Unheilige Allianz

Die Regierung drückt sich davor, EU-Richtlinien gegen Diskriminierung in deutsches Recht umzusetzen. Sie beugt sich damit dem Druck von Kirchen und Wirtschaftslobby

Vertragsautonomie muss dort ihre Grenzen haben, wo Rassismus und Sexismus beginnen

Eine Gesetzgebung gegen die Diskriminierung wegen „Rasse“, ethnischer Herkunft oder Religion scheint auf der Prioritätenliste der deutschen Regierung zurzeit nicht zu existieren.

Die EU hat in den vergangenen Jahren wichtige Richtlinien verabschiedet, um sich als einen Raum des Rechtes und der Freiheit zu festigen. Diese Richtlinien zielen darauf ab, Diskriminierung aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft, der Religion, der Weltanschauung, der Behinderung, des Alters und der sexuellen Orientierung in Bezug auf Beschäftigung und Wohnung zu bekämpfen und die Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zu Beschäftigung und Berufsbildung sowie zur Möglichkeit eines beruflichen Aufstiegs zu sichern.

Die Frist, in der die Bundesregierung diese Richtlinien in deutsches Recht umzusetzen hatte, wird in einem Monat, am 19. Juli, ungenutzt verstreichen. Doch die rot-grüne Koalition hat offenbar nicht mehr die moralische Stärke, trotz Widerstandes seitens der „Heiligen Allianz“ aus Kirchen und Wirtschaftsverbänden, diese – bereits verabschiedeten Richtlinien der Europäischen Union – im deutschen Rechtssystem zu verankern.

Das Bundesjustizministerium hat im Dezember 2001 einen Diskussionsentwurf des so genannten Antidiskriminierungsgesetzes, beschränkt auf den privatrechtlichen Bereich, vorgelegt. Dieser vielversprechende Entwurf wurde später jedoch in vielen relevanten Punkten verwässert: Die Diskriminierungsmerkmale Religion, Weltanschauung und Alter wurden entfernt, weil die Kirchen und einige Wirtschaftsverbände dies wünschten.

Dabei ließen die Richtlinie und der darauf basierende Entwurf des Antidiskriminierungsgesetzes bereits eine Ungleichbehandlung zu, wenn sie sachlich begründet war. Das heißt, dass die christlichen Kirchen in Deutschland auch eine sachlich „unbegründete“ Diskriminierung aufgrund der Religion weiterhin fortsetzen wollen. Ein Beispiel: Wenn kirchlich betriebene und öffentlich geförderte Kindergärten Erzieherinnen oder Erzieher nicht einstellen, weil sie nicht der „richtigen“ Konfession angehören, stellt dies eine sachlich unbegründete Diskriminierung dar.

Vielerorts werden die meisten Kindergärten von kirchlichen Einrichtungen betrieben. In den zahlreichen Krankenhäusern, die von den Kirchen betrieben werden, sind Atheisten und Andersgläubige als Kunden, also als Patienten, herzlich willkommen. Als Krankenschwestern oder Ärzte aber bleiben sie außen vor. Diese Diskriminierung wird von den Kirchen als Kirchenprivileg verstanden.

Doch die Kirchen gehören in Deutschland zu den großen Arbeitgebern – mancherorts sind sie für bestimmte Berufe der einzige. Hier findet sich Diskriminierung in riesigen Dimensionen. Zudem missachtet die Amtskirche mit dieser Haltung das Engagement vieler kirchlicher Mitarbeiter, die ihre Arbeit immer als Bollwerk gegen den Rassismus und die Diskriminierung verstanden haben.

Als Argument führen die Kirchen stets an, sie seien bei Umsetzung der Richtlinie auch gezwungen, etwa Anhänger der Scientology-Sekte einzustellen. Es drängt sich aber der Verdacht auf, dass dies nur ein Vorwand ist, um den jungen Muslimen, die in Deutschland in der dritten Generation geboren, Universitäten absolviert haben und nach Jobs suchen, Beschäftigungsmöglichkeiten vorzuenthalten.

