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: Die letzten Privilegien

Es sieht tatsächlich so aus, als würde ein Steuerprivileg in Deutschland abgeschafft. Wer nach Silvester eine Kapitallebensversicherung abschließt, bekommt die Erträge nicht mehr 1:1 ausgezahlt, sondern muss sie versteuern. So hat es gestern der Finanzausschuss im Bundestag beschlossen, und so steht es im Gesetz zur Rentenbesteuerung, das heute vom Parlament verabschiedet werden soll.

KOMMENTARVON ULRIKE HERMANN

Dass den Versicherungskonzernen dieses Steuerprivileg genommen wird, ist eine kleine Revolution. Bisher musste man zwar die Zinsen auf seinem Sparbuch beim Finanzamt angeben – aber bei Gewinnen aus einer Lebensversicherung blieb der Staat untätig. Das machte diese Anlageform so attraktiv. Millionen von Deutschen besorgten sich die Policen – und immer zulasten der Steuerkassen. Daher verfolgte schon CSU-Finanzminister Theo Waigel die Idee, dieses Steuerprivileg für Lebensversicherungen abzuschaffen. Vergebens, er kam nicht gegen die Lobby der Konzerne an.

Nun also unternahm die rot-grüne Bundesregierung einen neuen Anlauf und zeigt sich tatsächlich entschlossen. Man mag es kaum glauben, denn die Argumente der Lebensversicherer gegen das neue Verfahren sind noch nicht einmal völlig abwegig. Neidvoll zeigen sie auf die Aktienfonds – deren Spekulationsgewinne müssen nicht versteuert werden, wenn die Papiere mindestens ein Jahr gehalten werden. Aber Aktien gibt es nicht nur bei Aktienfonds: Auch die Lebensversicherer erwirtschaften einen großen Teil ihrer Gewinne mit solchen Wertpapiergeschäften. Und die sollen nun ganz normal versteuert werden? Die Versicherer sind empört.

Die Privilegien für die Aktienfonds sind ungerecht, durchaus. Und diese Ungerechtigkeit wird noch interessante Konsequenzen haben. Denn es dürfte nicht lange dauern, bis auch die letzten Anleger entdecken, dass jetzt nur noch Aktienfonds dazu taugen, vor den Steuern zu flüchten. Also wird diese Vermögensform einen neuen Boom erleben.

Aber die Freude könnte schnell enden. Denn der einsame Erfolg der Aktienfonds weckt schon jetzt Begehrlichkeiten; die Konkurrenz wird weiter über die ungerechten Privilegien nölen, und der Finanzminister wird die Kritik gern zum Anlass nehmen, auch dieses Schlupfloch zu stopfen. Bisher war das deutsche Steuersystem vor allem unsystematisch. Statt Regeln gab es vor allem Ausnahmen. Das scheint vorbei zu sein.

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