinwohner des fünften Kontinents ist nach Meinung Howards gescheitert.

Seine Regierung will jetzt zu einem staatlichen Paternalismus zurückkehren, unter dessen Mantel die Belange der Aborigines und die Gelder für die ihnen zustehenden Sozialdienste von den zuständigen Regierungsbehörden verwaltet werden.

Atsic ist aufgrund vieler Skandale an Howards Entscheidung nicht unschuldig. Große Beträge, die die Regierung der Aborigines-Vertretung zuleitete, wurden zweckentfremdet. Kritiker werfen Atsic Korruption, Nepotismus und Misswirtschaft vor. Auch haben sich die elenden Lebensverhältnisse der Aborigines in den 14 Jahren der Selbstvertretung durch Atsic kaum verbessert. Vielmehr entfremdete Atsic sich in den letzten Jahren von einem Großteil der Aborigines.

Ein gravierendes Problem war in letzter Zeit der Atsic-Vorsitzende Geoff Clark. Dem blonden Politiker warfen Frauen Vergewaltigungen vor. Und im August 2003 wurde er von einem Gericht wegen Behinderung der Polizei während einer Wirtshausschlägerei verurteilt. Nach Zeitungsberichten bewog Clark den Atsic-Vorstand, seine Gerichts- und Verteidigungskosten aus einem Fonds zu bezahlen, der eigentlich den Diensten für die Aborigines zugute kommen sollte. Und gegen Clarks Stellvertreter Ray Robinson läuft derzeit ein Verfahren wegen Urkundenfälschung und Scheckbetrugs.

Gestern beklagte die Bundesministerin für Aborigines-Fragen, Amanda Vanstone: „Es ist bedauerlich, dass sie [die Schwarzen] nicht genügend gute Leute haben, die bereit gewesen wären, sich für eine Atsic-Kandidatur aufzustellen.“ Howard warf Atsic vor, mehr mit „symbolischen Fragen“ beschäftigt zu sein als mit der Erzielung echter Fortschritte für die Aborigines. Einige Atsic-Politiker hatten Howard in der Vergangenheit wegen seiner halbherzigen Versöhnungspolitik kritisiert. Der Premier will nicht nur den gewählten Atsic-Vorstand auf Bundesebene abschaffen, sondern auch die gewählten Aborigines-Vertreter auf den unteren Ebenen. Stattdessen will er ein Beratungsgremium handverlesener Aborigines berufen. Kürzlich hatte bereits die Labor-Opposition die Abschaffung von Atsic beschlossen, doch hält Labor an einer gewählten Aborigines-Vertretung auch auf nationaler Ebene fest. BORIS B. BEHRSING