Welche Migrantin oder welcher Migrant hat nicht die folgende Erfahrung gemacht: Sie ruft wegen einer Wohnungsanzeige an und erfährt, dass die Wohnung schon vergeben ist. Ihre deutschen Freunde rufen zwei Minuten später an und bekommen einen Besichtigungstermin. Wie können Migranten heute dagegen wirksam Rechtsmittel einlegen? Gar nicht!

Oder eine andere Situation: Die Vertragsvorverhandlungen für ein Mietverhältnis laufen sehr gut. Das Blatt wendet sich schlagartig, sobald der Vermieter erfährt, dass die Betroffenen keine einfachen WG-Bewohner, sondern gleichgeschlechtliche Partner sind.

Die Vermieterverbände haben deutlich gemacht, dass sie die rassistische und sexistische Diskriminierungsfreiheit unter dem Deckmantel der Vertragsautonomie beibehalten wollen. Der Präsident des Zentralverbandes der Haus- und Grundeigentümer kündigte an, dass die „privaten Eigentümer mit allen gebotenen Mitteln gegen weitere Beschränkungen ihrer wirtschaftlichen Freiheit kämpfen werden“. So etwas beeindruckt die Politik – doch das „Gejammer“ der Migrantenverbände lässt sie kalt. Vertragsautonomie muss aber dort ihre Grenzen finden, wo Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Sexismus und die Diskriminierung von Behinderten beginnt.

Aufgrund des Drucks der „Heiligen Allianz“ wurden die Sanktionen gegen Diskriminierung nun so abgemildert, dass der Gesetzentwurf zu einem Papiertiger degradiert wurde. Die Richtlinien der EU sehen vor, eine Maßnahme gegen Diskriminierung müsse eigentlich geeignet sein, wirksam, verhältnismäßig und abschreckend zu wirken. Das war auch der Fall beim ersten Entwurf des Justizministeriums. Die Sanktionen wurden später leider zu weitgehend verwässert. So wird die diskriminierende Partei nicht zum Abschluss eines Vertrages verpflichtet, der ohne Diskriminierung zustande gekommen wäre. Damit wurden Arbeitgeber und Eigentümer weitgehend besänftigt.

Die Amtskirche missachtet das Engagement ihrer Mitarbeiter gegen Diskriminierung

Ursprünglich hatte die Bundesregierung in diesem Bereich gute Vorsätze: „Wenn ein Vertrag ohne Diskriminerung zustande gekommen wäre, kann der Diskriminierte auf dem Vertragsabschluss bestehen. So könnte beispielsweise eine katholische Familie oder eine mit einem behinderten Kind auf Vertragsabschluss über eine Wohnung klagen, wenn die Wohnungsbaugesellschaft diese erst öffentlich ausgeschrieben hatte, sie dann aber der Familie wegen des Glaubens oder wegen der Behinderung des Kindes nicht geben wollte.“

Ferner wurden die strafrechtlichen Sanktionen gegen bestimmte Benachteiligungen gestrichen, obwohl diese nur gegen die Unternehmen und nur im Wiederholungsfall vorgesehen waren. Das heißt, dass eine Kfz- Versicherung keine strafrechtlichen Maßnahmen befürchten muss, auch wenn diese die Migranten offenkundig benachteiligt und gegen eine bereits ergangene gerichtliche Unterlassungsanordnung wiederholt verstößt.

Zwischen all den Diskussionen über den Umbau des Sozialstaates und die Neuausrichtung der Außenpolitik darf die Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinie nicht ins Hintertreffen geraten. Dabei darf sich das neue Gesetz nicht allein auf die Diskriminierungsmerkmale der Rasse und ethnischen Herkunft beschränken, sondern muss auch die Diskriminierungsmerkmale Religion, Weltanschauung, Alter, sexuelle Identität, Geschlecht, Behinderung et cetera einbeziehen.

MEMET KILIÇ