Madonnas Piepsshow
Protokoll einer sommerlichen Wortbildungsveranstaltung in der „Focus“-Redaktion
„Großartig, ein Poem! Der Elf-M-Stabreim-Hammer. Absolut zwingend“
München. „Focus“-Redaktion.
Gernot von Hageborn, Dozent: „Guten Tag, meine Damen und Herren, ich darf Sie im Namen des ‚Textwerks‘ ganz herzlich zu unserem Sommer-Wordshop begrüßen! Zum Aufwärmen wollen wir mal ein bisschen das Aufpeppen von Popberichten üben. Wer von Ihnen hat schon den neuen Videoclip von Madonna gesehen?“
Die meisten Teilnehmer melden sich.
Dozent: „Herrlich, nicht? Fulminante Tanzeinlagen, absolut professionelle Leinwandpräsenz des Rock-Urgesteins, scheinbar schwerelos inszenierte Songsequenzen – aber was rede ich, Sie sollen ja die Sache auf den Punkt bringen! Ihre Aufgabe ist es, einen kurzen Text über den Clip zu schreiben, der die typischen Madonna-Vibrations rüberbringt. Ja, Herr Schlüter?“
Schlüter: „Können wir die Metaphern-Datenbank benutzen?“
Dozent: „Sprachwitz aus der Konserve? Mein Gott, Schlüter, wie soll aus Ihnen je ein kreativer Schreiber werden! Allmählich sollten Sie doch wissen: Genie ist nie … Ja, Frau Berger, bitte!“
Berger: „Abrufbar!“
Dozent: „Sehr richtig! Schreiben Sie sich das hinter die Festplatte, Herr Schlüter! So, wir bilden drei creative groups – Musik, Film und Image. Und Herr Schlüter darf mit seinem geliebten Computer Madonnas Lebenslauf beackern. Denn man los!“
Die Teilnehmer setzen sich zu Gruppen zusammen. Schlüter tippt fiebrig in die Tastatur. Zehn Minuten später.
Dozent: „Bitte die Ergebnisse der Gruppe Musik!“
Markert: „Madonna, die aus Film, Funk und Fernsehen bekannte Sängerin, verdankt ihre sängerische Qualitäten …“
Dozent unterbricht: „Film, Funk, Fernsehen, das klingt ja wie aus den Fünfzigerjahren, absolut grauenhaft. Und dann – sängerische Qualitäten! Wer soll dieses dröge Verlautbarungsdeutsch denn lesen?“
Markert (verunsichert): „Wir haben noch mehr: Ihre Songs, hauptsächlich hörenswerte, tanzbare Funk-Nummern …“
Dozent: „Warum nicht gleich hörbar und tanzenswert? Nein, nein, so wird das nichts.“
Markert, trotzig: „Die schmale Gesangsstimme der amerikanischen Pop-Ikone …“
Dozent: „Endlich, das hat doch gleich mehr Drive!“
Markert: „… die Piepsshow des ehemaligen Teenie-Tabernakels …“
Dozent: „Na bitte, es geht doch, wer sagt’s denn. Machen wir gleich weiter mit der Gruppe Film. Und bitte!“
Berger: „Wirbelwind Madonna wickelt den Zuschauer in dem scheinbar schwerelos inszenierten Videoclip um den provokant vernippelten …“
Dozent: „Danke, genügt schon. Ausgezeichnet, Frau Berger, Sie bringen die Sache auf den Punkt, weiter so! Die Gruppe Image jetzt!“
Treffel: „Mutter Madonna präsentiert sich hier als eine männermordende Mischung aus Marlene Dietrich, Marilyn Monroe und Mae West, verschärft diese Mixtur mit der Magie einer manischen …
Dozent: „Großartig, ein Poem! Der Elf-M-Stabreim-Hammer. Absolut zwingend, Herr Treffel!!“
Treffel: „Moment, das ist noch nicht alles – Madonna, die einst immens ehrgeizige New Yorker Nachtszene-Streunerin, diese umhervagabundierende Großstadtpflanze mutierte zur Rock-Oma mit …“
Dozent: „Bingo! Das ist die Mega-Metapher! Umhervagabundierende Großstadtpflanze – das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen! Herr Treffel, Sie haben den Bogen raus. Na, Herr Schlüter, und wie steht’s bei Ihnen? Haben Sie den Lebenslauf schon aus dem Internet geloadet?“
Schlüter: „Mit 17 ging Madonna allein nach New York, lernte fleißig das Musikmachen …“
Dozent: „Musikmachen?“
Schlüter: „… und ackerte sich unermüdlich vor in die vorderste Front des Showgeschäfts.“
Dozent: „Eine Madonna ackert nicht, Herr Schlüter. Wollen Sie mich auf die Schippe nehmen?“
Schlüter: „Wieso? Laut Datenbank kam auch Phil Collins durch Nonstop-Ackerei zum Erfolg. Bruce Springsteen hat sich in jahrelanger Ackerei im Showbiz hochgearbeitet und selbst eine Tina Turner ackerte als junges Mädchen auf den Feldern des Funk …“
Dozent: „Herr Schlüter, wann wollen Sie es endlich begreifen – Genie ist nie …“
Frau Berger ruft dazwischen: „Abrufbar!“
Die Pausenglocke ertönt.
RÜDIGER KIND
