Bascha Mika über den publizistischen Erfolg der taz

Eine Navigatorin – streitbar und solidarisch

Es gibt nur zwei Überlebende. Die taz und die FAZ. Als einzige überregionale Qualitätszeitungen haben sie der mörderischen Konkurrenz, der aberwitzigen Konzentration und der umwälzenden Strukturanpassung bei den Printmedien getrotzt. Auf dem geschrumpften Lesermarkt bedienen sie intellektuelle und politische Eliten, die auf hohe journalistische Standards setzen und dafür auch zahlen wollen.

In der Existenz der beiden Blätter spiegelt sich die gespaltene Gesellschaft mit ihrem weltanschaulich extrem unterschiedlichen Lesepublikum: Die taz streitet für ein ziviles Gemeinwesen, für Freiheits- und Bürgerrechte; die FAZ für den freien Markt.

Der Branchenmythos

Erinnert sich noch jemand an die Welt? Rund um den 33. taz-Geburtstag stellte Springer das Zuschussprojekt ein und widmete sich der Abwehrschlacht gegen die multinationalen Konzerne, die den deutschen Boulevardmarkt aufrollten. An der überregionalen Qualitätspresse hatten die Medienmultis allerdings aus Kostengründen kein Interesse. Also scheiterten die Herausgeber der Süddeutschen Zeitung mit dem Versuch, ihre Anteile an fremde Gesellschafter zu verkaufen. Um ihren Profit zu sichern, schrumpften die Eigner die SZ zu einem bayerischen Regionalblatt. Einen Weg, den die Frankfurter Rundschau im Maingebiet längst gegangen war.

Zum 50. Geburtstag der taz ist das Geheimnis ihres Überlebens längst ein Branchenmythos. Ihr Erfolgsrezept ist weder das Tchibo-Modell, an dem sich fast alle Regionalzeitungen orientieren: Schnüre ein Paket und verhökere neben dem Abo eine Vielzahl von Dienstleistungen und Produkten, die mit deinem Kerngeschäft nichts zu tun haben. Noch das Coupé-Modell, mit dem die meisten Zeitschriftenverlage ihr Geld machen: Schnüre ein Paket und verhökere zusätzlich eine Vielzahl von Dienstleistungen und Produkten, die eng mit deinem Kerngeschäft verknüpft sind.

Statt Tchibo- oder Coupé-Modell lebt die taz nach wie vor von der publizistischen Idee. Und von ihrer enorm starken Leser-Blatt-Bindung – unabhängig davon, ob sie als klassische Printausgabe gelesen wird, als Digitalzeitung, die per Abo im Großformat auf den häuslichen Zentralmonitor gespielt wird, oder als herkömmliches Online-Produkt für mobile Displays jeder Art. In dem Maße, in dem die gesellschaftlichen Institutionen, die Parteien und Verbände, die Gewerkschaften und die Kirchen an Bindungskraft verloren haben, in dem Maße, in dem die Individualisierung und Zersplitterung der Gesellschaft vorangeschritten ist und einzig Fußballclubs noch regen Zulauf verzeichnen, werden Qualitätszeitungen zunehmend zum „sozialen Register“ (Weischenberg).

Unverwechselbares Profil

Die politischen Koordinaten erzwingen geradezu ein streitbares Blatt. Der Kampf um Teilhabe, Gerechtigkeit und Menschenrechte auf der einen, die brutale Durchsetzung des Marktes und die Inbesitznahme der Welt durch das Kapital auf der anderen Seite bestimmen die politisch-ökonomischen Auseinandersetzungen und die intellektuellen Diskurse.

Als aufklärerisches Medium beleuchtet die taz diese Themen auf allen Ebenen. Erfolgreich hat sie sich neoliberalen Tendenzen zur Anlehnung an Zeitgeist und Massengeschmack verweigert und ihr unverwechselbares Profil weiterentwickelt. Noch stärker als in ihren frühen Jahren übernimmt sie für die kritische, zivile Öffentlichkeit eine Informations- und Integrationsfunktion, die Orientierung in der Lebenswelt bietet. Sie ist journalistischer Navigator in einer Gesellschaft, deren Selbstverständnis seit dem Abbau des Sozialstaates und der darauf folgenden Entsolidarisierung nachhaltig erschüttert worden ist. Als fünfsprachige Web-Zeitung führt und vernetzt sie die Debatten der weltweit agierenden neuen sozialen Bewegungen, ein Erbe der Globalisierungskritik.

Auch nach 50 Jahren lebt die taz durch die Idee der solidarischen Leserschaft. Die eine Hälfte der Auflage wird sehr gut bezahlt – von denen, die es sich leisten können. Die andere Hälfte wird verschenkt oder zu einem niedrigen Abopreis abgegeben. Schließlich ist eine Zukunft ohne Solidarität keine.