Let‘s get bombed

Sieben Fernsehjournalisten, sieben Bücher über den dritten Golfkrieg. Wie haltbar sind deren Analysen und Reportagen. Ein Vergleichstest ein Jahr nach dem offiziellen Ende der Kampfhandlungen

VON THOMAS SEIFERT

Aus dem Krieg im Irak wurde der Nachkriegskrieg, aus der „Shock and Awe“-Kampagne mit lasergesteuerten Präzisionsbomben ein schmutziger Guerilla-Kleinkrieg. Ein Jahr ist nun seit dem offiziellen Kriegsende vergangen, der Krieg selbst nur mehr eine entfernte Erinnerung. Was blieb? Die Bilderflut der Journalisten-Invasion von 2.700 „eingebetteten“ Fotografen, Schreibern und Kameraleuten auf amerikanischer und britischer Seite.

Über die „Operation Iraqi Freedom“, wie die US-Armee den Einmarsch in den Irak nannte, wurde 24 Stunden täglich, 7 Tage die Woche berichtet: In Zeitungen, Magazinen, in Radio und Fernsehen, auf Internet-Sites, in Weblogs. Nie war mehr von einem Krieg zu sehen und weniger zu erfahren. Auch an der „Second Front“ (Titel eines Buchs von Medienkritiker John R. MacArthur) waren die Amerikaner siegreich.

Den 2.700 bei der Truppe eingebetteten Journalisten standen 150 Journalisten gegenüber, die aus Bagdad berichteten. Doch jene Journalisten, die dort geblieben waren, fanden nach dem Krieg mehr Anerkennung: Antonia Rados (RTL) Ulrich Tilgner (ZDF) erhielten den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis, Anthony Shadid von der Washington Post bekam den Pulitzer-Preis 2004 in der Sparte internationale Berichterstattung für seine Reportagen aus der irakischen Hauptstadt.

Die während des Krieges in Bagdad tätigen deutschsprachigen Fernsehjournalisten veröffentlichten nachher ihre (Tage-)Bücher. Durch die Kombination aus Krieg, Schnelligkeit des Erscheinens und TV-Bekanntheit der Schreiber hatten sich die Verlage hohe Verkaufsauflagen erhofft. Über die Hintergründe des Irakkrieges konnte man zwar in bereits vor dem Krieg veröffentlichten Büchern mehr erfahren: So schien Kenneth Pollacks Buch: „The Threatening Storm“ (Random House) das Drehbuch für den dritten Golfkrieg gewesen zu sein. Aber die Fernsehkollegen Rados, Kloss und Fröhder geben in ihren Büchern Einblicke in ihren Seelenzustand während des Krieges, erzählen von ihren Erlebnissen, räsonieren über den Krieg.

Interessantes Detail: Während die bekannten Fernsehleute von ARD, ZDF und RTL Bücher publiziert haben, fehlen den während des Krieges in Bagdad verbliebenen Print- und Agenturleuten die Worte: Bis dato haben weder die dpa-Korrespondenten Karsten Hoffmann und Gregor Mayer (er schrieb auch Beiträge für die Schweizer Weltwoche und das österreichische profil) Bücher über den Irakkrieg vorgelegt noch der Fotograf Markus Matzel (Das Fotoarchiv) oder der Autor dieser Rezensionen.

Was bieten die Kriegs(tage)büchern also ein Jahr danach? Erfüllen die Bücher tatsächlich höhere Ansprüche als damals die aktuellen Reportagen? Ein Vergleichstest:

Christoph Maria Fröhder: „Ein Bild vom Krieg. Meine Tage in Bagdad“, 175 Seiten, Hoffmann & Campe, 14,90 Euro

Christoph Maria Fröhder beklagt in seinem Buch, dass Kriegsreporter (gemeint sind TV-Reporter) nur noch selten tatsächlich am Schauplatz recherchieren; er kritisiert, dass die Fernsehsender den Vor-Ort-Moderatorentyp bevorzugen, der das Pressezentrum kaum verlässt und von einem Krieg berichtet, über dessen Ereignisse er aus der Heimatredaktion erfährt. Fröhder erklärt das Spannungsfeld zwischen den Kriegsparteien und deren Erwartungen an die Journalisten: „Die Briten und Amerikaner brauchten Bilder von einem sauberen Krieg, der keine Zivilisten trifft. Sie benötigten aktuelle Belege, dass Saddam Hussein teuflisch war und die Iraker deshalb die Befreiung herbeisehnten. Das Regime in Bagdad brauchte Berichte, die genau das Gegenteil belegten: Der Krieg musste schmutzig sein, die Verluste unter der Zivilbevölkerung möglichst hoch.“ In seinem Buch schildert Fröhder nicht nur seine „Tage in Bagdad“, so der Untertitel, sondern er flicht auch immer wieder Reflexionen und Analysen ein.

