Arm in Arm mit dem Polizeichef in den Knast

Wie sich in Haiti Milizenführer Chamblain der neuen Justiz stellte: „Eine gute und noble Entscheidung“

PORT-AU-PRINCE taz ■ Vor knapp zwei Monaten präsentierte sich Louis-Jodel Chamblain noch in tarnfarbenem Battledress. Mit einem Schnellfeuergewehr schoss er in der Hafenstadt Cap Haïtien Türen heraus, im Rambostil rangen seine Mannen von der „Front zur Befreiung und des nationalen Wiederaufbaus“ die Verteidiger des Staatspräsidenten Jean-Bertrand Aristide nieder. Jetzt gibt sich der Exmilitär, der wegen mehrfachen Mordes in Abwesenheit zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden ist, ganz zivil. In Anzug und Schlips präsentiert er sich der Presse in Pétionville nahe der Hauptstadt Port-au-Prince.

„Ich bin bereit, mich zu stellen, damit Haiti eine Chance hat, die Demokratie aufzubauen, für die ich gekämpft habe“, erklärt Chamblain und wischt sich in dem überfüllten Konferenzraum mit zittrigen Händen den Schweiß von der Stirn. Seine Verurteilung 1995 nach der Rückkehr Aristides aus dem Exil wegen der Ermordung eines engen Aristide-Mitarbeiters zwei Jahre zuvor sei politisch motiviert gewesen. In einem neuen Prozess werde er freigesprochen werden, versichert Chamblain, der seine Pistole im Gürtelholster trägt.

Draußen hat sich derweil die Staatsmacht aufgebaut. Haitis Polizeichef Leon Charles wartet geduldig vor der Tür. Als die Pressekonferenz beendet ist, kommt er herein, an seiner Seite drei US-Marines. Wie zwei alte Kampfgefährten umarmen sich Chamblain und Charles, bevor sie dann gemeinsam hinausgehen und die knapp hundert Meter zur Haftanstalt schreiten, begleitet von Übergangsjustizminster Bernard Gousse.

Hatte schon der derzeitige Ministerpräsident Gérard Latortue nette Wort für die einstigen bewaffneten Aufständischen gegen Aristide gefunden – „es sind Freiheitskämpfer“ –, so lobt nun Gousse den Mut Chamblains. „Das ist eine gute und noble Entscheidung.“ Eher aber scheint der publikumswirksame Auftritt auf die internationale Geberkonferenz abzuzielen, die nur ein paar Kilometer entfernt tagt und bei der die „internationale Gemeinschaft“ über finanzielle Aufbauhilfen für Haiti berät.

Dass sich das ehemalige Mitglied der haitianischen Todesschwadrone jetzt gestellt habe, so berichten gewöhnlich gut informierte Kreise in Port-au-Prince, sei Teil eines von Frankreich und den USA geduldeten Abkommens zwischen der Übergangsregierung und der bewaffneten „Widerstandsfront“. Ein Teil derer Mitglieder werde langfristig in die Polizei und die noch zu schaffende Armee integriert. Jene, die international aufgrund von Menschenrechtsverletzungen in Misskredit geraten seien, würden vorübergehend inhaftiert und später amnestiert.

Angeblich will sich noch ein weiterer Rebell stellen, der zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Jean Pierre Baptiste, alias „Jean Tatoune“, saß bis August 2002 in der Hafenstadt Gonaïves in Haft, weil er Einwohner eines Armenviertels massakriert hatte. Dann befreiten ihn Mitglieder der „Kannibalenarmee“.

HANS-ULRICH DILLMANN