Wenn die Post mal abginge

Der Augenschein beweist: Gerhard Schröder könnte mit einer kleinen Investition bei der Post den ersehnten Aufschwung unserer Wirtschaft rapide beschleunigen. Wenn er das denn noch könnte

VON PETER KÖPF

Es funktioniert! Doch, doch. Die Privatisierung hat bei Bahn wie Post dazu geführt, dass ihre Filialen immer voll sind. Nehmen wir meine Postfiliale in der Berliner Torstraße: Egal wann ich dort Briefmarken kaufen oder ein Päckchen abgeben möchte, die Menschen stehen Schlange! Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen scheinen sich über ihren Erfolg so sehr zu freuen, dass sie sich bei der Wachablösung immerzu küssen. Ich habe das mehrfach beobachten dürfen und schon beim ersten Mal gemerkt: Hier wird wieder gern gearbeitet. Früher war das anders: Da stand hinter jedem Schalter ein Beamter oder eine Beamtin und langweilte sich.

Heute studiere ich erfreut das hippe Design, das mein Postamt erhalten hat und es als Teil eines modernen, weltoffenen Unternehmens ausweist. Ich habe ja Zeit. Bis ich dran bin, vergehen im Durchschnitt zehn Minuten. Wenn eine Mitarbeiterin pro Stunde dreißig Kunden abfertigt, haben diese 300 Minuten gewartet. Manche drehen auf dem Absatz um und gehen, aber die meisten haben erkannt, dass es davon nicht besser wird, stellen sich an und starren ins Leere. Die jungen Leute aus den Werbe- und PR-Agenturen murren gern, und ich male mir nicht ohne Schadenfreude aus, dass diese forschen FDP-Wähler nun die Strafe ihres Gottes trifft, des Deus oeconomicus. Manche der älteren Semester – wir befinden uns auf ehemaligem DDR-Gebiet! – sehnen sich nach der alten Zeit. Ich habe Verständnis für ihre Gedanken, auch wenn ich mich manchmal wundere, dass bei ihnen in der Schlange ausbleibt, was ich erwarten würde: Nostalgie.

Sie alle harren also zehn Minuten mehr oder weniger ergeben aus, ihr Geschäft erledigen zu können. 300 Minuten pro Stunde, macht bei acht Stunden 2.400 Minuten, 40 Stunden. An einem Tag verbraucht ein Postler also die Zeit – wir runden mal die 38,5-Stunden-Woche –, für die ein zusätzlicher Angestellter eine Woche arbeiten könnte. Weil meistens zwei der sechs Schalter besetzt sind, stehen die Kunden in der Torstraße also an zwei Tagen eine Vollzeitstelle ab.

Jetzt bloß keine Kurzschlüsse! Der Markt funktioniert, das sagt schließlich nicht nur Guido Westerwelle. Er funktioniert für die Unternehmen, und wer will ihnen verdenken, dass sie nach betriebswirtschaftlichen Kriterien urteilen, nicht nach volkswirtschaftlichen, wie dieses Beispiel neben denen der Steuerflüchter und Subventionserschleicher zeigt.

Immerhin bietet diese Erkenntnis auch Gerhard Schröder eine einmalige Chance: Hier kann er seine ganze Kraft fürs Wohl des Volkes einsetzen. Denn die Menschen, die Tag für Tag bei der Post ihre Zeit totschlagen müssen, könnten umgekehrt in zwei Tagen den Ertrag einer Vollzeitstelle mehr erwirtschaften. Gerhard Schröder muss dafür sorgen, dass die Post mehr Leute einstellt. Dann geht es mit der Bundesrepublik wieder aufwärts. Leider wird sie das nicht tun. Schade, dass die Politik keinen Einfluss mehr auf die Unternehmen hat.