Schlusspassage: „In mir wächst hingegen die Befürchtung, dass ich noch häufiger aus dieser Region berichten werde, was nichts Gutes bedeuten würde, denn wenn meine Kollegen und ich irgendwo auftauchen, hat die Politik im Vorfeld versagt.“

Haltbarkeit: mittel

Ulrich Tilgner: „Der inszenierte Krieg. Täuschung und Wahrheit beim Sturz Saddam Husseins“, 192 Seiten, Rowohlt, 16,90 Euro

Der Fernsehjournalist Ulrich Tilgner berichtet seit über zwanzig Jahren aus den Krisengebieten im Nahen und Mittleren Osten. Anfang der Achtzigerjahre war er Korrespondent im Iran und arbeitete seit 1982 für das ZDF und das Schweizer Fernsehen. Er hat auch schon 1991 vom Golfkrieg aus Bagdad berichtet, seit Anfang 2002 leitet er das ZDF-Büro in Teheran. Tilgner strahlte während des Golfkrieges überlegte Ruhe und Kompetenz aus. Er gebrauchte Worte wie „ich glaube“, „ich denke“, „ich bin mir nicht sicher, aber es kommt mir vor“. Nie spielt er den von vor Selbstgewissheit strotzenden Auskenner, der weiß, wo’s langgeht.

Auch in seinem Buch argumentiert er vorsichtig. Er hat fürs Buch noch einmal seine eigenen TV-Storys vom Krieg nachrecherchiert: Redete erneut mit vielen Gesprächspartnern von damals. Sein Buch ist das interessanteste der hier vorgestellten Journalisten-Bücher über den Irakkrieg. Es lohnt sich auch ein Jahr nach Kriegsende noch, sein Werk zu lesen.

„Der Verlauf des Krieges zeigte, wie wichtig es war, dass ausländische Journalisten aus Bagdad berichteten. Denn mit zunehmender Dauer gab es einen dramatischen Anstieg der zivilen Opfer. Über diese Seite des High-Tech-Krieges zu berichten – das ist eine klassische Aufgabe von Journalisten.“

Haltbarkeit: hoch

Stephan Kloss: „Mein Bagdad-Tagebuch“, 176 Seiten, Fischer Tb, 12 Euro

Stephan Kloss war das Gesicht der ARD in Bagdad, er berichtete mehrmals am Tag „Live aus dem Hotel Palestine“, wie die Berliner Zeitung damals schrieb. Wer erfahren will, in welches Restaurant die Kriegsreporter im Bagdad essen gingen, wer sich dafür interessiert, dass im Krieg in einem Hotel irgendwann der Zimmerservice eingestellt wird – in diesem Buch wird er interessante Anekdoten finden.

„Berichterstatter, die aus Krisen berichten, können höchstens einen kleinen Ausschnitt der Kriegswirklichkeit beschreiben. Und das sollte immer nach dem Grundsatz geschehen: Was habe ich mit eigenen Augen gesehen.“

Haltbarkeit: keine

Antonia Rados: „Live aus Bagdad. Das Tagebuch einer Kriegs-Reporterin“, 255 Seiten, Heyne Verlag, 12 Euro

Antonia Rados war 77 Tage lang als Reporterin in Bagdad. Die gebürtige Klagenfurterin arbeitete dort für den Privatsender RTL. Ihr Werk erhebt nach eigenen Worten nicht den Anspruch, „das ultimative Buch über den Irak“ zu sein, eher ein Werkstattbericht: Sehr viele Szenen im Buch spielen im Hotel Palestine, in dem die meisten Journalisten während des Krieges untergebracht waren, auf vielen Seiten geht es um ihren „Minder“, ihren Geheimdienst-Aufpasser, der ihr auf Schritt und Tritt folgte. „Fast jeder, der als Reporter in Bagdad war, schreibt ein Buch“, sagt Rados belustigt, „offenbar gibt es ein Bedürfnis, das zu tun.“

„‚Glauben Sie mir Antonia‘, erwiderte er damals. ‚Ich habe meine Frau geheiratet, weil ich sie liebe.‘ Typisch Quatiba.“

Haltbarkeit: keine

Åsne Seierstad: „Tagebuch aus Bagdad. Alltag zwischen Angst und Hoffnung“, 224 Seiten, Claassen Verlag, 12 Euro

Die 33-jährige Norwegerin Åsne Seierstad, deren Reportagen unter anderem im Berliner Tagesspiegel und im Wiener Standard abgedruckt wurden, legt ein Tagebuch vor: Die ersten Eintragungen sind mit dem 19. Januar 2003 datiert, die letzten mit dem 15. April, sechs Tage, nachdem die Saddam-Statue am Ferdos-Platz (Paradies-Platz) vor dem Hotel Palestine von Edward Chin und seinen Kameraden von den US-Marines vom Sockel geholt worden war. Seierstad beschreibt die Tage des Krieges, wie die Iraker mit dem Kriegsgeschehen fertig werden, sie berichtet aus ihrem journalistischen Alltag, über die bürokratischen Hindernisse, die Aufpasser, die Angst vieler Gesprächspartner, die permanenten Inszenierungen des Regimes. Ein sehr persönliches, schön erzähltes Tagebuch.

„Auf seinem aufgebrachten Gesicht erscheint plötzlich ein Lächeln. ‚Ich bin auf dem Weg – die Angst wird aus meinen Gliedern verschwinden!‘“

Haltbarkeit: keine

Salam Pax: „Let’s get bombed. Schöne Grüße aus Bagdad“, 272 Seiten, Econ Verlag, 14 Euro

Der Bagdad-Blogger war das Phänomen des Krieges. Im zweiten Golfkrieg lieferte CNN die neuesten Informationen, im Zeitalter des Internet ist es Weblog-Autor Salam Pax. Der irakische Architekt, der sein Englisch in Wien gelernt hatte, nannte die Saddam-Fedajin-Guerillas abwechselnd: „sickos“, „chicken shit“ oder „creepy fuck“. Die Tagebucheintragungen beginnen am 7. September 2002, der letzte im Buch abgedruckte Eintrag stammt vom 28. Juni 2003. Im Internet wird der Weblog weiter ständig aktualisiert. Kult.

„Eine Handgranate ist einfach die beliebteste Waffe für Raubüberfälle – einem Mann mit Handgranate schlägt man so leicht nichts ab, oder?“

Haltbarkeit: keine bzw. hoch: dear_raed.blogspot.com

Gerhard Kromschröder: „Bilder aus Bagdad – mein Tagebuch“, 160 Seiten. Europa Verlag, 19,90 Euro

Dieses Buch ist das seltsamste der vorgelegten Tagebücher. Perspektive: Heimatfront. Wie Brechts „lesender Arbeiter“ stellt sich der TV-guckende Kriegsberichterstatter viele Fragen. Er berichtet, wie er durch die Kanäle zappt – Krieg, Tatort, Fußball. Beim zweiten Golfkrieg war er in Bagdad, diesmal sitzt er vor dem Fernseher und richtet das Objektiv seiner Olympus-Kamera auf das Kriegsgeschehen am Fernsehschirm (Alle Abbildungen dieser Seite stammen aus Kromschröders Buch). Empfehlenswert.

„Abends klingeln die Nachbarn von oben. Sie sind aus Mallorca zurück, holen ihren Schlüssel. Ob es etwas gäbe. Nein, sage ich, hier ist alles wie immer.“

Haltbarkeit: mittel

PS: Wer sich noch intensiver mit dem „eingebetteten Journalismus“ befassen will, dem sei empfohlen: Bill Katovsky, Timothy Carlson: „Embedded: The Media At War in Iraq“, The Lyons Press, 2003. „Embedded“ ist eine Sammlung von Interviews mit 60 Journalisten (Print, Fotografen, TV, Radio), die über den Irakkrieg berichteten, darunter auch arabische Kollegen und Übersetzer. Sie reflektieren ihre Arbeit teils sehr kritisch. Ihnen werden die „Unilaterals“ gegenübergestellt, die unabhängigen Reporter, die es eben auch gab.

THOMAS SEIFERT berichtete während des Irakkrieges für das österreichische Magazin News und den Stern aus Bagdad